Gerhard Fouquet / Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini (Hgg.): Hofwirtschaft. Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Residenzenforschung; Bd. 21), Ostfildern: Thorbecke 2008, 510 S., ISBN 978-3-7995-4523-5, EUR 69,00
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Seit 1986 führt die formal zur Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gehörende, aber mit einer Arbeitsstelle in Kiel ansässige Residenzen-Kommission in zweijährigem Rhythmus - Ausnahme 1990 - Symposien durch, die sich bestimmten Einzelthemen des von ihr bearbeiteten Feldes Hof und Residenz in Mittelalter und früher Neuzeit widmen. Seit dem dritten Symposium, das 1992 in Ansbach den "Alltag bei Hofe" behandelte, sind sie in entsprechenden Tagungsbänden dokumentiert, die in der von der Kommission herausgegebenen Reihe "Residenzenforschung" erscheinen. Der vorliegende Band vereint die auf dem zehnten Symposium am 25. und 26. September 2006 im Prinzenpalais (Landesarchiv) in Schleswig gehaltenen Vorträge und den öffentlichen Festvortrag vom 24. September in Schloss Gottorf. Außerdem fand dort noch am 23. September ein so genanntes Atelier statt, bei dem Nachwuchswissenschaftler ihre Forschungsergebnisse vorstellten. Diese wurden gesondert im Sonderheft 9 der "Mitteilungen der Residenzen-Kommission", erschienen 2007 und auch online (http://resikom.adw-goettingen.gwdg.de/MRK/SH9.pdf [PDF-Dokument]) einsehbar, veröffentlicht.
Die Gliederung folgt dem bereits von früheren Symposiumsbänden her bekannten Schema. Nach einem Vorwort von Werner Paravicini schließt sich eine ebenfalls von ihm verfasste Einleitung zum Thema des Symposiums an, die einerseits kurz und knapp den Forschungsstand skizziert und dann die zu beantwortenden Fragen formuliert. Den vier Hauptfragen entsprechen dann auch die vier Hauptabschnitte, in die der Band eingeteilt ist:
1. Ist Verschwendung eine Notwendigkeit?
2. Wie ist der Hof ökonomisch organisiert?
3. Woher kommt das Geld?
4. Wohin geht das Geld?
Vorangestellt bzw. außerhalb dieser Gliederung befindet sich der auf den öffentlichen Festvortrag vom 24. September zurück gehende Beitrag von Arnold Esch, in dem anhand von römischen Zollregistern aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts der Frage nach der Bedeutung der päpstlichen Hofhaltung für die Wirtschaft in dieser Zeit nachgegangen wird. Zu den Erkenntnissen aus der beeindruckenden archivalischen Überlieferung gehört u. a., dass die Anwesenheit des Hofes die Preise in die Höhe trieb und dass ein regelrechter Kunstmarkt bereits zu dieser Zeit existierte und nicht erst im 16. Jahrhundert entstand.
Die Rezension eines Sammelbandes steht immer vor demselben Problem, der inhaltlichen Vielfalt der Einzelbeiträge. Will man nicht jeden Beitrag gesondert behandeln, was sich allein schon vom dann zu erwartenden Umfang verbietet, bleibt nur, auf einige allgemeine Beobachtungen hinzuweisen.
Die erste ist der zeitliche Schwerpunkt, der bei den meisten Beiträgen am Ende des Mittelalters und dem 16. Jahrhundert liegt, was sicherlich quellenbedingt ist. Ganz deutlich wird dies bei den beiden Beiträgen von Mark Hegener und Peter Rauscher zu Aspekten der kaiserlichen Hofhaltung und ihrer Finanzierung, die beide bis in das 18. Jahrhundert reichen und damit die von der Kommission selbst gewählte Zeitgrenze 1650 deutlich überschreiten. Aber in beiden Beiträgen macht der Blick auf das 18. Jahrhundert die Veränderungen gegenüber den vorangegangenen Zeiträumen erst richtig deutlich. Der einzige Beitrag, der auch explizit das 13. und 14. Jahrhundert im Blick hat, ist der von Elisabeth Lalou zu den Festen der Könige von Frankreich. Frankreich sind noch zwei weitere Beiträge gewidmet, die den Haushalt Ludwigs IX. und die Verteilung der Einkünfte der französischen Krone am Ende des Mittelalters zum Inhalt haben. Ansonsten dominiert das Reich, entweder in übergreifenden oder auf Einzelterritorien bezogenen Betrachtungen. Lediglich Ulf Christian Ewerts Beitrag zu den portugiesischen Entdeckungsfahrten als fürstliches Unternehmertum verlässt noch einmal das Reich, und die Beiträge von Stephan Selzer und Klaus Neitmann zur Hofhaltung beim Deutschen Orden bzw. im Erzstift Riga führen an die nordöstlichen Grenzterritorien, die schließlich im 16. Jahrhundert außerhalb des Reichsverbandes verblieben.
Thematisch, und das zeigt die gute Vorbereitung der Tagung und die Disziplin der Beiträger, lassen sich die Beiträge fast ausnahmslos den vier o. g. Fragestellungen zuordnen, so wie es die Herausgeber des Bandes auch getan haben. Da die pommersche Landesgeschichte sich des besonderen Interesses des Rezensenten erfreut, hat er mit besonderer Aufmerksamkeit den Beitrag von Carola Fey über fürstliche Wallfahrten im Spätmittelalter zur Kenntnis genommen, da darin auch die Pilgerfahrt Herzog Bogislaws X. von Pommern nach Jerusalem in den Jahren 1496 bis 1498 behandelt wird. Hierbei sei der Hinweis gestattet, dass die Chroniken des Thomas Kantzow inzwischen in moderneren und besseren Editionen vorliegen [1], als die von Böhmer und Kosegarten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Und Martin Wehrmann gibt in seinem von Fey nicht erwähnten Beitrag zur Jerusalemfahrt Bogislaws X. durchaus auch einige, leider nicht näher belegte Hinweise zur Finanzierung der zunächst als Zug an den Königshof nach Innsbruck geplanten Reise. Die Stadt Stettin lieh dem Herzog 1400 Gulden, das Camminer Domkapitel gab 667 Mark und 4 Schilling, Bischof und Stift Cammin weitere 2000 Gulden. Die Universität Greifswald wurde schließlich zur Abgabe der Hälfte ihrer jährlichen Einkünfte, nämlich 300 Gulden, verpflichtet. [2] Und schließlich liegt von Karl-Otto Konow außer dem erwähnten Aufsatz in den Baltischen Studien noch eine fast zeitgleich erschienene Monographie vor, in der die Pilgerfahrt Bogislaws X. ein zentrales Thema ist. [3]
Diese Anmerkungen sind aber lediglich als Hinweise für eine mögliche erneute Beschäftigung mit dem Thema gedacht. Sie sollen den guten Gesamteindruck des Beitrages wie des gesamten Bandes keinesfalls schmälern. Er stellt eine solide Zusammenschau des gegenwärtigen Forschungsstandes zur spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Hofwirtschaft dar und ist als Einstieg in das Thema gut geeignet, ja unverzichtbar. Gleichwohl bleiben natürlich offene Fragen und Desiderata, wie sie auch Enno Bünz in der den Band beschließenden Tagungszusammenfassung benennt. Hierzu zählt er insbesondere Höhe und Zusammensetzung des jeweiligen Gesamthaushaltes, die Zusammensetzung der Einkünfte, die offenbar, so sein Eindruck von der Tagung, einem allgemeinen Muster der Dreiteilung nach Domänen, Krediten und Unternehmertum unterliegen. Man könnte diesen Katalog der offenen Fragen natürlich noch beliebig erweitern. Eine, die dem Rezensenten nicht zuletzt durch seine eigenen Arbeiten spontan einfiel, war die nach der Rolle des Hofes für die Wirtschaft eines Territoriums. Wie weit reichte die direkte Einflussnahme des Hofes auf die Wirtschaftsstruktur der Umgebung? Wie veränderte sich die Wirtschaft, wenn der Hof "abhanden" kam, z. B. bei Erwerb eines Territoriums durch eine andere Dynastie? Wie gesagt, man könnte immer weiter fragen und ohne weiteres eine neue Tagung thematisch füllen. Aber davon lebt Wissenschaft ja bekanntlich.
Anmerkungen:
[1] Georg Gaebel (Hrsg.): Des Thomas Kantzow Chronik von Pommern in hochdeutscher Mundart, Bd. I, Letzte Bearbeitung, Stettin 1897; ders. (Hrsg.): Des Thomas Kantzow Chronik von Pommern in hochdeutscher Mundart, Bd. II, Erste Bearbeitung, Stettin 1898; ders. (Hrsg.): Pomerania. Eine pommersche Chronik aus dem 16. Jahrhundert, Stettin 1908; ders. (Hrsg.): Des Thomas Kantzow Chronik von Pommern in niederdeutscher Mundart (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Bd. I, Heft 4), Stettin 1929.
[2] Martin Wehrmann: Die Reise Herzog Bogislaws X. von Pommern in das heilige Land, in: Pommersche Jahrbücher 1 (1900), 33-50, hier 39 f.
[3] Karl-Otto Konow: Bogislaw-Studien. Beiträge zur Geschichte Herzog Bogislaws X. von Pommern um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert (=Schriften der J. G. Herder-Bibliothek Siegerland e. V.; Bd. 36), Siegen 2003.
Dirk Schleinert