Rezension über:

Stefano Palmieri: La Cancelleria del Regno di Sicilia in Età Angioina (= Quaderni dell' Accademia Pontaniana; Nr. 48), Napoli: Accademia Pontaniana 2006, 224 S., ISBN 978-88-7431-356-3, EUR 38,00
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Rezension von:
Julia Becker
Deutsches Historisches Institut, Rom
Redaktionelle Betreuung:
Georg Vogeler
Empfohlene Zitierweise:
Julia Becker: Rezension von: Stefano Palmieri: La Cancelleria del Regno di Sicilia in Età Angioina, Napoli: Accademia Pontaniana 2006, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/15863.html


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Stefano Palmieri: La Cancelleria del Regno di Sicilia in Età Angioina

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Im Vergleich zu der normannischen, staufischen oder aragonesischen Herrschaft im Regnum Siciliae ist die Periode der Anjou relativ zurückhaltend erforscht. Während die Zeit des Staufers Friedrichs II. (1194-1250) in der aktuellen Forschungsdebatte nach wie vor hoch im Kurs steht, wird der gut 170 Jahre andauernden Herrschaft der Anjou in Sizilien (und Neapel) in der europäischen Mediävistik noch geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Diesem Desiderat will die zu besprechende Publikation auf dem Gebiet der Kanzleigeschichte entgegenwirken. Die letzten umfangreicheren Studien von Durrieu, Cadier und Sthamer zur angevinischen Kanzlei liegen gut ein Jahrhundert zurück und konzentrierten sich auf die Regierungszeit Karls I. von Anjou (1266-1285). [1] Daher ist es umso erfreulicher, dass der Neapolitaner Paläograf, Archivar und Diplomatiker Stefano Palmieri nun die gesamte Herrschaftsperiode der Anjou, von Karl I. bis Johanna I. (1343-1382), einschließlich des Hauses der Anjou-Durazzo bis Johanna II. (1414-1435) in den Blick nimmt.

Der vorliegende Band ist aus einem Vortrag erwachsen, den der Verfasser im Rahmen eines Studientages zum Thema "Réformer l'Église, réformer l'État: une quête de légitimité (XIe-XIVe siècle)" an der Maison mediterranéenne des sciences de l'homme im März 2006 gehalten hat. Er basiert teilweise auf den Ergebnissen, die Jole Mazzoleni, Direktorin des Archivio di Stato von Neapel (1956-1973), bereits im Jahr 1987 veröffentlicht hatte, deren Andenken die Publikation auch gewidmet ist. [2] Palmieri geht über Mazzoleni hinaus, indem er statt der Zerstörung und Rekonstruktion der Register Karls I. und Karls II. die Arbeitsabläufe innerhalb der angevinischen Kanzlei und die Registerführung der einzelnen Herrscher in den Vordergrund rückt. Nach einer kurzen Einleitung zur magna regia curia, die den zentralen Kern der angevinischen Verwaltung bildete und sich vor allem aus dem König, seinen wichtigsten Verwandten, Vasallen, Amtsträgern und Ratgebern zusammensetzte (11-23), geht Palmieri kurz auf die Kanzleigebräuche in staufischer Zeit (23-28) und den Verwaltungsapparat des ersten Angiovinen ein (30-55), um daran aufzuzeigen, dass es zwar viele Gemeinsamkeiten, aber keine direkte Kontinuität in der Kanzleipraxis Friedrichs II. und Karls I. von Anjou gab. Danach bespricht der Verfasser detailliert die Registerführung Karls I. (55-125) und die Kanzleipraxis Karls II. (125-167), um abschließend noch auf die Entwicklung der Kanzlei unter Robert dem Weisen, Johanna I. und Johanna II. einzugehen.

Die ersten Register Karls I. von Anjou aus den Jahren 1266 bis 1268 waren noch nicht nach chronologischen oder systematischen Gesichtspunkten geordnet. Erst durch die Ernennung des französischen Prälaten Geoffroy de Beaumont im Jahr 1268 zum Kanzler wurde eine entscheidende Wende in der Organisation der angevinischen Kanzleipraxis eingeleitet. Geoffroy de Beaumont führte drei verschiedene Registerserien ein - ein Register des cancellarius, ein Kammerregister und ein drittes für die magistri rationales - und ließ die Registerrubriken nach Empfängern und Inhalt untergliedern. Wenig später wurde noch eine vierte Registerserie eingerichtet, diejenige der littere secrete beziehungsweise der littere clausae, also für politische Korrespondenz vertraulichen Inhaltes. Diese - vielleicht interessanteste - Registerserie ist heute leider verloren und kann nur durch Vermerke wie registrata in secretis nachträglich erschlossen werden. Karl II. begann 1291 noch eine fünfte Registerserie, nämlich das Register des Protonotars, sodass mit Ausnahme der Zeit zwischen 1291 bis 1293 fünf parallele Registerserien nebeneinander bestanden. Die zunehmende Spezialisierung der königlichen Registerführung hatte zur Folge, dass die schriftliche Produktion der Kanzlei stark anstieg und die Zuständigkeitsbereiche innerhalb der Kanzlei neu verteilt werden mussten. Während in staufischer Zeit allein die Notare die königlichen Diplome ausfertigten und registrierten, finden sich nun nach päpstlichem Vorbild neben den Notaren, die den Inhalt des Privilegs redigierten, auch scriptores und registratores, die für die Ausfertigung und Eintragung in die verschiedenen Register zuständig waren.

Karl II. nahm zwar keine grundlegenden Änderungen in der Kanzleipraxis vor, trug aber weiter zur Spezialisierung der königlichen Registerführung bei und veränderte die Arbeitsabläufe innerhalb der Kanzlei. Neben der Einführung der Registerserie des Protonotars verfügte Karl II. 1294 und 1295, dass die Registrierung des jeweiligen Privilegs anhand des Originals nach dessen Fertigstellung und Siegelung erfolgen musste, um nachträgliche Interpolationen durch das Kanzleipersonal zu vermeiden. Das Amt des Protonotars gewann unter Karl II. an Bedeutung und verdrängte allmählich das Amt des Kanzlers, das noch zur Zeit Karls I. an der Spitze der Ämterhierarchie der Kanzlei gestanden hatte.

Robert von Anjou differenzierte die Registerführung weiter, indem er unter anderem die Verfügungen seines Vikars, Herzog Karls von Kalabrien, aufnahm, und erschwerte damit zusätzlich die Kanzleiarbeit. Johanna I. veränderte die Kanzleipraxis nicht nennenswert, doch manifestieren sich unter ihrer Herrschaft bereits die ersten Anzeichen zur Vereinfachung und Verschlankung der Registerführung sowie zur Verkürzung der Kanzleiabläufe, eine Entwicklung, die auch unter Johanna II. Fortsetzung fand, denn der Arbeitsaufwand, den die komplizierte Registerführung erforderte, war vor allem in politisch instabilen Zeiten nicht mehr zu bewerkstelligen.

Insgesamt vermittelt die Studie von Palmieri ein detailreiches Gesamtbild der angevinischen Kanzlei, wobei auch der Schwerpunkt dieser Arbeit eindeutig in der Zeit Karls I. und Karls II. liegt. Leider ist die Lesbarkeit des vorliegenden Buches durch zahlreiche, in manchen Fällen nicht immer notwendige Exkurse sowie die Tatsache, dass die gut 200 Seiten kaum gegliedert sind, erschwert. Nur ein Namenregister beschließt den Band. Schon eine chronologische Einteilung hätte dem Leser einen Leitfaden bei der Lektüre zur Hand gegeben. Daher ist zu befürchten, dass die Publikation außerhalb Italiens und über den engsten Expertenkreis hinaus nicht rezipiert werden wird.


Anmerkungen:

[1] Paul Durrieu: Les archives angevines de Naples. Étude sur les registres du roi Charles I er (1265-1285), 1-2, Paris 1886-1887; Léon Cadier: Essai sur l'administration du royaume de Sicile sous Charles I er et Charles II d'Anjou, Paris 1891; Eduard Sthamer: Die Reste des Archivs Karls I. von Sizilien im Staatsarchive zu Neapel, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 14 (1911), 68-139. Jüngst siehe jedoch Andreas Kiesewetter: La cancelleria angioina, in: L'État angevin. Pouvoir, culture et société entre XIIIe et XIVe siècle (= Collection de l'École Française de Rome, 245), Roma 1998, 361-415.

[2] Jole Mazzoleni: Storia della ricostruzione della cancelleria angioina (= Testi e documenti di storia napoletana pubblicati dall'Accademia Pontaniana, 37), Napoli 1987.

Julia Becker