Peter Tauber: Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland (= Studien zur Geschichte des Sports; Bd. 3), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, 490 S., ISBN 978-3-8258-0675-0, EUR 39,90
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Obwohl die Sportgeschichtsschreibung in jüngster Zeit deutliche Fortschritte gemacht hat, zeigen sich immer wieder erstaunliche Forschungslücken. Die vorliegende Frankfurter Dissertation von Peter Tauber nimmt sich eines jener Desiderate an: Der Entwicklung des Sports und des Turnens innerhalb der deutschen Armee während des Ersten Weltkriegs an Front und Etappe. Die Arbeit lässt sich allerdings nicht ausschließlich der Sportgeschichte zuordnen, sondern befindet sich vielmehr in einer Schnittmenge mit der "modernen" Militärgeschichte.
Tauber schafft es, seine Arbeit schlüssig und überzeugend in die bisherige Forschung beider Felder einzuordnen. Die Explosion der Sportbegeisterung in den 1920er Jahren in Deutschland kam nicht aus dem Nichts; vielmehr hatte der moderne Sport bereits während des 'Großen Kriegs' tiefe Wurzeln bei den deutschen Soldaten und somit in der deutschen Gesellschaft geschlagen, so die zentrale These Taubers.
Bei Kriegsausbruch 1914 ließen sich auch die Turn- und Sportvereine von der Kriegsbegeisterung anstecken und leisteten in den Folgemonaten und -jahren einen aktiven Beitrag zur physischen und psychologischen Mobilisierung des Deutschen Reichs im industrialisierten Massenkrieg. Man sollte aber - so Tauber - diesen Beitrag nicht überschätzen, was anhand des fehlgeschlagenen Versuchs einer paramilitärischen Ausbildung in den Vereinen auch schlüssig nachgewiesen wird. Die Vereinsarbeit erlebte während des Krieges durch die Einberufung vieler Mitglieder zum Militär einen starken Einbruch. Doch diese organisatorische Notlage betraf nicht die eigentliche sportliche Betätigung: So trugen die mobilisierten Vereinsmitglieder nun den grauen Soldatenrock, ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung vergaßen sie aber freilich nicht; das Geschehen verlagert sich nun vielfach von den zivilen Vereinen in der Heimat hin zum Militär an Front und Etappe.
Wenngleich die Armee sich bereits vor 1914 dem Sport geöffnet hatte, so hatte in Friedenszeiten doch meist Kasernenhofdrill vorgeherrscht. Das änderte sich allerdings nach dem Kriegsausbruch beträchtlich. Zum einen erkannte man auf höherer Ebene bald die Motivationswirkung des Sports und des Turnens für die Soldaten. Beispielsweise organisierte man in der Etappe regelmäßig größere Turn- und Sportveranstaltungen, die erst mit der sich dramatisch verschlechternden Kriegslage in den Sommermonaten 1918 zum Erliegen kamen. Zum anderen galten Sport und Turnen aber nicht nur als ein Mittel zur Hebung der Moral innerhalb der Truppe, um dem gleichermaßen grauen wie grausamen militärischen Alltag zu entkommen. Vielmehr erfüllten sie nun auch zweckgebundene Funktionen. Noch bei Kriegsbeginn hatten die Militärs zur Leibesertüchtigung ganz überwiegend das als "deutsch" und bürgerlich betrachtete Turnen dem "englischen" Sport vorgezogen. Im Krieg setzte sich dann allerdings mehr und mehr der Sport auf Kosten des Turnens durch. Gerade jüngere Offiziere sahen im Sport ein probates Mittel, um einen Leistungsanreiz in der Ausbildung zu bieten. Dieser Leistungsgedanke, gepaart mit dem Verschwinden bisheriger sozialer Barrieren, erwies sich dann später im Einsatz der sogenannten "kleinen Kampfgemeinschaft" häufig als lebensnotwendig. Daraus ließe sich sogar eine weiterführende überspitzte These formulieren: Letztlich besiegte Großbritannien das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg nicht nur militärisch auf dem Schlachtfeld; auch kulturell gewann innerhalb der deutschen Armee der "englische Sport" über das "deutsche Turnen" die Oberhand.
Der Siegeszug des Sports wirkte nach 1918 nicht nur in der militärischen Ausbildung nach, sondern hatte auch eine politische Dimension. Wie die "kleine Kampfgemeinschaft" so wurde auch der Sport für viele Soldaten als gelebte Volksgemeinschaft der "Ideen von 1914" empfunden. Unter diesen Voraussetzungen konnten und wollten sich die Sportvereine in der Weimarer Republik nicht als stabilisierend für das demokratische System erweisen. Nach 1933 mussten die Nationalsozialisten also den Sport nur mehr organisatorisch, aber nicht mehr geistig gleichschalten.
Vielleicht hätte dem Buch an einigen Stellen eine inhaltliche Straffung genutzt, doch insgesamt ist Peter Tauber eine durchweg überzeugende Analyse der Entwicklung des Sports im Ersten Weltkrieg gelungen. Im Gegensatz zu vielen anderen kulturhistorischen Studien besticht die Arbeit durch klare Thesen und eine flüssige Sprache. Das Buch hat sicherlich seinen Platz in der deutschen Sportgeschichte verdient.
Peter Lieb