Stephan Schlak: Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik, München: C.H.Beck 2008, 280 S., 11 Abb., ISBN 978-3-406-56936-4, EUR 19,90
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Als dieses Buch zu Beginn des vergangenen Jahres erschien, überschlugen sich die überregionalen Feuilletons mit Lobeshymnen. Mit Wilhelm Hennis sei ein origineller, lange Zeit verkannter Politikwissenschaftler wiederentdeckt worden, der sich nicht nur erratisch vom Konformismus des gegenwärtigen akademischen Betriebes abhebe, sondern bei dem es sich auch um eine Schlüsselfigur der politischen und Wissenschaftsgeschichte der Bonner Republik handele.
Beide Aspekte gehören zu den Grundmotiven dieser bei Herfried Münkler entstandenen Dissertation, auch wenn das zweite Motiv deutlich überwiegt. Denn obwohl Schlak das Buch als "Beitrag zu einer notwendigen Selbstverständigungsdebatte der Politikwissenschaft" (12) verstanden wissen möchte, behandelt es in sechs schlanken Kapiteln doch vor allem verschiedene Konstellationen der westdeutschen Ideen- und Intellektuellengeschichte bis in die 1980er Jahre. Schlak rekonstruiert die Biographie seines Helden dabei auf unorthodoxe Weise. Statt die lebensgeschichtlichen Etappen von Hennis strikt chronologisch durchzumustern, werden einzelne Momente seiner Biographie mit Situationen aus der Politik- und Wissenschaftsgeschichte der Bundesrepublik überblendet, freilich ohne das eine für das andere bestimmend werden zu lassen.
Im ersten Kapitel wird der Leser zunächst mit den Prägungen des "Jahrgangs 1923" konfrontiert, wozu Schlak in erster Linie "das dramatische Kindheitserlebnis" (23) des Weimarer Scheiterns zählt und dann vor allem die Erfahrung als junger Kriegsteilnehmer. Beide Umstände markierten eine scharfe Differenz zur etwas jüngeren Generation der "Flakhelfer", die zwar gänzlich in der Diktatur aufgewachsen ist, jedoch zum Großteil nicht mehr an die Front musste. Noch die spätere Konfrontationsstellung des einstigen Marinesoldaten Hennis zu dem vormaligen Hitlerjungen und Zivilisten Jürgen Habermas lässt sich, folgt man Schlak, mindestens teilweise auf diesen Gegensatz zurückführen.
Das zweite Kapitel widmet sich den wissenschaftlichen Anfängen von Hennis. Nach juristischer Promotion und kurzfristiger Tätigkeit im Büro des SPD-Rechtspolitikers Adolf Arndt wurde er Assistent von Carlo Schmid, der 1953 an der Universität Frankfurt einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft übernommen hatte. Schlak kann in diesen Passagen seine Stärken als pointenreicher und fesselnder Erzähler eindrucksvoll ausspielen, liefert er doch eine atmosphärisch dichte Beschreibung des Frankfurter intellektuellen Klimas in den späten 1950er Jahren, wobei es auch um jene legendäre Kiste geht, in der die Protagonisten der Frankfurter Schule ihre radikalen Weimarer Frühschriften den Blicken der Nachgeborenen entzogen hätten. Hennis habe hingegen die "Aufklärung über die selbsternannten Aufklärer" (45) betrieben, womit sich schon seine spätere Auseinandersetzung mit einer primär theorieorientierten Sozialwissenschaft andeutet.
Das dritte Kapitel behandelt die Selbstverortung von Hennis innerhalb des eigenen Fachs, wobei Schlak insbesondere die Habilitation als programmatische Schrift liest. Politikwissenschaft war für Hennis in erster Linie eine praktische Wissenschaft, eine aristotelisch geprägte, normative Lehre von großer Ernsthaftigkeit und Lebensnähe. Spielerische Denkexperimente oder theoretische Systembauten waren seine Sache nicht, stattdessen empfahl er eine "Topik als praktische Methode" (93), die sich an exemplarischen Situationen und kanonischen Schriften der Ideengeschichte zu orientieren hatte. Vergangene und gegenwärtige Probleme sollten dabei zueinander in Beziehung gesetzt werden, auch wenn ein entsprechender Buchplan mit dem ehrgeizigen Titel "Die Lage der Bundesrepublik" (103) nicht realisiert wurde. Denn dass sich Hennis trotz allem Misstrauen gegen die "Projektmacherei" immer wieder selbst in groß angelegten Publikationsplänen verstieg, wird auch von Schlak ohne Häme eingeräumt.
Diese Einsichtnahme in die westdeutsche Wissenschafts- und Universitätsgeschichte wird im vierten und fünften Kapitel fortgesetzt. Nach seiner Erstberufung an die Pädagogische Hochschule Hannover wechselte Hennis 1962 erst an die Universität Hamburg, im Jahr 1967 dann an die Universität Freiburg. Allerorten waren die Hochschulen in diesem Jahrzehnt von Reformstimmung und Aufbruchhoffnung ergriffen, wobei der ursprüngliche Reformbefürworter Hennis bald in das Lager der Skeptiker und später auch der entschiedenen Gegner wechselte. Frustriert von der Richtungslosigkeit der bundesdeutschen Politik und irritiert von der studentischen Rebellion, welche Hennis als bedenkliche Wiederkehr der "deutschen Unruhe" erschien, verstrickte sich er sich mehr und mehr in Bataillen mit wirklichen oder eingebildeten Kontrahenten. Seine nunmehr erbitterte Gegnerschaft zu Habermas entlud sich beispielsweise auf dem Duisburger Politologen-Tag 1975, ohne dass Hennis hier freilich einen entscheidenden Geländegewinn verbuchen konnte.
Es lag insofern nahe, dass sich Hennis nur wenig später von der Tagespolitik abwandte und, wie im letzten Kapitel festgehalten, zu seinen frühen ideengeschichtlichen Interessen zurückkehrte. Dabei stand die Bemühung um eine Neudeutung und Wiedergewinnung Max Webers im Mittelpunkt, den Hennis nicht als Apostel eines modernen Rationalitätsparadigmas verstanden wissen wollte, sondern als "Seelenhistoriker" (230) und leidenschaftlichen Problemdenker, den Fragen nach einer tugendhaften politischen Ordnung umgetrieben hätten. Dass sich Hennis in einer solchen Interpretation auch immer selbst spiegelte, ist evident.
Insgesamt liefert Schlaks Buch wertvolle Bausteine für eine Wissenschafts-, Ideen- und Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik. Es ist unmittelbar aus den Quellen gearbeitet, insbesondere aus den Korrespondenzen von Hennis, und es besticht durch wunderbare Trouvaillen, darunter etwa Hennis' Meditationen über die Bedeutung des Telefons für die politische Machtausübung (138f.). Dabei bleibt Schlak stets diskret; über das Privatleben des Protagonisten erfährt der Leser nahezu nichts. Vor allem aber ist die Darstellung, wie an vielen Orten bereits dankbar angemerkt, glänzend geschrieben. Schlak verfügt über einen kunstvollen Schreibstil, der lakonisch-abgeklärt daherkommt, aber zu verblüffen weiß und seinen Reiz aus dem absichtsvollen Kontrast zwischen inhaltlicher Offenheit und stilistischer Prägnanz bezieht.
Dass sich Schlak dabei den erkenntnistheoretischen Pflichtübungen anderer Qualifikationsschriften selbstbewusst enthoben weiß (14), ist ebenso folgerichtig wie eine Argumentation, die eher auf Aphorismen und Anekdoten aufbaut denn auf einer kleinteilig-systematischen Analyse. Zwar mag man diese Distanznahme zu einer an die "Theoriekette" (79) gelegten Wissenschaft, aus der sich mühelos ein roter Faden der Abhandlung zusammen spinnen ließe, auch für eine besonders subtile Aufmerksamkeitsstrategie halten, die den Profilierungskonventionen des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebs tiefer verpflichtet ist, als sie es vor sich selber zugeben will. Doch im Ganzen verdient das Buch tatsächlich das breite Interesse sowohl des allgemeinen wie des fachwissenschaftlichen Publikums; es sei hier nochmals nachdrücklich empfohlen.
Marcus M. Payk