Rudolf Erhard: Edmund Stoiber. Aufstieg und Fall, Köln: Fackelträger Verlag GmbH 2008, 224 S., ISBN 978-3-7716-4385-0, EUR 19,95
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Nein, Edmund Stoiber hat es nicht geschafft. Er ist 2002 nicht als erster CSU-Politiker Bundeskanzler geworden, er hat neben dem Respekt seiner bayerischen Landsleute auch auf dem Höhepunkt seiner Karriere nur selten ihre Herzen erreicht, und er ist nicht als bedeutendster Ministerpräsident - noch vor Franz Josef Strauß oder Alfons Goppel - in die Geschichte des Freistaats eingegangen. Stattdessen gab er seinen Kritikern selbst die Werkzeuge in die Hand, um sein Denkmal zu schleifen, bevor es überhaupt errichtet worden war - angefangen mit der für ihn und seine Partei verhängnisvollen Entscheidung, im Herbst 2005 nicht - wie bereits groß verkündet - als Wirtschaftsminister in ein Kabinett Merkel/Müntefering einzutreten bis hin zur Affäre um Gabriele Pauli, als es einer weithin unbekannten Provinzpolitikerin aus Mittelfranken gelang, den Goliath aus München so sehr ins Straucheln zu bringen, dass er - nach verhängnisvollen Fehleinschätzungen seiner Lage und einem verheerenden Krisenmanagement - letztlich stürzte.
Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Edmund Stoiber bietet Stoff für ein spannendes Buch, wobei es über die Biografie eines letztlich Gescheiterten hinaus um weit mehr geht: Um die Entwicklung Bayerns an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert, um die Chancen der Regionalpartei CSU im europäisch-globalisierten Rahmen oder um die Verschiebungen im bundesdeutschen Parteiensystem, das aufgrund nachlassender identitätsstiftender Bindekräfte immer unübersichtlicher wird. Da es noch eine Weile dauern wird, bis sich die Historiker dieser Jahre annehmen werden, bleibt die Geschichte von Edmund Stoiber zunächst Politikwissenschaftlern oder Journalisten wie Rudolf Erhard überlassen, der sich bereits kurz nach der desaströsen Niederlage der CSU bei der Landtagswahl im September letzten Jahres an einer "erste[n] Bilanz der Ära Stoiber" (Klappentext) versucht hat. Der Name des Autors lässt aufhorchen, hat hier doch der langjährige Landtagskorrespondent des Bayerischen Rundfunks zur Feder gegriffen, der als exzellenter Kenner der bayerischen Landespolitik und ihrer Protagonisten gelten muss. Nur nebenbei sei bemerkt, dass Rudolf Erhard (Jahrgang 1951) wie Edmund Stoiber (Jahrgang 1941) im oberbayerischen Oberaudorf aufwuchs und daher eine intime Kenntnis von Land und Leuten für sich beanspruchen kann.
Erhard erzählt seine Geschichte vom Ende her; schon auf den ersten Seiten verspürt der Leser die dunkle Aura des Scheiterns. Dass ihn Stoibers Aufstieg weniger interessiert als sein Fall, zeigt schon die Anlage des Buches: Von den 15 Kapiteln des Buches befassen sich nur drei mit den erfolgreichen Jahren des ehrgeizigen jungen Juristen, der sich vom persönlichen Referenten von Umweltminister Max Streibl zum Generalsekretär der CSU und Chef der bayerischen Staatskanzlei, zum Innenminister und schließlich zum Ministerpräsidenten des Freistaats und zum Vorsitzenden der CSU hochdiente. Daher bleiben viele Fragen zu Sozialisation und Werdegang Stoibers offen; so hätte man beispielsweise gerne mehr über den von Erhard nur angetippten Politisierungsprozess des Studenten an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in den bewegten sechziger Jahren erfahren, der Stoiber freilich nicht wie viele andere nach links, sondern ins konservative Lager führte. Auch sein Einfluss auf die Entwicklung der CSU und die Politik der Staatsregierung vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Jahr 1993 bleibt weitgehend im Dunkeln. Stoiber erscheint hier vor allem als effektiver, aber nicht unbedingt geliebter Erfüllungsgehilfe seines überlebensgroßen Ziehvaters Franz Josef Strauß, von dem er sich im Sog der "Amigo-Affären" gleichwohl um der eigenen politischen Zukunft willen distanzieren musste.
Wer den späten Edmund Stoiber vor Augen hat, stets gehetzt und meist ungeduldig, wird überrascht sein, von seinem "Arbeitsstil des konstruktiven Diskurses" (41) zu lesen, den er als CSU-Generalsekretär entwickelte und noch in seinen ersten Jahren als Ministerpräsident pflegte. Stoiber, der Macher, habe zuhören können, sei neugierig auf die Ideen seiner Mitarbeiter gewesen, ja er habe sie geradezu zum kritischen Widerspruch aufgefordert, wobei "im engeren Kreis protokollarische und hierarchische Aspekte keine Rolle spielten." (42) Zudem wusste er um die Bedeutung der Landtagsfraktion als Basis seiner Macht und pflegte die Kontakte zu den CSU-Abgeordneten im Maximilianeum lange Zeit in besonderer Weise. Der Erfolg gab ihm recht, doch er barg auch die Keimzelle des Scheiterns, wie Erhard bilanziert: "Stoiber [...] wollte Bayern nach vorne bringen. Das ist ihm zweifellos gelungen, wie keinem seiner Vorgänger. Die wichtigsten äußeren Rahmendaten sprechen da für sich, von Arbeitslosigkeit über Wirtschaftswachstum, von den Schuldendaten bis zur inneren Sicherheit. Doch eine glänzende äußere Bilanz ist nicht genug, wenn die Befindlichkeiten des Unterbaus vernachlässigt werden. Nicht Skandale stürzten Stoiber, sondern das Überhören der Signale. Nicht die Ziele seiner Politik waren falsch, sondern zunehmend die Art der Umsetzung. Wer sich nicht umschaut, ob die anderen folgen können, muss sich nicht wundern, wenn die Zurückbleibenden maulend stehen bleiben." (58)
Diesen Prozess der Entfremdung zu dem rastlos vorwärtsdrängenden Ministerpräsidenten, der bis 2002 zum wichtigsten innenpolitischen Gegenspieler von Bundeskanzler Schröder aufgestiegen war und es "denen in Berlin" ohne Rücksicht auf Verluste am Beispiel Bayerns vorexerzieren wollte, wie man regiert, zeichnet Erhard detailliert nach. Abwägende Analyse ist dabei seine Sache nicht, vielmehr setzt er auf die suggestive Kraft von Anekdoten und Episoden, die zuweilen tatsächlich erhellend (und erheiternd) sind, oft aber nur an der Oberfläche zu kratzen vermögen. Hier zeigen sich deutlich die Grenzen des beobachtenden Journalisten und hier wird die Wissenschaft zu gegebener Zeit ansetzen müssen. Dabei ist Erhards Botschaft klar: Stoiber verlor auf dem Höhepunkt seiner Macht immer mehr die Bodenhaftung, der Wurzelgrund seiner Macht erodierte, und er war - falsch beraten und nur noch von willfährigen Mitarbeitern im "Raumschiff Staatskanzlei" umgeben - nicht mehr in der Lage, das Ruder herumzureißen. Zum Debakel geriet dabei seine Flucht aus Berlin - eine Flucht, die Erhard nicht zuletzt auf Eheprobleme im Hause Stoiber zurückführt. Die halb garen Andeutungen zu einer Affäre des Ministerpräsidenten in der Hauptstadt gehören zweifellos zu den unschönen Seiten des Buches.
Der Rest ist Geschichte: Das nicht enden wollende Stimmungstief des gestrauchelten Erfolgsgaranten, die quälende Nachfolgedebatte, die Furcht der Partei vor den nächsten Wahlen, die Pauli-Affäre und ihre Folgen, die schließlich zum Sturz Stoibers führten, und das Scheitern von Erwin Huber und Günther Beckstein. Am Ende des Buches steht ein eher pessimistischer Ausblick auf die Zukunft der CSU nach der Ära Stoiber, die eigentlich erst mit dem erzwungenen Rückzug seiner Nachfolger - beide langjährige Weggefährten - endete. Wer aber schon die Götterdämmerung heraufziehen sieht, sei gewarnt: Die CSU ist aller Probleme zum Trotz kein Koloss auf tönernen Füßen, wie das Ergebnis der Europawahl gezeigt hat.
Thomas Schlemmer