Hans Dieter Stöver: Der Sieg über Varus. Die Germanen gegen die Weltmacht Rom, München: dtv 2009, 400 S., ISBN 978-3-423-24733-7, EUR 14,90
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Stövers Buch ist eine Mischung aus populärwissenschaftlicher Darstellung und Roman. In insgesamt 24 sogenannten "Szenen" verfolgt der Leser das Schicksal des fiktiven Legionärs Sextus Pedius, der die Varusschlacht überlebt und 15 n.Chr. mit dem Heer des Germanicus das Schlachtfeld noch einmal aufsucht. Dabei beginnt die Erzählung mit dem Zug des Germanicus und der Bestattung der Gefallenen. Danach kommt eine Rückblende in das Jahr 7 n.Chr., als Pedius nach Germanien versetzt wird, und ab diesem Punkt werden die Ereignisse dann bis zur Schlacht zwei Jahre später geschildert. Unterbrochen werden die "Szenen" immer wieder durch Sachkapitel, in denen Stöver den jeweiligen Kontext erläutert oder weiterführende Bemerkungen macht. Dies reicht von einer einfachen Antwort auf die Frage "Was ist eine römische Provinz?" (123-126) bis hin zu Überlegungen von welthistorischem Format, wenn es um "Die Folgen der Schlacht" geht (374-379). Zusätzlich zu den Sachkapiteln ist an vier Stellen die Rubrik "Fragen an den Experten" eingeschoben, in der Stöver verschiedene Themen in Form eines Interviews mit einem Spezialisten aufarbeitet. So erklärt Armin Becker, der Leiter der Ausgrabungen von Waldgirmes, die Bedeutung seiner Grabung (93-99). Siegmar von Schnurbein, der ehemalige Direktor der Römisch-Germanischen Kommission, gibt Auskunft über die Lage in Germanien kurz vor dem Aufstand des Arminius (218-226), Wolfgang Schlüter vom niedersächsischen Landesdenkmalamt verteidigt die Lokalisierung der Schlacht in Kalkriese (315-324) und General a.D. Klaus Reinhardt beleuchtet das Geschehen aus militärhistorischer Sicht (339-352).
Der Anspruch des Buches erscheint vor diesem Hintergrund klar: Stöver will den Leser nicht nur auf neuestem Stand umfassend und korrekt informieren, sondern zugleich auch gute Unterhaltung bieten. Ob Letzteres in den narrativen Abschnitten gelungen ist, bleibt am Ende selbstverständlich Geschmackssache, aber es ist doch ganz witzig, wie Stöver z.B. auf die Loreleysage anspielt (87-88) oder durch die Hintertür die Gleichsetzung von Arminius und Siegfried ins Spiel bringt (die im Sachteil weiter unten zum Glück dann relativiert wird, vgl. 158 mit 378). Wirklich gelungen ist die Darstellung, wie die Einmischung der Römer in Rechtsstreitigkeiten zu Verbitterung und Hass der Einheimischen auf die neuen Herren geführt haben dürfte (241-260). Ansonsten gilt die Faustregel: Wer früher gerne Karl May gelesen hat, dem wird auch Stövers Erzählung gefallen (und umgekehrt!).
Leider gibt es an den Sachabschnitten jede Menge auszusetzen: So wirkt die Darstellung der Prinzipatsordnung umständlich und unklar (36-43) und beim Thema "Romanisierung" (109ff.) wäre es besser gewesen, sich nicht nur auf Ausstellungskataloge zu stützen. [1] Daran, dass Arminius als Geisel in Rom aufwuchs, glaubt heute wirklich niemand mehr, Stöver irrt sich, wenn er dies für unbestritten hält (176ff.). Dass es zu Augustus' Zeiten nur 300 Senatoren gab (172), ist falsch, doch der Fehler ist von Markus Junkelmann abgeschrieben. Falsch verstanden wurde Junkelmanns Berechnung der Länge der Marschkolonnen: Wenn dieser meint, dass "Armeen der Größenordnung, wie sie 15 v.Chr. von Drusus und Tiberius kommandiert wurden", auf dem Marsch eine Kolonne von 15 bis 20 Kilometer Länge ergeben, dann heißt das natürlich nicht, dass man pro Legion 15 bis 20 Kilometer rechnen dürfte (307). Dass das Heer des Varus natürlich auf keinen Fall 45 bis 60 Kilometer lang gewesen sein kann, ist auch Stöver klar, aber er bemerkt seinen Rechenfehler nicht (327-328). Recht einseitig ist die Festlegung Stövers auf Kalkriese als Örtlichkeit der Varusschlacht. Man hätte doch wenigstens die wichtigsten Gegenargumente nennen können. [2] Äußerst befremdlich wirkt in diesem Zusammenhang dann das folgende Zitat: "Unter den historischen Wissenschaften ist die Archäologie am unbestechlichsten! Anders als manche Philologen und Historiker neigen Archäologen nicht dazu, sich das Geschehen, das sich hinter den Bodenfunden verbirgt, zurechtzubiegen, damit es in das Prokrustesbett vorgefaßter Meinungen oder Programme passt." (270) - Wirklich?
All das betrifft freilich nur Details. Insgesamt lässt das Buch allerdings eine klare Deutung der Vorgänge vermissen, zum Teil werden auf engstem Raum sogar entgegengesetzte Meinungen verbunden: Wenn Varus von Anfang an militärisch "keine Chance" hatte (348), wie kann man dann gleichzeitig der Ansicht sein, dass Arminius "unglaublich Glück" hatte, weil "sein Angriff ins Zentrum [...] sofort zum Erfolg" führte (351)? Und wenn man die Bedeutung von Waldgirmes als Indiz für eine weit vorangeschrittene Romanisierung anerkennt (36-43 und öfters), dann kann man nicht mehr sagen, dass Varus und Augustus/Tiberius die Provinzialisierung Germaniens zu schnell betrieben hätten, oder gar, dass die Katastrophe grundsätzlich darauf zurückzuführen ist, dass man ein vollkommen unterentwickeltes Land in eine Provinz verwandeln wollte (vgl. z.B. 344-345); als ob dies unmöglich gewesen wäre: Was ist denn mit Pannonien und Illyrien?
Das Buch hinterlässt am Ende also ein recht zwiespältiges Gefühl und dazu passt es dann auch, dass die eigentliche strukturelle Erkenntnis, die man den Ereignissen um Varus und Arminius abgewinnen kann, auf der Strecke bleibt. Man sollte sich nämlich fragen, wieso die Römer damals nicht einfach, wie noch zu republikanischen Zeiten, immer neue Legionen aufgestellt und den Krieg mit erdrückender Übermacht dann bis zum Sieg durchgefochten haben. Gerade den Hannibalkrieg (und auch andere Konflikte des 3. und 2. Jahrhunderts v.Chr.) hat Rom doch nur deswegen gewonnen, weil es über ein unerschöpfliches Rekrutierungsreservoir verfügte, mit dem es alle Niederlagen, die es ja reichlich gab, ausgleichen konnte. Eine Kriegführung dieser Art war im Prinzipat jedoch schlicht und ergreifend aus herrschaftstechnischen Gründen nicht mehr möglich; das teure stehende Berufsheer, das die Kaiser als Machtbasis brauchten, konnte schon wegen der damit verbundenen Kosten nicht ad infinitum vergrößert werden, und außerdem wäre eine unkontrollierte Truppenvermehrung auch gefährlich gewesen. Dies führte bereits unter Augustus zu überdehnten Grenzen und es ist kein Zufall, dass die römische Expansion damals zum Stehen kam. Das aber heißt: Wenn Varus sich im Teutoburger Wald behauptet hätte, dann wäre eben an der Elbe Schluss gewesen, das Ende der Fahnenstange war erreicht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. stattdessen Greg Woolf: Becoming Roman. The origins of provincial civilization in Gaul, Cambridge u.a. 1998.
[2] Vgl. dazu Reinhard Wolters: Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien, München 2008, v.a. 161ff.
Hartmut Blum