Hamid Haji: Founding the Fatimid State: The Rise of an Early Islamic Empire. An annotated English translation of al-Qaḍī al-Nu'mān's Iftitāḫ al-Da'wa (= Ismaili Texts and Translations Series; 6), London / New York: I.B.Tauris 2006, XVII + 256 S., ISBN 978-1-85043-885-4, GBP 29,50
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Mit der Geschichte Nordafrikas im 9. und 10. Jahrhundert nach Christus beschäftigen sich neben Islamwissenschaftlern auch Mittelalterhistoriker. Zwar stehen die Gebiete von Ägypten bis zum Atlantik zu dieser Zeit unter islamischer Herrschaft, doch bieten sich einige Anknüpfungspunkte zur europäischen Geschichte. Neben den Kontakten zwischen islamischer und christlicher Kultur auf der iberischen Halbinsel ist es vor allem die Eroberung von Sizilien und von Teilen des italienischen Festlandes durch die Aġlabiden- (gesprochen: Arlabiden) und später durch die Fatimidendynastie, die für die Geschichte Kontinentaleuropas von Bedeutung sind.
Deswegen wird die von Hamid Haji ins Englisch übersetzte arabische Quelle zu den Anfängen der Fatimidendynastie auf dem Gebiet der kleinen Kabylei (im heutigen Algerien) und der ehemaligen römischen Provinz Africa (arabisch: Ifrīqiya) im heutigen Tunesien sicher auf für Mittelalterhistoriker von Interesse sein. Diese beinhaltet neben Informationen zur Eroberung von Sizilien und dem italienischen Festland, zum Beispiel der Eroberung Taorminas im August 902 (76), auch weitere wichtige Angabe zur Geschichte Nordafrikas.
Die arabische Quelle stammt aus der Feder von an-Nu'mān b. Muḥammad, der unter dem Namen "Der Richter an-Nu'mān (al-Qāḍī an-Nu'mān)" bekannt ist. An-Nu'mān ist wahrscheinlich im Jahr 906 geboren und starb 974 in Kairo. Er war der führende ismailitische Jurist und Richter der sich neu etablierenden Fatimidenherrschaft in Nordafrika. Er diente den ersten vier fatimidischen Imām-Kalifen und schrieb die Standardwerke des schi'itisch-ismailitischen Rechts, die zum Teil bis heute in Gebrauch sind. Im Alter von etwa 50 Jahren verfasste er unter dem vierten fatimidischen Kalifen al-Mu'izz li-dīn Allāh ("Der Gottes Religion stärkt") ein historisches Werk über die Machtübernahme der Fatimiden in Nordafrika. Diesem Werk gab an-Nu'mān den Titel "Der Beginn des Werbens (für den ismailitischen Imām) (Iftitāḥ ad-da'wa)".
Von diesem Werk sind mehrere Handschriften erhalten geblieben, die Hamid Haji in seiner Einleitung genauer beschreibt (13-14). Drei dieser Handschriften liegen der editio princeps, vorgenommen von Wadād al-Qāḍī (Beirut 1970), zugrunde. Eine zweite Edition von Farḥāt Dašrāwī, die dieser schon 1961 fertig gestellt hatte (14), erschien erst 1975 in Tunis und basierte auf zwei Handschriften. Einzelne Kapitel der Handschriften bzw. der Editionen wurden gelegentlich schon übersetzt, die jetzt vorliegende Übersetzung von Hamid Haji, die dieser mit Hilfe des Altmeisters der Ismailitenforschung Wilferd Madelung vorgenommen hat (XIII), ist aber die erste vollständige Übersetzung des Werkes. Neu entdeckte Handschriften hat der Übersetzer bei zweifelhaften Textstellen als Referenz herangezogen.
An-Nu'māns "Der Beginn des Werbens" gliedert sich in 42 Kapitel und ist chronologisch angeordnet. Es erzählt die Geschichte des ismailitschen Werbers Abū Abdallāh aš-Ši'ī, der im Jemen seine Ausbildung zum Werber erhalten hatte (Kapitel 1-4), der dann in der kleinen Kabylei für den im Verborgenen lebenden politisch-religiösen Führer (imām) der Ismailiten warb (Kapitel 5-12) und der diesem, nachdem er zahlreiche Anhänger unter den Berberstämmen gesammelt hatte, ein durch Kampf erworbenes Reich übergab (Kapitel 13-31). Das Buch endet mit der Schilderung der Konsolidierungsmaßnahmen, die dieser Imām mit dem Namen "Der Rechtgeleitete (al-Mahdī)" und dem Titel Kalif durchführte, wozu auch die Ermordung Abū Abdallāhs gehörte, und mit einem kurzen Ausblick auf die nächsten drei fatimidischen Imām-Kalifen (Kapitel 32-42).
Das Buch an-Nu'māns hat mehrere Schwerpunkte, die auch in der Übersetzung sehr gut zur Geltung kommen. Zum einen nehmen die Kämpfe, die Abū 'Abdallāh gegen die Aġlabidenherrscher von Ifrīqiya führte sehr viel Raum ein. Die daraus resultierenden Siege werden meist auf Gottes positives Wirken zurückgeführt, so dass Abū 'Abdallāhs Taten (ebenso wie die der späteren Fatimidenkalifen) als durch Gott gewollt und gefördert dargestellt werden. Das heißt, es wird ein deutliches kerygmatisches Element in an-Nu'māns Geschichtsschreibung deutlich. Zum anderen legt an-Nu'mān großen Wert auf lokale geographische Angaben. Unzählige, kaum bekannte Städte werden darin aufgezählt, die der Übersetzer lokalisiert, mit ihren antiken Namen wiedergegeben und auf zwei sehr übersichtlichen Karten der Region verzeichnet hat. Darüber hinaus führt an-Nu'mān viele der Gegner und Unterstützer Abū 'Abdallāhs mit Namen auf. Der Übersetzer hat sich dankenswerterweise die Mühe gemacht, sehr breit auf biographische Angaben zu diesen Personen zu verweisen und auch Querverweise auf spätere bzw. frühere Nennung der Personen in die Übersetzung einzufügen.
Sprachlich hält sich die Übersetzung eng an den arabischen Text, stellt jedoch gleichzeitig einen gutlesbaren englischen Text dar. Die Subjekte, die in den arabischen Sätzen in das Prädikat integriert sind und nicht gesondert genannt werden, fügt Hamid Haji regelmäßig in seine Übersetzung ein, indem er sie durch runde Klammern als Zusatz kennzeichnet. Koranverse sind kursiv gesetzt und mit einer Quellenangabe versehen. Wichtige Fachbegriffe gibt er im arabischen Wortlaut wieder. Den einzigen Wermutstropfen stellt der Titel des Werkes dar, der zwar ab Seite 18 mit "Commencement of the Mission" regelmäßig richtig gebraucht wird, der sich aber nicht auf dem Cover der Übersetzung findet. Dort steht der sinngemäß zusammenfassende Titel "Die Gründung des Fatimidenstaates (Founding the Fatimid State)" und der in meinen Augen zu reißerische Untertitel "Die Entstehung eines frühislamischen Reiches (The Rise of an Early Islamic Empire)". Dieser Untertitel ist zu allgemein gehalten und soll vermutlich eine verkaufsfördernde Funktion haben.
Abschließend lässt sich sagen, dass Hajis Werk eine vorbildliche Übersetzungsarbeit darstellt, die vielen Islamwissenschaftlern und Mittelalterhistorikern von hohem Nutzen sein wird und die beinahe ebenso spannend zu lesen ist, wie Heinz Halms Standardwerk zu dieser Thematik. [1]
Anmerkung:
[1] Heinz Halm: Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der Fatimiden (875-973). München 1991.
Jens Scheiner