Hans Dickel: Künstlerbücher mit Photographie seit 1960, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2008, XVIII + 258 S., ISBN 978-3-921743-54-6, EUR 79,00
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Es ist ein scheinbar abseitiges Thema, das sich hinter dem etwas umständlichen Titel dieses Buches verbirgt: das Künstlerbuch, das sich primär auf die Bildform der Fotografie stützt. Natürlich hat diese künstlerische Form eine lange Tradition in der Moderne, die sich über Karl Bloßfeldts "Urformen der Kunst" (1928), August Sanders "Antlitz der Zeit" (1929) bis hin zu Robert Franks "The Americans" (1958/59) erstreckt, doch Hans Dickel hat mit seinem gewählten Zeitraum "seit 1960" einen klugen Akzent gesetzt. Abgesehen von der stets willkürlich wirkenden Wahl eines Schnitts im Jahre 1960, die sich unreflektiert durch unser Fach zieht - was ist in diesem Jahr eigentlich welt- oder kunstgeschichtlich Entscheidendes geschehen? -, hat sich nämlich gerade im Zuge der Minimal und Conceptual Art der Sechziger- und Siebzigerjahre eine ebenso neue wie bedeutende Kunstform entwickelt, in deren Zuge das Medium des (Künstler-)Buchs eine neue Wertigkeit gewinnt. Die Kunst jener Zeit wiederum ist ohne die Foto-Bücher nicht zu verstehen. Von einem marginalen Erzeugnis für Liebhaber und Sammler hat sich der Stellenwert des Buches seit dieser Zeit fundamental gewandelt.
In seiner knappen, aber konzisen Einleitung charakterisiert Hans Dickel die wesentlichen Besonderheiten dieser Foto-Bücher und lokalisiert sie in dem entsprechenden künstlerischen Kontext. Sowohl in den USA wie auch in Europa artikulieren sich neue Wahrnehmungsformen sowie neue, durchaus dem Kunstmarkt gegenüber kritische Distributionsformen, die in diesen Fotobüchern zugleich auch die parallel verlaufende künstlerische Emanzipation der Fotografie widerspiegeln. "Das Buch als ein Reflexion stiftendes Medium (der Kunst) und die Abbildungsqualität der Photographie als Medium der Wirklichkeit zu komplementären Größen gemacht zu haben, ist ein für die Entwicklung der modernen und gegenwärtigen Kunst generell wichtiger Beitrag der Künstlerbücher mit Photographie seit 1960, der kaum überschätzt werden kann" (XIV), resümiert Dickel deswegen auch zu Recht.
Im Anschluss daran verweist er hellsichtig auch darauf, dass sich die Funktion des Foto-Buchs seit den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts geändert hat (vgl. XV), da der Status der Fotografie im Konzert der Kunst nicht länger auf eine anti-ästhetische Tendenz beschränkt ist. Zählen die Bücher von Ed Ruscha, Dieter Roth, Hans-Peter Feldmann oder Sol LeWitt bereits zu den schnell gealterten Klassikern einer so genannten "Gegenwartskunst", die heute immer noch 1960 beginnt, so setzt mit Martin Kippenberger, Fischli & Weiss, Sophie Calle, Nan Goldin oder Thomas Hirschhorn eine andere Zeit ein. Geblieben aber ist, so Dickel, das kritische Potential derartiger Bücher, "die als Intervention in die massenmedial überformte Informationsgesellschaft" (XVI) ragen.
Die Einleitung der Publikation ist von einer beeindruckenden Prägnanz und Klarheit, zeugt von ausführlicher Kenntnis der überschaubaren Literatur zum Thema [1] und wird als gut lesbare Einführung eine wichtige Grundlage für weitere Überlegungen (z.B. zur künstlerischen Rezeption dieser Bücher) bleiben. Der Hauptteil des Buches, das weiß auch Dickel (vgl. XVI), hätte aufgrund der unvermeidbaren Subjektivität der Auswahl auch etwas anders aussehen können. Nach der allgemein gehaltenen Einführung geht es dort nämlich um die Konkretisierung. Anhand der exemplarischen Einzelbetrachtungen von insgesamt 31 Fotobüchern, die zwischen 1963 (Ed Ruscha: Twentysix Gasoline Stations) und 2005 (Candida Höfer: Bibliotheken) entstanden sind, wird ein Stück neuerer Kunstgeschichte wahrlich vor Augen geführt. Dickels Vorgehensweise ist dabei nicht neu, aber stets angemessen und kompetent: Nach einer zweiseitigen Beschreibung kann der Leser stets durch eine fünfseitige Abbildungssequenz die Illusion gewinnen, selbst durch das entsprechende Künstlerbuch zu blättern. Die Abbildungen bleiben dabei in wohltuender Weise immer als Abbildungen aus Büchern erkennbar und geben nicht vor, das wirkliche Buch ersetzen zu wollen.
Natürlich wird fast jeder Kenner dieses Metiers das ein oder andere Buch vermissen und hätte stattdessen auf Einiges verzichten können. An dieser Stelle könnte jeder fachkundige Rezensent sein eigenes Wissen eitel darstellen. Doch dieser wirklich müßige Einwand gegenüber der Auswahl der Beispiele wiegt kaum schwer, denn obwohl Dickel keineswegs den Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit erhebt, gelingt es insgesamt mit seiner Auswahl und den auch en detail rundum überzeugenden Kommentaren dennoch ein schlüssiges Gesamtbild zu zeichnen. So ist ein ebenso schlicht wie schön gestaltetes Buch entstanden, das als Kompendium zum künstlerischen Foto-Buch der Gegenwart in keiner guten Bibliothek fehlen sollte.
Anmerkung:
[1] Übersehen hat er lediglich das bereits vergriffene, umfangreiche Kompendium: The Book of 101 Books. Seminal Photographic Books of the Twentieth Century, hg. von Andrew Roth, New York 2001.
Stefan Gronert