Rezension über:

Antonio Brucculeri: Louis Hautecœur et l'architecture classique en France. Du dessein historique à l'action publique, Paris: Éditions A. et J. Picard 2007, 448 S., ISBN 978-2-7084-0802-9, EUR 69,00
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Rezension von:
Sabine Frommel
École Pratique des Hautes Études, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Frommel: Rezension von: Antonio Brucculeri: Louis Hautecœur et l'architecture classique en France. Du dessein historique à l'action publique, Paris: Éditions A. et J. Picard 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/17101.html


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Antonio Brucculeri: Louis Hautecœur et l'architecture classique en France.

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Louis Hautecœur (1884-1973) kann als Ikone der französischen Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts gelten. Die Histoire de l'Architecture classique en France in sieben Bänden (1943-1957), die Lehrtätigkeit an der Pariser école des beaux arts (1925-1940) und seine Leistungen in der Kulturpolitik machten ihn über die Grenzen seines Faches hinaus bekannt. Sein Interesse, das außer die Geschichte der Baukunst auch zeitgenössische Aufgaben umfasste, sicherte ihm eine Stimme in künstlerischen Entscheidungen seit dem Ende des Ersten Weltkriegs bis in die frühen Fünfzigerjahre. Antonio Brucculeri stellt sein opus magnum in einen breiten politischen und kulturellen Kontext, wobei es ihm gelingt, die Entwicklung von Hautecœurs Konzept des Klassizismus nachzuvollziehen, das sich wie ein roter Faden durch seine sämtlichen wissenschaftlichen, didaktischen und öffentlichen Aktivitäten zieht.

Der Sohn eines Händlers von Stichen wuchs im Milieu von Pariser Kaufleuten in katholischem Glauben und einer konservativen Haltung auf. Indem er die grands lycées und dann die École normale supérieure und die École Française de Rome besuchte, blieb er dem republikanischen Elitedenken der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts treu. Als er sich 1905 bei Henry Lemonnier an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Sorbonne einschrieb, verlagerte sich sein Interesse von der allgemeinen Geschichte in Richtung hin auf die Kunstgeschichte. An der École française de Rome (1908-1910) und am Französischen Institut in Sankt Petersburg (1911-1913) empfing er entscheidende Impulse, die sich in seiner Doktorarbeit über "Rom und die Renaissance von der Antike bis zum späten 18.Jahrhundert" und in einer zusätzlichen Dissertation über "Klassische Architektur in Sankt Petersburg am Ende des 18.Jahrhunderts" niederschlugen. Seine Wanderjahre setzte er während des Ersten Weltkriegs fort, als er in der Schweiz und in Italien für das französische Außenministerium Berichte über das soziale, wirtschaftliche und politische Leben verfasste, die sein Interesse für nationale Eigenheiten verschärften.

Brucculeri weist nach, wie derartige Beobachtungen über autochthone Energien, deren Einfluss vom Fühlen, Glauben und Denken ethnischer Gruppen bis hin zur Bildung von Staaten und Nationen reicht, Hautecœurs Vorstellung des Klassizismus prägten. Nachdem er 1928 den Vertrag der Histoire de l'architecture classique en France mit dem Pariser Verleger Picard unterzeichnet hatte, vergingen allerdings fünfzehn Jahre bis zum Erscheinen des ersten Bandes. Wenn der Architekturhistoriker dort bedauerte, dass umfassende Darstellungen dieser Art bisher ausschließlich von ausländischen Kollegen mit ungenügenden Kenntnissen Frankreichs unternommen worden waren, - Heinrich von Geymüller, William Henry Ward und Reginald Theodore Bloomfield -, so ist der nationalistische Tenor unüberhörbar.

Die Architecture classique versucht, die französische Baukunst von der Renaissance bis 1900 als einen historischen Zyklus darzustellen, in dem Geburt, Höhepunkt und Verfall aufeinander folgen. Hautecœur stützt sich auf eine klassifikatorische Methode, die die Entwicklung der Phänomene als einen durch Deduktion bestimmten logischen Prozess betrachtet. Die formalen Genesen werden durch typologische Untersuchungen anhand von Grundrissen und Aufrissen aufgezeigt, während die rigorose Trennung von religiöser und ziviler Architektur gegenseitige Befruchtungen verbirgt. Ziel ist es, Wesen und Geist der nationalen Baukunst und damit ihre Identität zu erkennen. Als kennzeichnende Züge treten ein ausgeprägter Rationalismus hervor, wie er schon in der gotischen Architektur voll entwickelt ist, sowie eine Dialektik zwischen logischer Disposition und dekorativer Freiheit. Da der französischen Kunst die Fähigkeit innewohnt, ihre italienischen Modelle in den Schatten zu stellen, dringt sie unaufhaltsam zum Primat vor. Bildete das künstlerische Genie die Materie nach unveränderlichen, der Kultur innewohnenden Faktoren, so gefährdeten wissenschaftliche, technische und materialistiche Komponenten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gleichgewicht zwischen Ratio und Empfindung. Zwar besticht die Gelehrsamkeit Hautecœurs, doch konnten methodische Schwächen nicht verborgen bleiben. Anthony Blunt kritisierte die idealisierten, allzu linearen Entwicklungen sowie das Fehlen einer klaren Struktur und einer Synthese.

Durchdrungen von einer stark nationalistischen Komponente und einer wahrhaften Besessenheit für französische Modelle sind die Veröffentlichungen des Pariser Architekturhistorikers der Zwanzigerjahre beim belgischen Verleger Gérard van Oest über Architektur und Dekoration, wobei regionale Klassizismen und der französische Pluralismus im Zentrum stehen: In einem Orchester hat jedes Instrument sein Timbre und dennoch ist die Harmonie vollkommen. Sukzessive Veränderungen des architektonischen Organismus beschäftigten ihn in der Architekturgeschichte der Residenzen des Louvre und der Tuileries unter Ludwig XIV. (1927), als einem Ensemble, das sogar nach der Konvertierung zum Museum eine erstaunliche Homogenität bewahrt, die die französische Kontinuität exemplarisch bezeugt. Die italienischen Meister, die am Wettbewerb von 1664/65 teilnahmen, kamen natürlich entsprechend schlecht weg: Der akademische Rationalismus der Franzosen stand der pittoresken Phantasie der italienischen Dekorateure gegenüber. Es scheint, als habe der Zweite Weltkrieg das Interesse Hautecœurs für die französische Identität und das opus francigenum noch verstärkt, die er in L'architecture française (1950) in ihren verschiedenen Facetten von der Antike bis zur zeitgenössischen Architektur aufzeigte.

Architekturaustellungen der Zwanziger- und Dreißigerjahre boten eine Tribüne der öffentlichen Aktion, in denen Hautecœur die Verbindung zwischen Geschichte und aktueller Baukunst zu festigen suchte. 1933, anlässlich der Ausstellung zur zeitgenössischen französischen Architektur, wies er stolz auf die Errungenschaften der jüngsten Zeit hin: wo sich die französische Überlegenheit auf die Intelligenz und die Kunst zurückziehen muss. Wenn Auguste Perret als Protagonist des neuen Klassizismus gerühmt wurde, so schloss die Forderung nach autochthonen Essenzen Le Corbusier aus dem Olymp aus.

Als Chefredakteur von L'Architecture forderte Hautecœur einen Klassizismus, der das kulturelle Erbe in rationalen Bauwerken neu interpretiert und, wie in Perret's Kirche von Notre-Dame du Raincy, Technik und Form in Einklang bringt. Kubische Baukörper und Standardisierungen sind hingegen Zielscheiben seiner Kritik, deren Distanz zu Positionen der avant-garde aufs Deutlichste hervortritt. Seine Betrachtungen über die Wirkung von Materialien, verglaste Wände als nobelste Füllung oder einiger standardisierter Systeme als Wiedererweckung von Bramantes rhythmischer Travée, konnten die Architekten nur befremden; und so traf seine Stimme im Gegensatz zu jener von Gustavo Giovannoni, der ähnliche Positionen verteidigte und als Ingenieur und Historiker in Rom eine bedeutende Schule begründete, kaum ins Herz der Société centrale des architectes. Schließlich verschärfte sich in der Revue sogar die Kluft zwichen Geschichte und Aktualität: Die Versuche, eine Architekturgeschichte einzuführen, die wissenschaftliche Methoden und spezifische Auseindersetzungen der architektonischen Praxis verbindet, scheiterten.

Auch in seiner Universitätskarriere blieben Hautecœur Niederlagen nicht erspart. Nachdem ihn die école des beaux arts in Paris 1925 berufen hatte, prangerte er den Eklektizismus und die sterile Anwendung historischer Formen an und schlug eine umfassende didaktische Reform der Architekturgeschichte vor: Statt die Köpfe der jungen Architekten mit Fakten, Namen und Daten vollzustopfen, gilt es, ihnen durch ausgewählte Beispiele und detaillierte Analysen zu zeigen, wie die Meister der Vergangenheit vorgingen. So sollte etwa die grafische Rekonstruktion eines Bauwerks, eine traditionelle Aufgabe der Schüler, ein umfassendes systematisches Studium aller archäologischen Quellen, sowohl der schriftlichen als auch der grafischen, umfassen. Die konservativ gestimmte Institution würdigte die Vorschläge jedoch erst 1933. Von Juli 1940 an beschäftigte sich Hautecœur im Auftrag der Vichy-Regierung mit der Modernisierung des Denkmalschutzes. Er erließ neue Bestimmungen in der Organisation von Museen sowie im Bereich der Archäologie und setzte an der école des beaux arts eine Sektion der hautes études, der Eliteausbildung, durch.

Nach dem Krieg war die neue politische Konjunktur den Verwaltern der Vichy-Regierung wenig günstig und so zog sich Hautecœur als ancien secrétaire général des Beaux Arts nach Genf zurück, wo er von 1946 bis 1949 Kunstgechichte lehrte. Probleme des Wiederaufbaus und dessen Finanzierung sollten es ihm dann erlauben, an der französischen Debatte im Rahmen des Centre national pour l'amélioration de l'habitation (1949-55) wieder teilzunehmen.

Gelingt es Antonio Brucculeri, die Entwicklung der L'histoire de l'architecture classique en France zu beleuchten und die Parallelen zwischen diesem gigantischen Unternehmen und dem öffentlichen Wirken des französischen Historikers aufzuzeigen, so erstaunt seine unbeteiligte Haltung gegenüber dem Menschen Louis Hautecœur und dessen dunklen Seiten, wie etwa der nationalistischen, zeitweilig antisemitischen Einstellung und seinem Mitwirken an der Regierung Pétain. Es wird weiteren Studien vorbehalten bleiben, die wissenschaftlichen Leistungen Hauteœurs zu würdigen und den Einfluss seiner Schriften auf die französische Architekturgeschichte auszuloten. Dabei ist zu befürchten, dass deren Entfaltung durch das Bild einer zyklischen Entwicklung, den klassifizierenden und uniformierenden Ansatz, die auf das französische Primat gegründete und weitgehend im Positivismus des 19.Jahrhunderts verhaftete Methode eher gehemmt und verlangsamt wurde.

Sabine Frommel