Anne Betty Weinshenker: A God or a Bench. Sculpture as a Problematic Art during the Ancien Régime (= French Studies of the Eighteenth and Nineteenth Centuries; Vol. 21), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2008, 379 S., ISBN 978-3-03910-543-4, EUR 68,50
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Angesichts der vorherrschenden Stellung der französischen Skulptur des 17. und 18. Jahrhunderts ist es erstaunlich, dass bei der Vielzahl an Publikationen über die Malerei eine grundlegende kunsttheoretische Überblicksdarstellung zur Bildhauerei fehlt. Als entscheidendes Nachschlagewerk gilt François Souchals Katalog "French Sculptors of the 17th and 18th century" (1977-81). 1993 legte Michael Levey "Painting and Sculpture in France 1700-1789" und Alison West 1998 "From Pigalle to Préault" vor. In jüngster Zeit erschien Aline Magniens "La Nature et l'Antique, la chair et le contour. Essai sur la sculpture française du XVIIIe siècle". Ein Großteil der Forschung legt den Fokus auf das Ancien Régime - so auch Anne Betty Weinshenker in ihrem 2008 publizierten Band "A God or a Bench. Sculpture as a Problematic Art during the Ancien Régime". Doch anders als der Titel verlauten lässt, greift sie zur Veranschaulichung ihrer Argumentation auf die für die skulpturale Produktion bedeutsame Epoche Ludwigs XIV. zurück.
Einen Schwerpunkt bildet die Analyse der Rezeption der Bildhauer in ihrem gesellschaftshistorischen und künstlerischen Rang (Kap.5) u.a. im Spannungsfeld der Akademie als Ausbildungsinstitution und dem Hof als Auftraggeber. Ausgangspunkt ist der seit der Renaissance schwelende Paragone zwischen Malerei und Skulptur (Kap.4), aber auch medieninhärent zwischen den antikennahen Anciens und gegenwartsreflektierenden Modernes. Anhand von Kriterien wie Entscheidungen in der Personalbesetzung, der Aufnahme neuer Mitglieder, der Beteiligung an den Conférences sowie der Vergabe der Prix ist ein Primat der Malerei an der Akademie zu verzeichnen. Die dominante Publikationstätigkeit der Maler und mehrfach belegte Zuordnung eines nur ausführenden Bildhauers im Gegensatz zum entwerfenden, auftragleitenden Maler führten ebenso zu einer Degradierung der Skulpturschaffenden wie die Tatsache, dass letztere häufiger geadelt wurden.
Weinshenkers Verdienst ist es, die Gründe für das Schattendasein der Bildhauer und die komplexe Beziehung der beiden Künste zu beleuchten.
Den Aufgabenbereichen des Denkmals, der Ausstattung von Parkanlagen und der Bauplastik widmet sie sich in "Open to View: Sculpture as a Public Art" (Kap.1). Durch die Platzierung im Außenraum und öffentliche Präsenz erreiche die Skulptur ein breiter gefächertes Publikum als die Malerei. In ihrem machtverherrlichenden Repräsentationsstatus demonstriere sie die omnipräsente Gegenwärtigkeit des Herrschers und evoziere dadurch eine kritische Rezeption. Diese memoriale Funktion kommt auch in der Grabplastik zum Ausdruck, die, wie sie anschaulich erläutert, in der zeitgenössischen Literatur kontrovers diskutiert wurde. Der Impetus dieses zweiten Kapitels liegt in der Diskussion der Skulptur als Verkörperung eines "intermediary state" (104) zwischen Tod und Leben. Ausgehend vom antiken Topos des Bildhauers als gottähnlichem Schöpfer, geht sie der Frage nach dem Illusionismus nach. Die beiden Extreme - Verlebendigung einer Statue durch die Künstlerhand Pygmalions und das Motiv der strafenden Versteinerung bspw. durch das Medusenhaupt - werden in der Mythologie und ebenso in der Skulptur aufgegriffen.
Die enge Sujetpalette der Bildhauerei und ihre Verbindung zu antiken Vorbildern habe dazu geführt, dass die Skulptur als vergangenheitsorientiert und wenig innovativ betrachtet wurde.
Wenn auch die hergeleiteten Bezüge die theoretischen Debatten vorwiegend bestimmten, wäre es interessant gewesen, deutlicher auf neue Entwicklungen und auch die umfassende Forschung von Hans Körner hinzuweisen.
Die Ausrichtung auf den Rezipienten und dessen Amüsement erfolgte ebenfalls in der Bildhauerei, die sich unter dem Einfluss der Naturwissenschaften und Psychologie neuen Körpermodellen zuwandte. Dass die Skulptur durch die Darstellung von Götter- und Herrscherstatuen eine stärkere politische und religiöse Instrumentalisierung erfuhr, thematisiert die Autorin im dritten Kapitel "Idolatry" an der konfliktreichen Spannung von bildaffiner Gegenreformation und protestantischem Ikonoklasmus. Interessant ist ihre Auflistung von Gemälden, auf denen eine Statue als angebetetes Götterbild fungiert und dadurch die Malerei der Skulptur einen spezifischen Bereich zuschreibt.
Nach Kapitel vier, in dem Weinshenker die Auswirkungen des italienischen Paragone auf Frankreich beleuchtet und an einigen Allegorien die benachteiligte Rolle der Bildhauerei belegt, findet diese kunsttheoretische Perspektive eine soziologische und gesellschaftshistorische Einbettung. In "The Social Status of the Sculptor" (Kap.5) zeigt sie mögliche Gründe auf. Neben dem hegemonialen Anspruch der Maler habe das Bild des jähzornigen, unintellektuellen Bildhauers diese Wahrnehmung zusätzlich forciert. Die mangelnde Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Bildhauern mit prestigeträchtigen, königlichen oder rein handwerklichen Aufträgen resultierte zwar in: "[...] "high" and "low" forms of sculpture, but the consequences of this view for the status of sculptors entailed their placement at the low end of the social scale." (239) Trotz ihrer überzeugenden Belege wäre zu untersuchen, inwiefern auch Maler sich unterschiedlichen Aufgaben zuwandten, da in der Produktionsrealität Abweichungen von der Gattungshierarchie zu verzeichnen sind. Für die Aufnahme an der Akademie wurde stringent zwischen Historienmalerei, Porträt, Landschaftsbild, Stillleben etc. unterschieden, wohingegen die Herausforderung des Bildhauers primär darin bestand, eine menschliche Figur - als Relief oder Rundplastik - zu meißeln.
Die Reaktion der Maler auf ihre Kollegen findet eine künstlerische Umsetzung in den im letzten Kapitel "Representations of sculpture" diskutierten Porträts. Weinshenker nutzt den Vergleich mit zeitgleich entstandenen Malerporträts, um auf charakteristische Repräsentationsmodi der Bildhauerei hinzuweisen. Die häufig marginale Platzierung und ausschnitthafte Darstellung der Skulpturen innerhalb des Bildfeldes deutet sie als Zeichen deren sekundären Rangs. Da es sich um Aufnahmestücke der Maler handelt, ist zu bedenken, dass die Präsentation der eigenen Fähigkeiten im Vordergrund steht, weshalb diese Werke nur partiell Aufschluss auf das Bildhauerselbstverständnis geben können.
Neben dieser Ehrengalerie bedeutender Mitglieder weist sie auf Gemälde hin, bei denen - teils fiktive - Skulpturen zur Erlangung einer spezifischen Atmosphäre eingesetzt wurden und somit als dekoratives Accessoire dienen.
Zusammenfassend bringt Weinshenker die einzelnen Argumente überblicksartig zur Anschauung und betont den gegen Ende des Jahrhunderts zu verzeichnenden Rezeptionswandel hin zu einer wachsenden Bedeutung der Skulptur. Auch wenn die Bildhauerei weiterhin als "kleinere" Schwester wahrgenommen wurde, konstatiert sie zu Recht eine kontinuierliche Aufwertung mit Beginn des Klassizismus, einer wiederbelebten Antikenverehrung und Entwicklung eines neuen, die Gesellschaft repräsentierenden Heldentypus sowie der Entstehung eines bürgerlichen Sammlerkreises. Diese führe allerdings nicht zu einer völligen Gleichberechtigung, wie sie u.a. an der traditionell verhaftet bleibenden Auftragsverteilung resümiert.
Dank der detaillierten Quellenrecherche und werknahen Betrachtung erhellt der Band das Verhältnis zwischen den beiden Künsten und rückt die häufig stiefmütterlich behandelte Skulptur ins Zentrum. Weinshenker hat die kunstsoziologische Forschung zur französischen Skulptur und zur Pariser Akademie mit einem wichtigen, lesenswerten Beitrag bereichert.
Ursula Ströbele