Nicolas Beaupré: Das Trauma des großen Krieges 1918-1932/33 (= WBG Deutsch-Französische Geschichte; Bd. 8), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, 280 S., ISBN 978-3-534-14706-9, EUR 69,90
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Die vom DHI Paris verantwortete und 2005 begonnene Reihe der "deutsch-französischen Geschichte" vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart biegt mit Band 8 über die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zügig auf die Zielgerade ein. Nach der nur im ersten Band abgedruckten Reihenkonzeption wollen hier methodisch neue Wege gebahnt und soll "eine wesentliche Etappe auf dem Weg zu einer wirklich europäischen Geschichtsschreibung" geleistet werden; dabei soll die "traditionelle Diplomatiegeschichte" gegenüber "sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen" eher in den Hintergrund treten und die "gegenseitige Wahrnehmungsgeschichte" im Vordergrund ausgeleuchtet werden. Das folgt einerseits aktuellen Trends der Geschichte der internationalen Beziehungen, klingt allerdings andererseits auch ein wenig nach Beliebigkeit. Ob etwa bei dem vergleichsweise schmalen Umfang der einzelnen Bände eine solche Konzeption nicht auf eine zu starke Reduktion der politischen Geschichte hinausläuft, deren Bedeutung für die beiderseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen - gerade im 20. Jahrhundert - wohl kaum ganz in Abrede gestellt werden kann und deren Verläufe man kennen sollte, um kulturgeschichtliche Fragen angemessen einordnen zu können, mag fraglich bleiben.
Nicolas Beaupré, der mit Arbeiten über den Ersten Weltkrieg und dessen Folgen hervorgetreten ist, löst dieses Konzept im Rahmen des Möglichen ein: Er bietet in der ersten Hälfte einen chronologisch angelegten Abriss der beidseitigen Entwicklungen Deutschlands und Frankreichs sowie der sich daraus ergebenden Beziehungen seit der Endphase des Ersten Weltkriegs. Die zweite Hälfte widmet der Autor ausgewählten Fragen vor allem kulturhistorischer Provenienz. Ein eher knappes Quellenverzeichnis, ein üppiges Literaturverzeichnis und ein Personenregister (leider kein Sachregister) runden den Band ab.
Durchgängig und rundum zutreffend wird versucht, die Geschichte beider Länder und ihrer wechselseitigen Beziehungen und Verflechtungen zunächst aus der traumatischen individuellen wie gesellschaftlichen Erfahrung des Weltkriegs zu beschreiben. Unterschiedlich wirkte diese Erfahrung allerdings insofern, als der Krieg für Frankreich mit einem Sieg, für Deutschland 1918 in der Niederlage endete. Zudem setzte sich die unmittelbare Kriegserfahrung noch etliche Jahre über das Schweigen der Waffen hinweg sowohl bei Siegern wie Besiegten fort, etwa in Deutschland durch den Hunger infolge der Blockade und für beide Seiten durch die Erfahrung von Besatzung und Besetztsein. Eine der Stärken des Buchs liegt darin, dass Beaupré gerade zu Letzterem eben nicht nur die Zentralen, sondern vor allem auch die Regionen beiderseits der Grenze, also etwa Elsass-Lothringen, das Saargebiet und das Rheinland in den Blick nimmt. Dadurch kann er besonders gut deutlich machen, wie sich die gegenseitige Ablehnung bis nach dem Ruhrkampf eher noch verstärkte.
Die folgenden ganz wenigen Jahre, in denen sich auf politischer Ebene im Zuge der Stresemann'schen und Briand'schen Verständigungspolitik eine gewisse Détente vollzog, boten auch unter transnationaler Perspektive - z.B. in der Wissenschaft und allgemeiner der Zivilgesellschaft - die hoffnungsvollsten Ansätze. Aber sie wurden bald hinweggefegt, als die heraufziehende große wirtschaftliche und soziale Krise wieder die unversöhnlichen Fronten in Deutschland über die ganz gegensätzliche Interpretation der Kriegserfahrung in den Vordergrund stellte. Anders als - in gewissem Maß - in Frankreich hatte man auf deutscher Seite niemals zu einer einheitlichen kollektiven Erinnerung gefunden.
Vor allem der zweite Teil des Buches mit den vielen Anregungen zu kulturhistorischen Fragestellungen, die der Natur der Sache nach häufiger zu weiteren Fragen als zu fertigen Antworten führen, ist wertvoll und bestätigt durchaus das Potenzial einer solchen bilateralen Geschichtsschreibung und deren Erweiterungsfähigkeit hin zur oben angesprochenen und von den Herausgebern postulierten "wirklich europäischen Geschichtsschreibung".
Allerdings wird dieser an sich positive Eindruck des Buches mit seinen vielen Denkanstößen durch einige Einschränkungen getrübt. Dabei mag das in der französischen Historiografie gebräuchliche, für den deutschen Leser aber irritierende Hin- und Herspringen im Tempus vielleicht nur gewöhnungsbedürftig sein. Auch über gelegentliche Stilblüten kann man hinwegsehen, selbst wenn sie ungewollt makaber ausfallen. ("Außerdem vermischen sich die Kriegsgefallenen mit den Toten der Spanischen Grippe, die damals Europa heimsucht.", 115) Vielleicht handelt es sich selbst beim "blutigen Mai", der ins Jahr 1928 (61) und damit ein Jahr zu früh datiert wird, nur um einen Druckfehler. Aber gravierender ist schon, dass man an etlichen Stellen bei der Schilderung politischer Ereignisse und Vorgänge doch stutzt und das Gelesene nun wirklich nicht recht glauben will. Dazu nur drei Beispiele: "Bei der Pariser Konferenz [1919] und den Verhandlungen zu den Vertragsklauseln [des Versailler Vertrags] gab es bereits direkte Auseinandersetzungen zwischen deutschen und französischen Delegierten, die häufig von den Belgiern unterstützt wurden. Briten und Amerikaner nahmen neben den Gegnern eine moderierende Position ein." (53) - den Verlauf der Pariser Friedenskonferenz hatte man doch anders in Erinnerung. "Außenpolitisch erlaubte sie [die Hyperinflation 1923] zwar, enorme Schulden zu tilgen"(71): Wenn das so einfach gewesen wäre, hätte Deutschland im Herbst 1923 alle Auslandsschulden inklusive der Reparationen mit einem Geldschein begleichen können. Und die Volksabstimmung in Eupen-Malmedy 1920 fiel nun gerade nicht "sehr günstig für Deutschland aus" (141), sondern sie wurde unter fragwürdigen Bedingungen von Belgien zu einem eindeutig probelgischen Ergebnis manipuliert. Wenn man auf Seite 164 von "Stahlminen" liest, die Deutschland bei den Territorialabtretungen in Oberschlesien verloren haben soll, könnte man zwar auf die Idee kommen, der eine oder andere Fehler sei vielleicht der Übersetzung geschuldet; das muss aber mangels Überprüfbarkeit offenbleiben. Sicher ist jedoch, dass man einem Band in einer solchen Reihe ein solides Lektorat wünschen würde.
Wolfgang Elz