Alejandro Bancalari Molina: Orbe Romano e Imperio Global. La Romanización desde Augusto a Caracalla, Santiago de Chile: Editorial Universitaria 2007, 330 S., ISBN 978-956-11-1974-1, EUR 35,00
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Der Titel erstaunt: Einerseits verweist er durch die Nebeneinanderstellung der Begriffe "römischer Erdkreis" und "globales Imperium" auf eine neuere Tendenz in der Forschung, durch die Untersuchung des antiken "Globalisierungsprozesses" Erfahrungen und Wissen zur Orientierung in der zeitgenössischen Moderne zur Verfügung stellen zu wollen. Andererseits findet sich im Untertitel allen aktuellen Reflexionen, Diskussionen und Polemiken zum Trotz nicht nur der traditionelle Begriff der Romanisierung, sondern legt zudem der zeitliche Rahmen, in dem dieser Prozess in den Blick genommen werden soll - nämlich die Jahrzehnte zwischen Augustus und Caracalla - nahe, dass ein Einzelaspekt Priorität genießt: die allmähliche Verleihung des römischen Bürgerrechts, das 212 qua Constitutio Antoniniana schließlich alle Bewohner des Imperium erhalten. Das Erstaunen ist insofern gerechtfertigt, als in den folgenden Ausführungen die Tradition tatsächlich klar zugunsten der Aktualität überwiegt. An fünf Kapitel schließen sich ein Appendix, in dem die Beziehungen zwischen Rom und Indien bzw. China skizziert werden, sowie eine ausführliche Bibliographie nebst Sach- und Autorenregister an. Bancalari Molina stellt einleitend die unterschiedlichen Ansätze vor, die zurzeit in Bezug auf die Begrifflichkeit der Romanisierung diskutiert werden (I: La Romanización como proceso histórico de larga duración: fundamentos teóricos). Dann nimmt er das "modelo de sociedad" in den Blick, das sich im Imperium Romanum in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten herausgebildet habe (II: La teoría y el estudio de la Romanización: pluralidad de modelos; III: Grandes variables y factores del proceso de la Romanización). Dabei geht er von der Prämisse aus, dass der Prozess der Romanisierung als das Ergebnis eines politischen und kulturellen Willens zu verstehen sei, und zwar sowohl des Willens der Herrschenden als auch der Beherrschten. Insbesondere zwei Mechanismen hätten die Realisierung des Willens der Eliten der Provinzialen ermöglicht: zum einen die Öffnung der römischen Institutionen, also die Bekleidung von Ämtern, und zum anderen die pax romana, denn nur aufgrund des mit dem allgemeinen Friedenszustand einhergehenden Wohlergehens sei man bereit gewesen, Krieg als Mechanismus der Konfliktlösung durch Gesetze zu ersetzen. Da alle Provinzialen der gleichen Gesetzgebung unterstanden hätten, determinierte diese ihr Verhalten gleichermaßen und ermöglichte es ihnen, sich vor allem durch die Erlangung des Bürgerrechts langfristig in die römische Gesellschaft zu integrieren. Neben dieser zentralen Kategorie des römischen Rechts führt er zehn weitere an - unter anderen Infrastruktur, Technologie, Erziehung, Herrscherkult und "freie Marktwirtschaft" -, die den Akkulturationsprozess schließlich ermöglicht hätten und die er daher in ihrer "Nachhaltigkeit" beschreibt. Ausführungen zur Wahrnehmung und Beurteilung dieses Prozesses, zunächst in Form einer Interpretation von Autoren wie Aelius Aristides, Appian oder Tertullian (IV: Distintos testimonios sobre el mundo romano) und dann von Anmerkungen zum "global village" (V: De Roma a la Aldea Global), runden die Darstellung ab.
Da der Historiker, der an der Universidad de Concepción in Chile lehrt, bereits durch mehrere Publikationen auf dem Gebiet der Bürgerrechtspolitik hervorgetreten ist, [1] muss man den vorliegenden Titel wohl als Ergebnis seiner Bemühungen werten, das Fazit dieser Forschungstätigkeit in einen größeren Kontext stellen zu wollen. Das ist ihm auch gelungen: Bancalari Molina gibt einen fundierten Überblick über die Thematik. Über diese Ebene einer Beschreibung des Status quo kommt er allerdings nicht hinaus. So stellt er die Termini zwar zusammen, die den der Romanisierung ersetzen bzw. präzisieren sollten - beispielhaft seien hier nur Akkulturation, Assimilation, Kreolisierung, "cultural change" oder "self-Romanization" genannt -, nimmt jedoch zu diesem von der Forschung geforderten Paradigmenwechsel nur insofern Stellung, als dass er offensichtlich an dem traditionellen Begriff festhält. Das gilt auch für die Fokussierung des römischen Rechts. Eine Darstellung der Integrationsprozesse im Römischen Reich, die Einzelaspekte qua Forschungstradition derart in den Vordergrund stellt, muss sich vorwerfen lassen, die Erweiterung des Horizontes, die die Untersuchung des "Becoming Roman" in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, ignoriert zu haben. [2] Denn neben der deskriptiven Darstellung der Transformation fast aller Lebensverhältnisse unter dem Einfluss römischer Vorbilder steht die des Interesses der Rezipienten an dieser Übernahme. Gefragt wird nach den Triebkräften, Gründen, Inhalten, Möglichkeiten, Grenzen und Auswirkungen dieser umfassenden Assimilations- oder Integrationsprozesse. Gefragt wird sicher auch nach ihrer "Vorbildfunktion" - diese Frage hat Bancalari Molina nicht ignoriert, sondern wiederum auf die ihm eigene Art und Weise beantwortet: mit einer Zusammenstellung der Aussagen von Provinzialen, die sich - wie Aelius Aristides - in der Gleichsetzung von orbis Romanus und urbs einig sind: Roma communis nostra patria est. Erstaunt ist man bei der Lektüre dieses Buches also bis zur letzten Seite.
Anmerkungen:
[1] Alejandro Bancalari Molina: La Constitutio Antoniniana: aproximaciones, significado y características, in: Semanas de Estudios Romanos 9 (1998), 57-67; ders.: Sobre los efectos del Edicto de Caracalla: consideraciones histórico-jurídicas, in: Studi Classici e Orientali 47 (2001), 167-182; ders.: Coexistencia o enfrentamiento entre el derecho romano y los derechos locales de las provincias, in: Revista de Estudios Histórico-Jurídicos 26 (2004), 25-39.
[2] Einen hervorragenden Überblick bietet Géza Alföldy: Romanisation - Grundbegriff oder Fehlgriff? Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Erforschung von Integrationsprozessen im römischen Weltreich, in: Zsolt Visy (ed.): Limes XIX. Proceedings of the XIXth International Congress of Roman Frontier Studies held in Pécs, Hungary, September 2003, Pécs 2005, 25-56; siehe auch Greg Woolf: s.v. Romanisierung, in: DNP 10 (2001), 1122-1127.
Sabine Panzram