Georg Braun / Franz Hogenberg: Städte der Welt. 363 Kupferstiche revolutionieren das Weltbild. Gesamtausgabe der kolorierten Tafeln 1572-1617. Nach dem Original des Historischen Museums Frankfurt hrsg. v. Stephan Füssel, Köln: Taschen Verlag 2008, 501 S., 363 farbige zum Teil
ausklappbare Tafeln sowie 49 (meist farbige) Abb., ISBN 978-3-8365-1125-4, EUR 150,00
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Georg Braun und Franz Hogenberg hatten Anfang der 1570er-Jahre, nur kurz nach dem Erscheinen von Abraham Ortelius "Theatrum orbis terrarum" (1570), das aktuelle Länderkarten in dem ersten frühneuzeitlichen Atlas vereinte, die herausragende Idee, in Ergänzung dieses Werkes ein Buch mit Ansichten aller Städte der Welt herauszugeben und die topografisch erfassten, meist in Karten oder Vogelschauperspektiven dargestellten Städte mit Texten zu Geschichte und Ökonomie zu ergänzen. Ihre Unternehmung zog sich mehrere Jahrzehnte hin und brachte schließlich sechs Bände hervor, die neben den verständlicherweise überwiegend europäischen auch eine große Anzahl außereuropäischer Städte versammelte, von denen Kartenmaterial zu erhalten war.
Bisher lagen zwei von Max Schefold und Raleigh Ashlin Skelton wissenschaftlich kommentierte Faksimiles dieses für das Verständnis der frühneuzeitlichen Stadt unschätzbar wichtigen Kompendiums aus dem Jahr 1965 vor, die zwar in den Lesesälen aller Kartenabteilungen zu finden, aber schon lange nicht mehr im Buchhandel zu erhalten sind. Angesichts dessen und sicher auch angesichts eines derzeit besonders breiten Interesses an historischem Kartenmaterial hat sich der Taschen-Verlag entschlossen, eine Neuausgabe zu produzieren. Diese ist - anders als die früheren - nicht mehrbändig, sondern vereint das opulente Material in einem einzigen großformatigen Band (44 x 29 cm), dessen Gewicht vom Verlag mit 6778g angegeben wird. Mit einem Preis von 150 Euro ist er nun nicht nur von Forschungsinstituten, sondern auch von interessierten Laien zu erstehen und ermöglicht es, die kolorierten Stadtansichten, die nach einem Exemplar des Frankfurter Historischen Museums faksimiliert wurden, wenngleich mit einer gewissen Kraftanstrengung, in Ruhe zu Hause anzusehen.
Während diese Verfügbarkeit des Kartenmaterials, das über ein Stadtregister gut erschlossen ist, höchst erfreulich ist, fragt sich jedoch, wie der editorische Apparat, der aus einer allgemeinverständlichen Einleitung in Entstehung und Aufbau des Werkes sowie katalogartig abgehandelten Einträgen zu den einzelnen Karten und einem ausführlichen Literaturverzeichnis besteht, tatsächlich genutzt werden kann und wie er sich in den aktuellen Diskurs der Kartenkritik einpasst.
Sehr informativ und gut geschrieben ist die Einleitung des Herausgebers Stephan Füssel. Er ordnet die civitates in die Tradition der Chroniken und Atlanten ein, erklärt die Vorteile des noch jungen Kupferstichs und rekonstruiert prägnant das Netzwerk der Kartenlieferanten und Stecher. Zudem erläutert er die Textquellen, die Georg Braun verwendet hat, stellt dessen Biografie sowie die Biografien von Franz Hogenberg, Jacob van Deventer und Georg Hoefnagel vor und geht abschließend auf die ethnografischen Zusätze, das editorische Unterfangen und knapp auch die Rezeptionsgeschichte ein. Einziges Manko ist eine bildkritische Auseinandersetzung mit den Karten, wie sie seit einigen Jahren gefordert wird. [1]
Die Katalogbeiträge setzen sich wie folgt zusammen: An erster Stelle steht die meist vollständige Übersetzung des oder der Kartuschentexte/s. Widmungsgedichte werden nur in kurzen Erläuterungen eingeordnet, und aus den "jeweils reichen" Kommentaren von Georg Braun werden "sprechende Zitate" ausgewählt (41). Der folgende Kommentar des Bearbeiters enthält eine an Brauns Text orientierte Bildbeschreibung, eine kurze Darstellung der Stadtgeschichte, der ethnografischen Elemente und der wichtigsten Monumente sowie abschließend einen Ausblick auf die weitere Entwicklung der Stadt. Soweit bekannt werden die Vorlagen der Stiche und in einigen Fällen auch weiterreichende Literatur angegeben.
Offensichtlich wurde der Platz für die Katalogtexte zugunsten des Fokus auf die großformatigen Abbildungen der Karten selbst eng bemessen, und insofern kann man den einzelnen Autoren keinen Vorwurf daraus machen, dass hier die Auseinandersetzung mit den Karten, vor allem aber mit den Texten und leider auch mit der Forschungsliteratur zu kurz kommt. Dennoch ist es ausgesprochen schade, dass bei einem derart ambitionierten Projekt Originaltexte und Analyse nicht den angemessenen Raum zugestanden bekommen. Dies beginnt bei dem Verzicht auf die vollständige Wiedergabe der Kommentare von Georg Braun, die zum richtiggehenden Verständnis des Kartenmaterials unerlässlich sind. Darüber hinaus variieren die Kommentare in der Auswahl von historischen, urbanistischen oder kulturgeschichtlichen Daten sehr stark und die Benennung einzelner, von den Autoren hervorgehobener Monumente leitet den Blick der Leser bzw. Betrachter letztlich willkürlich. Insbesondere verwundert, dass weniger die Stadtentwicklung bis zu dem auf der Karte dargestellten Zeitpunkt erläutert wird, sondern allgemeine historische Informationen gegeben werden, denen ein Absatz zur weiteren Entwicklung der Stadt angefügt ist.
Gerade weil diese Ausgabe für ein breites Publikum konzipiert wurde, wäre es wünschenswert gewesen, auch die Originaltexte komplett abzudrucken und in den Kommentaren die Karten selbst eingehender zu erklären. Exemplarisch sei hier nur am Beispiel der Ansicht von Tivoli (258/259) verdeutlicht, dass die Literatur, die im Gesamtverzeichnis erscheint, leider nicht unbedingt in die Kommentare eingeflossen ist. Lucia Nuti hat diese Ansicht eingehend untersucht und u.a. nachgewiesen, wie hier die erfahrene und die kulturell vermittelte Landschaft in einen Dialog gebracht werden, indem der Stecher Georg Hoefnagel einen berühmten Stich von Pieter Bruegel im interpiktoralen Spiel wie angeheftet wiedergibt. [2] Hier wird das eigentliche Potenzial der Ansichten deutlich, von dem die Leser leider nichts erfahren. Darüber hinaus wäre es sinnvoll gewesen, die in den letzten Jahren stark angewachsene Literatur zur Entwicklung einzelner Städte einzubeziehen, in denen historische Karten naturgemäß eine wichtige Rolle einnehmen. [3]
Aufs Ganze gesehen bleibt ein zwiespältiger Eindruck. So sehr man sich über die hervorragende Bildqualität und die gute Einleitung freut, so sehr hätte man sich eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Potenzial der Kartenbilder gewünscht, die frühneuzeitlichen Städte in ihrer gewachsenen Ordnung als Folie historischer, ökonomischer und sozialer Daten zu konturieren.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B.: Stephen Bann: The truth in mapping, in: word & image 4/2 (1988), 498-509; Christian Jacob: L'empire des cartes. Approches théoretique de la cartographie à travers l'histoire, Paris 1992; John Brian Harley: Deconstructing the map, in: Writing Worlds. Discourse, Text and Metaphor in the Representation of Landscape, hg. von Trevor Barnes / James Duncan, London 1992, 231-247; Denis Wood: The power of maps, New York 1992; Geoff King: Mapping reality. An exploration of cultural cartographies, New York 1996; Daniel Dorling / David Fairbairn (eds.): Mapping. Ways of Representing the World, London 1997; Ute Schneider: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004.
[2] Lucia Nuti: The mapped views by Georg Hoefnagel, the merchant's eye, the humanist's eye, in: word & image 4 (1988), 545-570, bes. 563ff.; Vgl. auch Nina Eugenia Serebrennikov: Imitating Nature / Imitating Bruegel, in: Pieter Bruegel, ed. by Jan de Jong / Mark Meadow / Herman Roodenburg / Frits Scholten, Zwolle 1996, 223-246.
[3] Vgl. als ein zufällig herausgegriffenes Beispiel ausgewählte Literatur zu Neapel: Cesare de Seta: Napoli fra Rinascimento e Illuminismo, Neapel 1991; ders. / Alfredo Buccaro (a cura di): Napoli e i centri della provincia. Iconografia delle città in Campania, Neapel 2006; Vladimiro Valerio: Piante e vedute di Napoli dal 1486 al 1599. L'origine dell'iconografia urbana europea, Neapel 1998.
Tanja Michalsky