Martin van Creveld: Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute, München: Siedler 2009, 352 S., ISBN 978-3-88680-895-3, EUR 22,95
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Der renommierte Militärhistoriker Martin van Creveld hat als einer der ersten auf die neue Qualität von militärischen Auseinandersetzungen nach dem Ende des Kalten Krieges hingewiesen. Das war 1991 und somit lange vor den Anschlägen von New York, Madrid, Bali und London sowie den Feldzügen der USA gegen den Irak und in Afghanistan. [1] Nun hat er eine Geschichte der Kriegsführung im 20. Jahrhundert vorgelegt. Wohlgemerkt, eine Geschichte der Kriegsführung, nicht des Krieges. Politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder technologische Hintergründe finden nur insofern Beachtung, als dass sie dem besseren Verständnis der eigentlichen Kriegshandlungen dienen. Das ist ohne Zweifel ein ambitioniertes Unterfangen, wenngleich beim Lesen schnell klar wird, wo sein eigentliches Interesse liegt. Es sind die Kriege der Gegenwart, die vielzitierten "neuen Kriege", die ihn fesseln und denen er den Großteil seiner Aufmerksamkeit widmet. Das verdeutlicht bereits die Einleitung, in der vom Krieg im Irak, vom Nahost-Konflikt, dem Vorgehen Russlands in Tschetschenien und Georgien sowie der Terrorismusbekämpfung in Südostasien, kurzum, von den militärischen Auseinandersetzungen unserer Zeit, als Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung, die Rede ist. Wie konnte es zu dieser vermeintlich neuen Form der Kriegsführung kommen, und wie entwickelte sie sich aus ihren Vorläufern im 19. und 20. Jahrhundert? Das sind die zentralen Fragen, denen das Buch nachgeht.
Die Geschichte des neuzeitlichen Krieges ist für van Creveld zunächst die Geschichte eines sukzessesiven Ordnungsverlustes. Besonders deutlich wurde dies am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, hervorgerufen durch eine bis dahin nicht da gewesene Technisierung und Industrialisierung der bewaffneten Auseinandersetzungen in der westlichen Welt. Anders als in den vorangegangenen Jahrhunderten wurden Kriege nicht länger in Schlachten entschieden, bei denen es das Ziel der Feldherren war, so viele Truppen wie nur möglich an einer Stelle zusammenzuziehen, wobei in der Summe selbst die größte Armee nicht mehr als ein winziges Pünktchen auf der Landkarte darstellte. (Napoleon wusste schon, wovon er sprach, wenn er darauf hinwies, dass Schlachten über das Schicksal von Staaten, Nationen und Kronen entscheiden). Diese altbewährte Praxis des Krieges hatte mit Eintritt in das 20. Jahrhundert weitgehend ausgedient. Die Balkankriege 1912/13, die als grausame Volkskriege zwischen allen Beteiligten ausgefochten wurden, kündigten eine neue Realität des Krieges an, die nur wenige Monate später auch das übrige Europa erfasste. Was die Großmächte bislang nur aus ihren Kolonien kannten, hatte sie mit dem Ersten Weltkrieg selbst erreicht: Ein Blutvergießen, das vor den Zivilbevölkerungen nicht länger Halt machte und zivile Orte in legitime Angriffsziele verwandelte. Anton Holzer hat hierauf in seiner kürzlich erschienenen Studie zu den Kriegsverbrechen deutscher und österreichischer Truppen, vorwiegend an der Ostfront, eindrucksvoll hingewiesen. [2] Nicht allein der militärische Sieg stand seither im Mittelpunkt militärisch-strategischer Planungen, sondern vielmehr die vollständige physische Vernichtung und Ausrottung des Gegners.
Dass die europäischen Mächte aus den Schreckenserfahrungen des Ersten Weltkrieges Lehren gezogen hätten, lässt sich nur bedingt feststellen. Und wo dem doch so war - beispielsweise in England oder in den USA -, waren es die falschen. Dies sollte sich freilich erst im Nachhinein herausstellen. Während sich insbesondere die USA und Großbritannien in den Folgejahren des Ersten Weltkrieges auf ihre Eigenständigkeit besannen und bemüht waren, europäischen Händeln aus dem Weg zu gehen, setzte sich in Deutschland zunehmend die Überzeugung durch, der Krieg hätte gewonnen werden können, wären nur sämtliche Ressourcen der Nation dafür herangezogen worden. Dieser Fehler sollte dem Land nicht noch einmal unterlaufen. Die dazu passende theoretische Unterfütterung lieferten Männer wie der ehemalige Weltkriegsgeneral Ludendorff, dessen Schrift über den Totalen Krieg der Zukunft reißenden Absatz fand. Wie schnell daraus grausame Realität werden sollte, hätte sich wohl selbst ein Ludendorff - er starb 1937 - nicht träumen lassen: Rund 55 Millionen Menschen kamen im Verlauf des Zweiten Weltkrieges gewaltsam ums Leben. Erst jetzt schien man in den einstigen Mittelmächten zu begreifen, dass sich das Konzept einer Nation in Waffen, dessen theoretische Grundlegung bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht, in der Praxis alles andere als bewährt hatte.
Wenngleich es auch der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Kriegen nicht mangelte, waren sie nun doch eher die Ausnahme als die Regel. Militärisch handelte es sich dabei, verglichen mit den Kriegen der ersten Jahrhunderthälfte, ohnehin eher um Scharmützel, wenngleich nicht selten tödliche Scharmützel, wie im Fall Äthiopiens, Somalias oder im ehemaligen Jugoslawien. Auch der zweite und dritte indisch-pakistanische Krieg sowie fast alle arabisch-israelischen Kriege zeichneten sich durch kurze, gezielte militärische Vorstöße aus. Dasselbe gilt für den chinesisch-vietnamesischen Krieg und die Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und Argentinien um die Falklandinseln. Eine Ausnahme bildete der Koreakrieg, der jedoch ohne die Unterstützung von außen (der Norden wurde von der Sowjetunion und China, der Süden von den USA unterstützt) so nicht denkbar gewesen wäre. Zumal die koreanischen Kombattanten - anders als die Großmächte im Ersten und Zweiten Weltkrieg - gar nicht über die Ressourcen für einen langen Kampf verfügten. Rüstungstechnisch standen die Jahre 1945 bis 1990, wie van Creveld wiederholt betont, im "Schatten der Bombe", wobei das nukleare Wettrüsten beide Supermächte mehr als einmal an den Rand des Bankrotts, und die Sowjetunion schließlich sogar in denselben, geführt hat.
Ohnehin markiert die Entwicklung der Atombombe für van Creveld die entscheidende militärische Innovation des 20. Jahrhunderts; ihren Abwurf über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 bezeichnet er als den "mit Sicherheit wichtigsten militärischen Wendepunkt in fast 300 Jahren Militärgeschichte" (318). Denn von nun an waren alle Fronten geklärt, dem seit rund zweieinhalb Jahrhunderten andauernden Machtkampf der Nationalstaaten um militärische und politische Vorherrschaft ein Ende gesetzt. Darüber hinaus verloren die Atommächte die Fähigkeit, gegeneinander Krieg zu führen, wenngleich es einige Zeit dauerte, bis diese Tatsache von allen verstanden wurde. Kurzum, mit der Erfindung der Atombombe kehrte die Ordnung, die dem (europäischen) Kriegswesen an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert abhanden gekommen war, in die Geschichte zurück. Doch hatte die Abwesenheit größerer Auseinandersetzungen zur Folge, dass die Anzahl kleinerer, innerstaatlich ausgetragener Konflikte - insbesondere in den ehemaligen Kolonialgebieten - sprunghaft zunahm. Diese von van Creveld als Aufstände der Schwachen gegen die Starken - denn darum handelte es sich zumeist - charakterisierten Kriege, führten zu einer Renaissance des Guerillakrieges, dessen kontinuierliche Weiterentwicklung und weltweite Anwendbarkeit wir gegenwärtig unter dem Schlagwort des globalen Terrorismus zusammenfassen. Dabei fällt auf, dass Versuche, dergleichen Aufstände niederzuschlagen, bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Regel zum Scheitern verurteilt waren.
Martin van Creveld ist mit Gesichter des Krieges erneut ein Buch gelungen, das zu Lesen von der ersten bis zur letzten Seite ein Vergnügen ist. Mitunter liegt dies an dem flüssigen Stil, in dem es geschrieben und von Norbert Juraschitz ins Deutsche übertragen wurde. Mehr noch aber sind es die stets pointierten, zum Teil gewagten Thesen van Crevelds, die, ebenso kenntnis- wie geistreich vorgetragen, das Buch zu einer so kurzweiligen Lektüre machen. Das bedeutet freilich nicht, dass den Ausführungen in sämtlichen Details zuzustimmen wäre, im Gegenteil: So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, das simple Aufrechnen sowjetischer und us-amerikanischer Atomwaffenbestände als Grundlage für das relativ stabile Mächtegleichgewicht nach 1945 sicherlich zu kurz gegriffen. Zumal es nicht berücksichtigt, dass auch zahlreiche andere Staaten nach 1945 in den Besitz "der Bombe" gelangten. Dies jedoch ändert nichts an der Tatsache, dass van Creveld ein Buch geschrieben hat, das zu lesen und darüber zu diskutieren lohnt.
Anmerkungen:
[1] Martin van Creveld: On Future War, London 1991.
[2] Anton Holzer: Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918, Darmstadt 2008.
Florian Keisinger