Rezension über:

John Warne Monroe: Laboratories of Faith. Mesmerism, Spiritism, and Occultism in Modern France, Ithaca / London: Cornell University Press 2008, XI + 293 S., ISBN 978-0-8014-4562-0, GBP 19,50
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Rezension von:
Joachim Schmiedl
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Schmiedl: Rezension von: John Warne Monroe: Laboratories of Faith. Mesmerism, Spiritism, and Occultism in Modern France, Ithaca / London: Cornell University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/15950.html


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John Warne Monroe: Laboratories of Faith

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Glauben und Wissen miteinander in Einklang zu bringen, war zu keiner Zeit leicht. Wenn vonseiten der großen Weltreligionen immer wieder die Rolle der Vernunft bei der Erklärung der Welt eingefordert wird, bleibt dennoch die Erfahrung bestehen, dass das Sichtbare allein nicht die ganze Wirklichkeit darstellt. Das Geistige - ob nun spirituell oder spiritistisch benannt - und das Verborgene, Okkulte, ist für menschliche Neugierde gerade deshalb interessant, weil es nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Solchen spiritistisch-okkultistischen Phänomenen geht die Untersuchung von John Warne Monroe nach.

Die Geistesgeschichte Frankreichs war im 19. Jahrhundert von einer doppelten Strömung geprägt. Auf der einen Seite gab es in der Nachwirkung von Aufklärung und Französischer Revolution eine starke rationalistische Richtung, die bei einem Teil der Bevölkerung zu antiklerikalen und antichristlichen Äußerungen führte. Eine Linie führt von 1789 zum Gesetz der Trennung von Kirche und Staat und den katholizismusfeindlichen Gesetzen von 1905. Auf der anderen Seite war das 19. in Frankreich ein sehr frommes Jahrhundert mit einem Aufblühen des katholischen Lebens und einer Reihe von Marienerscheinungen, von denen Lourdes am bedeutendsten wurde. Rationalismus und Irrationalismus in Einklang zu bringen, war also durchaus eine Forderung der Zeit.

Monroe untersucht auf diesem Hintergrund die Entwicklung von Spiritismus und Okkultismus zwischen der Revolution von 1848 und dem Ersten Weltkrieg. In fünf großen Durchgängen arbeitet er heraus, dass die Vertreter des Irrationalen ihre Erlebnisse mit rationalen Thesen zu begründen suchten. Der Titel "Laboratorien des Glaubens" begründet sich von daher.

Es begann im April 1853, als französische Zeitungen über Experimente mit Tischerücken ("tables tournantes") berichteten. Zunächst über Klopfen, dann über automatisches Schreiben wurde in kleinen Zirkeln Kontakt mit Toten aufgenommen. Berühmte Franzosen aus der Vergangenheit erschienen und gaben Kommentare zur politischen Lage ab. Katholische Bischöfe verurteilten solche Séancen als diabolisch. Die Akademie der Wissenschaften versuchte eine wissenschaftliche Erklärung, die revolutionäre Linke sah sich durch jenseitige Botschaften in ihrem republikanischen Ideal bestätigt.

Eine Erklärung für die über menschliche Medien vermittelten Botschaften aus dem Jenseits sah man im tierischen Magnetismus, der in Frankreich seit 1778 durch Franz Anton Mesmer bekannt war. Doch die Experimente schadeten dem Mesmerismus und seinen Anhängern. Mit magnetischen Wellen kam man den rückenden Tischen und ihren jenseitigen Botschaften nicht auf den Grund. Das Interesse daran aber war größer als an den Magnetiseuren. Dafür sorgte ein ehemaliger Lehrer, Hippolyte Léon Dénizard Rivail, der auf Anordnung eines Mediums seinen Namen in Allan Kardec änderte. Mit einer Reihe von Büchern suchte Kardec dem Geisterglauben eine systematische Struktur und einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Über die Zeitschrift "Revue spirite" organisierte er seine Anhänger, durch die eine akademische Gesellschaft steuerte er Philosophie und Praxis des Spiritismus, zu dem es auch einige publizistisch ausgeschlachtete Konversionen zu verzeichnen gab. Auch wenn Kardec sich um die Vereinbarkeit von Spiritismus und Katholizismus mühte, wurden seine Werke 1864 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt.

Nach Kardecs Tod setzten seine Anhänger ihm auf dem Friedhof Père Lachaise ein monumentales Grabmal aus keltischen Dolmen. Die ersten Jahrgedächtnisse zogen viele Anhänger an. Doch unter dem neuen Leiter, Pierre-Gaëtan Leymarie, wurde der Spiritismus einer Prüfung unterzogen. In der Fotografie sahen die Spiritisten eine Möglichkeit, die Existenz von Geistern zu "beweisen". In der Tat kursierten Fotos von Spiritisten mit den schemenhaften Zügen ihrer "Geister" im Hintergrund, unter anderem von der Witwe Allan Kardecs mit ihrem verstorbenen Mann. Es kam zu polizeilichen Untersuchungen, Verhaftungen und Gerichtsverfahren. Spiritistischer Rationalismus musste sich gesetzlicher Vernünftigkeit konfrontieren. Das Presseecho tat ein Übriges, um den Spiritismus vorerst zu diskreditieren.

Doch er kam wieder. Dazu trug die neue wissenschaftliche Disziplin der Psychologie bei. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Experimentalpsychologie beschäftigte sich mit Hypnose. Darin wurde vorerst ein Weg zur Erklärung spiritistischer Phänomene und des "Ich" in seinen vielfältigen Erscheinungsformen gesehen. Doch diese Erklärungsmöglichkeiten stürzten den Spiritismus gleichzeitig in eine große Krise. Auftrieb bekam er erst durch die Synthese mit dem von der russischen Emigrantin Helene Petrovna Blavatsky begründeten Okkultismus, der seine organisatorische Stütze in der Theosophischen Gesellschaft hatte. Geheimkulte und ordensähnliche Gemeinschaften bildeten sich. Hier konnte der Spiritismus andocken und eine neue Heimat finden.

Monroe kann zeigen, dass die von ihm beschriebene Strömung Nachfolger fand: in den französischen Traditionalisten, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine "philosophia perennis" quer zu allen religiösen und kulturellen Richtungen suchten; in den Surrealisten, für die automatisches Schreiben eine Inspirationsquelle darstellte; im UFO-Glauben der Kriegs- und Nachkriegszeit und im New Age der 1960er- und 1970er-Jahre. So bleibt die Studie des an der Iowa State University lehrenden Amerikaners nicht nur eine Untersuchung von Episoden der Geistes- und Geistergeschichte des 19. Jahrhunderts in Frankreich, sondern zeigt die Nachwirkungen bis heute auf. Die vom Autor hervorragend gelöste Quellenproblematik - viele Quellen sind nicht in Mainstream-Zeitschriften und zentralen Bibliotheken verfügbar - gilt freilich für eine Weiterführung des Themas bis heute. Doch das gilt genauso für die Versöhnung von Glaube und Vernunft in den unterschiedlichen Formen der orthodoxen und heterodoxen Religiosität.

Joachim Schmiedl