Dorothee Wimmer / Christina Feilchenfeldt / Stephanie Tasch (Hgg.): Kunstsammlerinnen. Peggy Guggenheim bis Ingvild Goetz, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2009, 284 S., ISBN 978-3-496-01367-9, EUR 39,00
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Tanja Baensch / Kristina Kratz-Kessemeier / Dorothee Wimmer (Hgg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure - Orte - Politik, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016
Dorothee Wimmer: Das Verschwinden des Ichs. Das Menschenbild in der französischen Kunst, Literatur und Philosophie um 1960, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2006
Die vorliegende Aufsatzsammlung über Privatsammlerinnen zeitgenössischer Kunst in Europa und den USA ist aus einer Tagung hervorgegangen, die im November 2004 von Dorothee Wimmer am Neuen Museum Weserburg Bremen (heute: Weserburg - Museum für Moderne Kunst) in Kooperation mit Uwe Fleckner (Universität Hamburg), dem Ulmer Verein und der Kunsthalle Bremen durchgeführt wurde. Der Band rückt die Bedingungen von Kunst und Kunstgeschichtsschreibung in den Fokus: Privatsammlungen als einen der Orte, an denen Kunst - mit Michel Foucault gesprochen - dar- und hergestellt wird. Dieser Ort ist aktuell besonders brisant. Denn mit der zunehmenden Gewichtung der marktwirtschaftlichen Dimension des Kunstfeldes - man denke an die Preissteigerungen der Kunst in den Jahren vor der Wirtschaftskrise - wurden private Sammler und Sammlerinnen in ihrer Bedeutung für die Kunst und deren Vermittlung gegenüber öffentlichen Kunstmuseen, die meist einen weitaus geringeren finanziellen Spielraum haben, gestärkt. Neben die Präsentationen öffentlicher Kunstsammlungen sind zunehmend Präsentationen privater Kunstsammlungen getreten.
Die Publikation nimmt auf Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst eine geschlechtsspezifische Perspektive ein und konzentriert sich auf die Frauen. Mit der Darstellung des Engagements von fünfzehn Sammlerinnen vornehmlich aus Europa und den USA zielt der Band darauf ab, entlang von Fallbeispielen einen Einblick in historische geschlechtsspezifische Möglichkeiten, d.h. individuelle und soziokulturelle Voraussetzungen sowie kulturelle Wirkungsmöglichkeiten, von etwa 1900 bis in die Gegenwart zu geben. Die Beiträge sind drei Abschnitten zugeordnet (Bürgertum, Emanzipation, Gegenwart), die sowohl eine chronologische Sortierung vornehmen als auch, abgesehen vom letzten Kapitel, den Versuch einer inhaltlichen Kategorisierung machen.
Unter dem Titel "Bürgertum" sind Biografien von Sammlerinnen aus dem vorwiegend deutschsprachigen Bürgertum der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts versammelt. Gemeinsam ist den vorgestellten Frauen des Weiteren, dass sie alle verheiratet und vermögend waren. Die meisten sammelten mit ihren Ehemännern gemeinsam, wie Thea Sternheim mit ihrem Mann Carl Arthur und Gertrud Osthaus mit ihrem Gatten Karl Ernst. Doch auch Berater hatten auf die Sammlerinnen einen Einfluss, wie der Bremer Kunsthallendirektor Gustav Pauli auf Adele und Johan Georg Wolde und Hendricus Petrus Bremmer auf Helene Kröller-Müller. Diese Sammlerinnen hatten meist keine Ausbildung genossen. Sie schufen sich den Zugang zur Kunst über männliche Dritte und auch oftmals über die Unterhaltung eines Salons im eigenen Haus, wie beispielsweise Hedy Hahnloser, die in der Villa Flora in Winterthur eine Bibliothek mit Salon einrichtete, wo kulturelle Veranstaltungen stattfanden.
Das Kapitel "Emanzipation", dessen Beiträge einen Zeitrahmen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die vergangenen Jahrzehnte abdecken, beleuchtet dagegen die Sammeltätigkeit von Frauen mit besonderem Augenmerk auf deren sozialer und finanzieller Eigenmächtigkeit. Exemplarisch ist neben der Biografie der Sammlerinnenikone Peggy Guggenheim die der US-Amerikanerin Katherine Dreier, die, finanziell unabhängig, eine umfassende Sammlung zeitgenössischer europäischer Kunst zusammentrug. Das Beispiel Dreier verdeutlicht unter anderem, dass die Geschichtsschreibung Sammlerinnen aus dem öffentlichen Gedächtnis strich: Ihre Sammlung, deren kunsthistorisch unterschiedlich bewertete Werke nach ihren eigenen Angaben belegen sollten, dass "Kunst eine Bewegung war - nicht einfach das Werk von hochbegabten Individuen" (138), wurde nach Dreiers Tod auf zahlreiche Kunstinstitutionen verteilt. Das Werk "Proun 19D" von El Lissitzky, das in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York eingegangen war, wurde in den 1980er-Jahren fälschlicherweise als Beleg für Alfred Barrs frühen Einsatz für die konstruktivistische Kunst angeführt (139). Dreiers Engagement war also vergessen. Im Kapitel "Emanzipation" werden mit Rosa Shapire und Galka Scheyer zudem zwei Sammlerinnen vorgestellt, die kein ausreichendes finanzielles Kapital für ihre Sammlungstätigkeit mitbrachten. Diesen beiden jüdischen Frauen ist gemeinsam, dass sie sich im Ausland für die Anerkennung und den Verkauf von Werken in Deutschland lebender bzw. deutscher Künstler eintraten, und damit auch ihren Lebensunterhalt bestritten. Shapire verwandte sich im Exil in Großbritannien für Expressionisten wie Karl Schmitt-Rottluff, Scheyer in den USA unter anderem für Alexej von Jawlensky.
Zeitgenössische Sammlerinnen bilden den Schwerpunkt des Kapitels "Gegenwart". Es werden gleichberechtigte Frauen vorgestellt, die sowohl gemeinsam mit ihren Ehemännern, wie Erika mit Rolf Hoffmann bis zu seinem Tod 2001, als auch alleinverantwortlich, wie Ingvild Goetz, sammelten. Es wird deutlich, dass Sammlerinnen mittlerweile Handlungsspielräume für die Wirkung ihres Kunstbesitzes offenstehen, die ihnen in der ersten Jahrhunderthälfte aufgrund der Geschlechterdiskriminierung wie auch der relativ geringeren Bedeutung von Sammlerinnen verwehrt waren: Beispielsweise machte Goetz, die zunächst als Galeristin tätig war, ihre Sammlung für die Öffentlichkeit in ihrem Privatmuseum ("Sammlung Goetz") zugänglich. Die so beherbergte Sammlung ist wie auch die von Hoffmann in Berlin und Guggenheim zu deren Lebzeit in Venedig eine 'bewohnte Sammlung', d.h. privat bewohnt und nur zeitlich befristet dem Publikum geöffnet. Dagegen stellt beispielsweise Maja Sacher (behandelt im Kapitel "Emanzipation") mit dem Schaulager Basel ihre Sammlung vornehmlich der Fachwelt zur Verfügung. Patrizia Sandretto re Rebaudengo wiederum fördert mit ihrer Stiftung, die in einem eigens dafür geschaffenen Gebäude untergebracht und dort auch in Ausstellungen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich ist, die Produktion von Kunst- und Kulturprojekten.
Ein einziger Beitrag ist einer osteuropäischen Sammlerin, Tatiana Kolodzei, gewidmet. Er geht detailliert auf die Bedingungen von Kunstschaffen und das Verhältnis von Künstlerinnen und Künstlern zu Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern in der UdSSR ein, um die dortige Rolle von Frauen als Sammlerinnen zu analysieren. Auch wenn dieser Beitrag aufgrund des geografischen Ausnahmestatus eine stärkere Kontextualisierung der Sammeltätigkeit Kolodzeis leisten musste, ist diese Ausrichtung aus meiner Perspektive lobend hervorzuheben. Indem das Individuum Kolodzei mehr als in den übrigen Beiträgen in den Hintergrund tritt, gelingt hier eine stärker verallgemeinerbare Analyse der Verschränkung der situierten Konstrukte Kunst, Sammeln und Geschlecht. Diese analytische Ambition bleibt in den anderen Beiträgen, die vornehmlich darauf abzuzielen scheinen, die Eigenständigkeit und kulturelle Bedeutung der einzelnen Sammlerinnen herauszuarbeiten, aufgrund ihrer stark biografisch orientierten Aufarbeitung eher aus. Sie tendieren teilweise sogar zu einer heroisierenden Erzählung von Sammlerinnen, von deren 'Liebe' zur Kunst oder ihrer 'Entdeckung' von Künstlerinnen und Künstlern, so dass tradierte kunstgeschichtliche Mythen von Kunst und Künstlerschaft, wie sie seitens feministischer Kunstgeschichtsschreibung offengelegt wurden - und in deren Kontext sieht sich der Band eigentlich selbst verortet -, fortgeschrieben werden.
Nichtsdestotrotz leistet der Band einen wichtigen Beitrag zu feministischer Kunstgeschichte und der Wissenschaftsgeschichte des Faches: Die Beiträge bieten mit ihrer biografischen Detailfülle einen umfassenden Einblick in das Wirken von Privatsammlerinnen. Damit füllt der Band eine bislang bestehende Leerstelle und macht zugleich auf die diese Leerstelle bedingende geschlechterspezifische Struktur der Kunstgeschichtsschreibung aufmerksam.
Jennifer John