Rezension über:

Uta Grünberg: Potestas Amoris. Erotisch-mythologische Dekorationen um 1600 in Rom (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 72), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2009, 256 S., 284 Abb., davon 125 in Farbe, ISBN 978-3-86568-065-5, EUR 49,95
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Rezension von:
Victoria von Flemming
Institut für Kunstwissenschaft, Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Victoria von Flemming: Rezension von: Uta Grünberg: Potestas Amoris. Erotisch-mythologische Dekorationen um 1600 in Rom, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 5 [15.05.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/05/16800.html


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Uta Grünberg: Potestas Amoris

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Wer seine Dissertation über "erotisch-mythologische" Ausstattungen um 1600 in Rom als "primär ikonographisch und ikonologisch" verfahrende Studie anlegt, hat sich Beachtliches vorgenommen. Erst recht dann, wenn, wie einleitend zu lesen ist, nicht nur Ikonografie, also motivgeschichtlich angereicherte Identifizierungen vorgenommen, sondern zugleich ein ideen- und sozialgeschichtlicher Kontext der einzelnen Themen berücksichtigt werden soll (7). Dann nämlich erwartet man die Auseinandersetzung mit einer derweil ziemlich komplexen Kontroverse. Bescheinigen ein paar Dutzend zwischen 1450 und 1600 entstandener Liebestraktate und ein paar tausend im gleichen Zeitraum publizierter Liebesgedichte, dass die Überlegungen zum "richtigen" Umgang mit sämtlichen aus der Liebe geborenen Begehren in diesem Zeitraum einen beeindruckenden Stellenwert gehabt haben müssen, so gibt es seit ungefähr fünfzig Jahren eine Diskussion darüber, wie sich das Verhältnis der bildenden Kunst zu den in der Regel philosophisch fundierten, frühneuzeitlichen Texten bestimmen lässt. Und man kann ohne Weiteres sagen, dass auf diese Weise die Auseinandersetzung mit Darstellungen von Liebe, Erotik und Sexualität der Kunstgeschichte eine Gelegenheit für Nutzen und Notwendigkeit einer Interdisziplinarität geboten hat, die ihr sehr früh - und viel früher als anderen Disziplinen - ein spezifisch kulturwissenschaftliches Profil verlieh.

Wer den umfangreichen und prächtig illustrierten Band von Uta Grünberg mit der Erwartung einer diesen Zusammenhang berücksichtigenden Positionierung zu lesen beginnt, wird indes enttäuscht sein. Und irritierend ist das nur, weil es sich unversehens als fast zwingende Konsequenz erweist. Denn die von Grünberg erörterten Fresken von Cesare d'Arpino in der Loggia Orsini (Palazzetto dei Piceni) (10-82), die Gemälde und Fresken von Annibale und Carracci im Palazetto Farnese (119-158) und schließlich Francesco Albanis Ausstattung der Loggia im Palazzo Verospi (159-183) stellen zwar viele zum Teil spärlich bekleidete Götter dar, aber das ist ja selbst im 16. und 17. Jahrhundert noch nicht zwingend erotisch. Und so ist zunächst schwer einzusehen, inwiefern Erotik das alle Ausstattungen verbindende Thema sein soll.

Ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen, dass Albani sich zumindest strukturell und - wie jetzt zu sehen ist - auch inhaltlich an d'Arpinos Fresken orientierte, so bleibt die Beziehung dieser beiden Ausstattungen zu jener des Palazetto Farnese, wo statt einer zusammenhängenden Freskierung ein paar favole, das Rinaldo-Armida Gemälde und die auf ihre Weise narrativ angelegte Schlafende Venus von Carracci den poesie Tizians vergleichbar zusammengehängt wurden, schleierhaft. Und die Unterschiede der Ausstattungen werden auch dann nicht geringer, wenn auf die durch Briefe gut dokumentierte Männerfreundschaft zwischen Corradino Orsini und Odoardo Farnese verwiesen und die Funktion beider Palazzi als gleichsam private, auf jede Repräsentation verzichtende, einander imitierende Refugien beschrieben wird.

Die von Grünberg ausführlich geklärten Besitzverhältnisse und die von ihr zusammengetragenen notorisch sarkastischen Kommentare Vicino Orsinis, Erfinder und Auftraggeber von Bomarzo, über seinen Sohn Corradino machen tatsächlich den von Astolfi und Röttgen vermuteten Zusammenhang der Fresken mit einer Hochzeit sehr unwahrscheinlich; aber dass die Themen stattdessen auf verborgen gehaltene Vergnügen zu beziehen seien, hätte überlegen lassen müssen, ob die Fresken im Palazzo Orsini überhaupt in entsprechender Weise hätten wahrgenommen werden können.

Dass weder d'Arpinos noch Albanis Bilder die Blicke eines um Sozialdisziplinierung bemühten Klerus hätten fürchten müssen, lässt sich als historisch wahrscheinliche Rezeption ex negativo erschließen.

Ist hinlänglich bekannt, welche List der Vernunft immer wieder dafür sorgte, dass eine Konfrontation des Papstes mit den wenig zimperlichen Skulpturen in Bomarzo ausblieb, so ist auch bekannt, dass Agostino Carracci durch die lascivie in arge Bedrängnis geriet, dass Caravaggios Amor in der Sammlung Giustiniani mit einem Vorhang verborgen, dass die Apoll und Daphne-Gruppe Berninis mit einem lateinischen Distichon pertrarkischer und dass die Fresken der Galleria Farnese mit einer Allegorese neuplatonischer Provenienz rehabilitiert werden mussten. Und damit ist klar, dass vorwiegend Darstellungen von Liebschaften als problematisch galten. All das aber trifft auf d'Arpinos und Albanis ihrer narrativen Zusammenhänge ja gerade weitgehend beraubten Figuren gerade nicht zu. So gewiss Erotik in einigen der Farnese-Aufträge eine Rolle gespielt haben dürfte, so marginal war sie in den beiden Loggien. Deshalb wird es dann plötzlich auch schlüssig, den "politisch kulturellen Kontext" oder die "Auswirkungen des Konzils auf profane Malerei" und die bereits von Roberto Zapperi anlässlich der Galleria Farnese dargelegte Positionierung Papst Clemens VIII. auf genau zwei Seiten abzuhandeln. Denn wo es nicht um Erotik geht, muss auch nicht der entsprechende Diskurs berücksichtigt werden. Allerdings gerät aufgrund dieser Unterschiede die von Grünberg akzentuierte Vorbildhaftigkeit der Loggia Orsini für die Galleria Farnese einmal mehr ins Wanken.

Wo für die grandiose Gliederung der Decke ohnehin eher an die lange bekannten Vorbilder zu denken wäre, da ist fraglich, was eine fingierte Galerie voller mythologischer favole mit den ihrer Geschichten weitgehend entkleideten Figuren verbinden sollte.

Da Cesare d'Arpinos Ausstattung formal am Anfang, inhaltlich und quantitativ mit gut hundert Seiten freilich im Zentrum der Arbeit steht, werden hier eine bislang weitgehend unerforschte und nun akribisch rekonstruierte Baugeschichte des Palastes, eine Untersuchung des Verhältnisses der Familie Orsini zur Sodalität der Piceni, eine Darstellung der Biografien von Auftraggeber und Maler, ein Vergleich mit der Capella Olgiati Arpinos, eine etwas ungewöhnlich nach Autorennamen gegliederte Auseinandersetzung mit der Forschung geliefert, während sich auf ungefähr dreißig Seiten detailreiche und immens fleißig zusammengetragene motivgeschichtliche Analysen sowie eine etwas unglücklich als "bildliche Inspiration" bezeichnete Auseinandersetzung mit thematisch vergleichbaren Fresken des Cinquecento finden. Der beeindruckende Fleiß und die Akribie, mit denen jedem dieser Aspekte Rechnung getragen wird, führen indes zu einer so rasanten Akkumulation von Material, dass man für ein ebenso wohlwollendes wie entschiedenes Redigat dankbar gewesen wäre. Wo unversehens alles gleich wichtig erscheint, droht das eigentliche Anliegen verschüttet zu werden. Aber worin besteht es, wenn Erotik als alle verbindendes Thema ausscheidet?

An diesem Punkt ist es dann doch bedauerlich, dass in Grünbergs Arbeit auf die Berücksichtigung der ja lange allgemeinverständlich aufbereiteten Traktate über die Liebe verzichtet wird. Denn auch wenn wiederholt darauf hingewiesen wird, dass einzelne Götter sowohl auf einen amourösen als auch auf einen kosmologischen Zusammenhang weisen, dass sie also gleichsam doppelt codiert sind, so fehlt eine ganz schlichte Feststellung: Die nämlich, dass das alle Ausstattungen verknüpfende Thema jenes von Platon über Lukrez bis zu Ficino und Bruno variierte philosophische Modell ist, demzufolge die Ordnung des Universums von der das All durchwirkenden Liebe abhängt. Kosmologie und Liebe waren schon lange miteinander verschränkt. Das ist umso spannender, als das Aufrufen dieses traditionellen, wenn nicht obsolet anmutenden Modells sich nicht allein disparat zu den naturwissenschaftlichen Entdeckungen des 16. und 17. Jahrhunderts verhält, überdies wird doch sofort fraglich, was die Verschränkung von Zeit und alles durchwirkender göttlicher Liebe mit der Kalenderreform unter Papst Gregor XIII. im Jahre 1582 zu tun gehabt haben könnte.

Vor diesem Horizont wird aber einmal mehr deutlich wie immens wichtig die Fresken d'Arpinos im Palazzo der Orsini waren. Denn dort dürfte mit der im Deckenplafond wie eine Rezeptionsanweisung situierten Szene des mit Pan kämpfenden Amor bereits entworfen worden sein, was nun tatsächlich sowohl im Palazetto Farnese, als auch in der Loggia Verospi variiert werden sollte: dass der das All besiegende Amor nicht nur, wie Grünberg völlig zu Recht darlegt, eine ansehnliche Bandbreite amouröser Verwicklungen unter Göttern und Menschen verursacht, sondern als metaphysisches Prinzip eben auch die Abfolge der Zeit determiniert. Allein deshalb tritt Venus, wie gut belegt wird, eben auch als Morgen- und Abendstern auf, allein deshalb wird der hübsche Adonis dargestellt, der laut Macroboius nach seinem Tod zwar in der dunklen Jahreszeit bei Proserpina bleiben muss, in Frühling und Sommer jedoch bei der glücklicherweise irdisch wirkenden Venus verweilen darf. Dürfte vor diesem Horizont erklärbar werden, warum Annibale Carracci eben auch Tageszeitenallegorien für den Palazzetto fertigte, so zeigt sich, dass das in der Loggia Orsini zur Geltung gebrachte philosophische Konzept für den Kardinal Verospi abermals transformiert werden sollte. Während hier das ganze Jahr durch den vom Zodiakus umgebenen Apoll, die einzelnen Jahreszeiten und die Wochentage durch das bekannte mythologische Personal, die Tageszeiten dagegen durch eins zu eins übernommene Allegorien aus Cesare Ripa vorgestellt werden, da machen lediglich die in den Stichkappen angebrachten Szenen den Zusammenhang von Liebe und Zeit sichtbar.

Schade, dass solche Synthesen in den unzähligen, Arbeit, Fleiß und Ambition verratenden Detailstudien fehlen oder untergehen.

Victoria von Flemming