Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2009, 751 S., ISBN 978-3-406-59224-9, EUR 29,90
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Ernst Jünger stand eine kühle Prosa zu Gebot. Über das Scheitern von Carl Schmitts Ambitionen im Nationalsozialismus äußerte er 1943 distanziert: "'Bei der Heraufkunft illegitimer Mächte bleibt an der Stelle des ersten Kronjuristen ein Vakuum, und der Versuch, es auszufüllen, geht auf Kosten der Reputation.'" (424) Zumeist evoziert Schmitt jedoch emotional gefärbte Urteile, die von drastischer Ablehnung bis zu stiller Verehrung reichen.
Als Verteidiger des Führerstaats und fanatischer Judenhasser ist Schmitt diskreditiert, doch seine Schriften locken nach wie vor Wissenschaftler an, welche die bleibende Bedeutung seiner Gedanken zu bestimmen suchen. Viele Aspekte seines Œuvres wurden erforscht, doch es fehlte eine umfassende, den riesigen Nachlass ausschöpfende Biografie. Sie liegt nun - gediegen in der Ausstattung, ansprechend bebildert und mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versehen - aus der Feder Reinhard Mehrings vor, der seit Jahren als einer der besten Schmitt-Kenner gilt.
Die Studie gliedert sich in vier Teile: nach Herkunft und Aufstieg im Wilhelminischen Kaiserreich werden Leben und Werk des brillanten Staatsrechtlers in der Weimarer Republik dargestellt. Unter der Überschrift "Im Bauch des Fisches" folgt Schmitts wechselhafte Zeit im Nationalsozialismus, während die letzte Lebensphase nach 1945 als "langsamer Rückzug" aus der intellektuellen Welt vorgestellt wird. Ausführliche biografische Passagen wechseln mit detaillierten Interpretationen der Hauptwerke und der Auswertung seiner breiten Publizistik. Schon allein die Materialfülle legt eine Konzentration der Besprechung auf wenige zentrale Motive nahe.
Besonders auffällig ist Schmitts Ehrgeiz. Der mittellose Abiturient aus der sauerländischen Provinz entschied sich für die Jurisprudenz. Schon früh zeigte sich sein ungewöhnliches Talent. Noch nicht einmal 22-jährig wurde er in Straßburg "summa cum laude" promoviert. Von den Menschen hielt der Hochbegabte wenig, allenthalben witterte er Neid und Missgunst. Seiner jüngeren Schwester Auguste teilte er brieflich mit, jeder sei "'ein heftiger Egoist'" (42). Noch als Bonner Professor identifizierte sich Schmitt mit Julien Sorel, der Hauptfigur in Stendhals Roman Rot und Schwarz, der von rücksichtslosem Aufstiegswillen erfüllt die Spielregeln der nachnapoleonischen Gesellschaft verachtet und auf dem Schafott landet.
Während Schmitt den Liberalismus als antiquiert und verlogen ansah, sprach sein Verhalten bürgerlichen Konventionen Hohn. Seine leidenschaftsarme zweite Ehe mit Duška Todorovic kompensierte er mit Prostituierten und zahllosen Geliebten. Mehring erkennt darin eine "Trennung zwischen Eros und Caritas" (198), die Schmitt psychisch stabilisiert habe. Aber das ausgebreitete Material zeigt auch, wie ressentimenterfüllt sein ausschweifendes Sexualleben war. Es dauerte zehn Jahre, bis Schmitt sich eingestand, dass seine erste Frau Carita Dorotić eine Hochstaplerin war. Seine zweite große Liebe Kathleen Murray unterstützte er massiv bei ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation, während er gleichzeitig unter ihrer Untreue litt.
Viel ist über Schmitts Katholizismus geschrieben worden, sein Biograf weist religiösen Fragen aber eher nachrangige Bedeutung zu. Das religiöse Milieu Plettenbergs, dem Schmitt entstammt, wird nie recht plastisch und erscheint primär als Hintergrund seines Aufstiegswillens. Den Katholizismus-Essay der Bonner Zeit beurteilt Mehring als "Werbeschrift in eigener Sache" (184). Entscheidend für Schmitts Entfremdung von der Kirche sei deren Weigerung gewesen, seine erste Ehe zu annullieren. Aus katholischer Perspektive lebt er nach der Heirat von Duška 1926 "im 'Konkubinat' und ist exkommuniziert" (196); die Teilnahme an der Kommunion und die Beichte sind ihm seitdem verwehrt.
Klare Worte findet Mehring für Schmitts fanatischen Judenhass, dem er mit Saul Friedländers Konzept des "Erlösungsantisemitismus" zu Leibe rückt. Es erklärt die teleologische Ausrichtung und bösartige innere Konsequenz der nach 1933 verfassten Schriften, droht aber auch die biografische Grundierung seiner Ressentiments zu eskamotieren. Schon früh monierte Schmitt die Aufstiegsmentalität der Juden und ihre "psychische Disposition, sich mit den Augen der Anderen zu sehen und vom Urteil der Anderen abhängig zu machen" (83). An Quellen zu seinem "Konkurrenzantisemitismus" herrscht jedenfalls kein Mangel; doch ist es nachvollziehbar, wenn die ideengeschichtlich einflussreiche Form seines Judenhasses im Mittelpunkt steht. Charakteristisch ist für Schmitt die Hypostasierung des "'jüdische[n] Gesetzesdenken[s]'", das zwischen weltanschaulichen Gegensätzen wie "'grob sensualistischem Materialismus und abstraktestem Moralismus'" (376) oszilliere.
Politische Klarsicht findet sich nach der "Machtergreifung" selten. In der Abgeschiedenheit des Tagebuchs schwankte Schmitt am 20. März 1933, ob Hitler "'eine Taube oder eine Schlange'" sei (305). Die moralischen Abgründe seines NS-Engagements sind im Rückblick offenkundig. Dies gilt ebenso für Schmitts nach 1945 geheim gehaltene Nähe zu Hans Frank wie für den Verrat an "jüdischen Freunden" und "den Weggefährten des Präsidialsystems" (352). Man spürt, dass Mehring die Forschungsliteratur sicher beherrscht, auch wenn sie nicht immer in den Anmerkungen Erwähnung findet. Die Einschätzung Alfred Rosenbergs als "niederste Charge" (339) ist freilich allzu pointiert.
Mehrings Biografie missachtet die üblichen Schreibregeln. Häufig spricht er innerhalb eines Absatzes zahlreiche Themen an, nicht selten wechselt der Gegenstand von Satz und Satz. Der stakkatohafte Stil gefährdet zwar die inhaltliche Konzentration, doch er verdeutlicht auch, wie gehetzt Schmitts Leben verlief. Meist tanzte er beruflich wie privat auf mehreren Hochzeiten und ging - so sehr er den Dezisionismus preisen mochte - definitiven Entscheidungen aus dem Weg. In gewisser Hinsicht passt die exzessive Sexualität zum Geltungsdrang des erfolgreichen Aufsteigers, dem es an Selbstsicherheit und innerer Ruhe fehlte.
Wir haben es mit einem ungewöhnlichen Buch zu tun, das die Leser in den Bann schlagen wird und seinen steif-konventionellen Titel nicht verdient. Selbst wenn das flüchtig hingeworfene Vorwort versichert, es handle sich um die "alte Geschichte vom Aufstieg und Fall" (14), so ist Schmitts Vita mit ihren abrupten Brüchen, ihren literarischen Travestien und intellektuellen Verwerfungen erstaunlich. Die Studie zeigt, welchen Preis Schmitt für die "Politisierung des Rechtsdenkens" zahlte: "Sein Leben bleibt atemlos, seine Texte werden immer knapper und polemischer." (280) Es dauerte fast zwei Jahrzehnte, bis er nach dem Hüter der Verfassung von 1931 erneut eine Monografie vorlegte.
So entschieden Schmitts Urteile über den Unrechtscharakter der NS-Diktatur nach 1945 auch sein mögen, Selbstkritik bleibt ihm fremd. Im Gegenteil - er sieht sich von jüdischen Wissenschaftlern verfolgt und einer wankelmütigen Gesellschaft abgeurteilt. Seine Haltung zur eigenen Vergangenheit ist von trotziger Unbelehrbarkeit, und der Bundesrepublik bringt er kaum Interesse entgegen. Dennoch entfaltete Schmitt unter jungen Intellektuellen erhebliche Wirkung. Warum dies so war, wird nicht recht deutlich, vielleicht weil die Frage nach dem Zentrum seines Denkens ausgespart bleibt. Dafür schildert Mehring in atemberaubender Dichte Schmitts Leben, das die Widersprüche seiner Epoche in sich trug und auf höchst produktive Weis verarbeitete. Kann man von einer Biografie mehr verlangen?
Ulrich Sieg