Werner Busch (Hg.): Verfeinertes Sehen. Optik und Farbe im 18. und frühen 19. Jahrhundert (= Schriften des Historischen Kollegs; 67), München: Oldenbourg 2008, IX + 227 S., 46 Abb., ISBN 978-3-486-58490-5, EUR 59,80
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"Verfeinertes Sehen. Optik und Farbe im 18. und 19. Jahrhundert" war der Titel einer nichtöffentlichen Tagung des Historischen Kollegs, die, von Werner Busch konzipiert, im Juni 2004 in München stattgefunden hatte und deren Ergebnisse bis vor kurzem dem interessierten Fachpublikum nur über den Tagungsbericht von Alexis Joachimides in der Kunstchronik zugänglich waren. Nun liegt der bereits seit längerem angekündigte Tagungsband vor. Erklärtes Ziel der Tagung war es, den Einfluss von Newtons experimentum crucis auf die bildenden Künste auszuloten; in einem weiteren Sinne ging es aber allgemein um die Bedeutung der physikalischen Optik auf dem Gebiet der Malerei und Druckgrafik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts.
Dass Newton auch für die Künste eine radikale Zäsur markierte, ist schon oft herausgestrichen worden, vielleicht am nachdrücklichsten von John Gage. Gage, der in seinen Forschungen zur Farbe immer wieder die korrelative Beziehung zwischen Naturwissenschaften und Künsten betont hat, sieht mit Newtons Erkenntnissen über die Natur der Farbe zwischen beiden Bereichen eine Kluft sich auftun. Die in dem Tagungsband versammelten Aufsätze, die Gage selbst mit einer äußerst amüsanten Etüde über die künstlerische Unterscheidung von "warmen" und "kalten" Farben bereichert, zeigen freilich wie lebhaft der Austausch zwischen beiden Sphären weiterhin blieb.
Das Thema des Tagungsbandes ist also nicht neu. Auch geht es nicht um eine grundlegende Revision des bislang Geleisteten, wohl aber lässt sich der Band - wenn man seinen Titel einmal auf diese Weise umdeuten darf - als eine facettenreiche Verfeinerung bisheriger Forschungsergebnisse verstehen. Sein Verdienst besteht vor allem darin, ein weites Spektrum unterschiedlichster künstlerischer Rezeptionen der Newtonschen Optik aufgetan zu haben und jenen Brechungen nachgegangen zu sein, die sich dort ergaben, wo die wissenschaftliche Theorie auf die künstlerische Praxis stieß.
So handelt der Band unter anderem von den Schwierigkeiten, die jeder Versuch, die neuen Erkenntnisse der Physik dem maltechnischen Handwerk zu vermitteln, schon deshalb bereiten musste, weil die Farbe, wie sie Newton begriff, nämlich als Bestandteil des Lichts, einfach anderer Natur war als die Pigmente, mit denen die Künstler alltäglich hantierten. Als ebenso mühsam erwies es sich, Newtons physikalische Optik mit der zeitgenössischen Wahrnehmungsphysiologie in Einklang zu bringen - ein Problem, dass auch die bildenden Künste zu spüren bekamen.
Die Beiträge zeigen zudem, auf welch unterschiedlichen Ebenen der Einfluss der physikalischen Optik auf die Malerei stattfinden konnte: Zu ihnen gehörte zunächst die motivische. Erst die Kenntnis von Newtons experimentum crucis erlaubte es etwa Constable, die Farben des Regenbogens in ihrer physikalisch korrekten Reihenfolge zu malen. Überraschender ist indes der Befund, dass auch die Maltechnik Constables eine intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit den zeitgenössischen Theorien über die Natur des Lichts verrät. Wie Monika Wagner in ihrem Beitrag nachweist, entsprachen die von der damaligen Kunstkritik so geschmähten weißen, mit dem Palettmesser aufgetragenen Farbpartikel, welche die Oberfläche von Constables Bildern überziehen, Vorstellungen vom Licht als einem materiellen "Agens", wie sie etwa in einem vom Künstler konsultierten und annotierten Traktat über die Chemie propagiert wurden. Tatsächlich setzte Constable sogar, indem er seine Gemälde wortwörtlich als "Experimente" bezeichnete, die maltechnische Ausführung seiner Werke mit der Realisierung physikalischer Versuche gleich.
Dass wissenschaftliche Theorien über die Natur von Licht und Farbe einen starken Einfluss auf die künstlerische Farbenlehre ausübten, wird niemanden ernsthaft in Erstaunen setzen. Aber in welchem Ausmaß auch die wissenschaftliche Praxis das künstlerische Tun beeinflusste, ist eine der spektakulärsten Erkenntnisse, die sich aus diesem Sammelband ziehen lassen. Das fängt bereits beim Arrangieren der Bildgegenstände an, die etwa in den Stillleben Chardins, wie Carolin Meister ausführt, so zueinander in Beziehung gesetzt werden, als handele es sich um einen Versuchsaufbau für ein optisches Experiment - mit dem einen Unterschied freilich, dass hier gewöhnlicher Hausrat das wissenschaftliche Instrumentarium ersetzt. Ein Silberbecher oder Wasserglas reichte dem Künstler oft aus, um ein intrikates Spiel an Spiegelungen und Brechungen zu entfalten, das die Farben von den "Körpern ihrer Träger" - zum Beispiel einem Pfirsich - ablöst, "um sie als entkörperte Effekte des Lichts vor den Augen des Betrachters auszubreiten" (140). Chardin, so die These, die Meister anhand einer Reihe subtiler Bildanalysen glaubhaft machen kann, habe also gleichsam Newtons Auffassung von der Natur der Farbe mit den Mitteln der Malerei Evidenz verliehen. Eine quasi-wissenschaftliche Herangehensweise zeichnete jedoch nicht nur den Stilllebenmaler aus, sondern auch den Landschaftler, der sich zu ihrer Betrachtung verschiedener Sehinstrumente bediente - darunter die Camera lucida, deren Gebrauch Erna Fiorentini in ihrem Beitrag beleuchtet.
Auf einer ganz anderen Ebene war der wissenschaftliche Anspruch der Kunst angesiedelt, wenn die Gemälde selbst als Sehexperiment oder sogar "Sehschulung" begriffen wurden (121). Marc Wellmann belegt in seinem feinsinnigen Beitrag eine solche Funktion für die Studienköpfe Balthasar Denners, die in ihrem irritierenden Wechsel von feinmalerischer Präzision und Unschärfeeffekten "geradezu didaktisch" die Konditionierung des Sehens vorführten (180). Ähnlich bestimmt Bettina Gockel die Weichgrundradierungen Gainsboroughs als Experimentierfeld, auf dem "Wissen über Funktionsweisen des Sehens erprobt und vermittelt" würde (124). Eine solche Funktion wird schließlich von Ulrike Boskamp auch dem Dreifarbendruck von Le Blon zugeschrieben. Dieser ist zwar schon des Öfteren im Zusammenhang mit der Theorie der Primärfarben diskutiert worden. Doch Boskamp wartet mit einer neuen Pointe auf, wenn sie den Farbendruck als Beitrag in einer von ihr eingehend nachgezeichneten Kontroverse begreift, die sich um die Frage drehte, wie die neuen Erkenntnisse der Optik mit der Physiologie des Auges in Deckung zu bringen seien. Demonstrierte der Dreifarbendruck zum einen, dass drei Farben ausreichten, um alle übrigen zu erzeugen - womit Newtons Annahme von sieben Primärfarben nach unten korrigiert wurde -, so lieferte er nach Boskamp zugleich auch das Modell für eine etwa zeitgleich aufgestellte Theorie der Farbwahrnehmung. Demnach war die Farbe, wie sie das Auge wahrnehme, stets als eine zusammengesetzte Sinneswahrnehmung (sensation composée) zu begreifen. Wenn Le Blon die drei Platten für den Druck mit roter, gelber und blauer Farbe, aus denen sich der Dreifarbendruck zusammensetzte, auch einzeln drucken ließ, also den Dreifarbendruck gleichsam in seine einfarbigen Komponenten zerlegte, so geschah dies nach Boskamp eben nicht nur, um das Mischungsverhältnis offen zu legen, sondern auch, um die jener Theorie zufolge vom Auge bei der Wahrnehmung von Farbe stets geleistete Addition anschaulich zu machen.
Die inhaltliche Dichte von "Verfeinertes Sehen" verdankt sich wohl nicht zuletzt dem Umstand, dass eine Reihe der hier versammelten Beitrage aus mittlerweile teils bereits publizierten Dissertations- und Habilitationsprojekten hervorgegangen ist. Dem Herausgeber und den Autoren ist jedenfalls zu einer sehr gelungenen Publikation zu gratulieren.
Matthias Krüger