Jürgen Maciejewski: Amtmannsvertreibungen in Baden im März und April 1848. Bürokratiekritik, bürokratiekritischer Protest und Revolution von 1848/49 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1067), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, 509 S., ISBN 978-3-631-57768-4, EUR 79,80
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Maciejewskis Konstanzer Dissertation zeigt, dass auch auf gut bestellten historiographischen Feldern wie der Revolution von 1848/49 noch neue Früchte reifen können, wenn eine interessante Fragestellung verfolgt und bisher vernachlässigtes Quellenmaterial ausgewertet wird. Maciejewski greift in seiner Arbeit die in der Forschung gelegentlich vorgetragene, aber empirisch noch kaum untermauerte These auf, dass das revolutionäre Mobilisierungspotential im Frühjahr 1848 in hohem Maße von lokalen Konflikten ausging, und untersucht am Beispiel des Großherzogtums Baden systematisch Proteste, die sich gegen die vor Ort präsenten staatlichen Obrigkeiten richteten - gegen die Amtsträger der Kreisdirektorien, Bezirksämter und Amtsrevisorate. Als Quellengrundlage zur Rekonstruktion der Proteste dienen neben der zeitgenössischen Tagespresse die Berichte der Amtmänner an die Regierung in Karlsruhe aus den ersten Wochen der Revolution, die wegen ihrer zuweilen apologetischen und die Unruhen bagatellisierenden Tendenzen mit quellenkritischer Vorsicht auszuwerten sind, aber dennoch beträchtliche Aussagekraft besitzen.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert: Der erste einleitende Teil schildert in drei Kapiteln "Bürokratie und Bürokratiekritik im Vormärz", die im Gefolge der territorialen Umwälzungen am Beginn des 19. Jahrhunderts nachhaltig modernisierte Verwaltungsstruktur Badens sowie in gedrängter Form den Verlauf der Revolution von 1848/49 im Großherzogtum, wobei Maciejewski sich auf die Handlungen der Radikalen - Heckerzug, Struveputsch und Mairevolution 1849 - konzentriert und die Bemühungen der Liberalen um eine Modernisierung der politischen Ordnung auf dem Reformweg fast ganz ausblendet. Der zweite Teil der Arbeit ist der detaillierten Schilderung der Proteste gewidmet, die sich zwischen dem 28. Februar und dem 27. April in 36 Amtsbezirken ereigneten - dies war knapp die Hälfte aller badischen Amtsbezirke. Maciejewski präsentiert die Einzelfälle in vier Abschnitten in geographischer Ordnung (Unterrhein-, Mittelrhein-, Oberrhein- und Seekreis) und dort jeweils in chronologischer Folge. Die Fallbeispiele werden sehr quellennah, wenn auch mitunter etwas zu detailverliebt geschildert. Ihr Umfang variiert erheblich: Komplizierte Fälle wie der langwierige Streit in Mannheim um die Absetzung des Regierungsdirektors für den Unterrheinkreis Friedrich Theodor Schaaf und des als Zensor verhasst gewordenen Regierungsrats Mariano von Sarachaga y Uria (107-122) werden in aufsatzähnlicher Form behandelt, während über weniger spektakuläre Fälle wie die dem Engener Amtsrevisor Bartholomäus Leonhardt dargebrachte Katzenmusik (264) nur kurze Mitteilungen erfolgen.
Die Kontexte, in denen die Proteste aufbrachen, weisen eine große Bandbreite auf: In vielen Fällen setzten sich seit dem Vormärz bestehende Konflikte fort und eskalierten in den ersten Revolutionswochen. In anderen Fällen - insbesondere an Orten, die in den Unruhegebieten der Agrarrevolten des März 1848 lagen - kamen die Proteste eher ad hoc auf wie in Buchen (147-150), wo die staatlichen Beamten offenkundig erst in zweiter Linie zur Zielscheibe des Unmuts wurden, der sich zunächst gegen die Standesherrschaft und ihren Verwaltungsapparat gerichtet hatte. Konfliktverschärfend wirkte in diesem Fall nach der Vertreibung der aufständischen Bauern aus der Stadt die Einquartierung von Militär, für deren Lasten die Einwohnerschaft den Amtmann Macarius Felleisen verantwortlich machte, der wohl nur aufgrund der Rückendeckung durch die in Buchen stationierten Truppen der Vertreibung entging, am Jahresende 1848 aber dankbar die Möglichkeit einer Versetzung wahrnahm. Gegenüber den Problemlagen des Vormärz veränderte Konflikte werden auch in den Fällen deutlich, in denen Judenfeindschaft die Proteste begleitete oder auslöste wie in Neckarbischofsheim, wo Tumultanten die Entlassung eines beim Bezirksamt beschäftigten jüdischen Aktuars forderten. Dass Maciejewski an dieser Stelle kommentiert, "1848" stehe "leider nicht nur für den demokratischen Aufbruch, sondern auch für antijüdische Ausschreitungen" (123), ist eines der entbehrlichen persönlichen Werturteile, die in seiner Arbeit gelegentlich aufscheinen und den Gesamteindruck ebenso wie gehäufte Interpunktionsfehler und umgangssprachliche Wendungen leicht trüben.
Im dritten Teil untersucht Maciejewski die geschilderten Einzelfälle systematisch in einem zeitlichen und geographischen Überblick sowie in Anlehnung an ein von Heinrich Volkmann entwickeltes Kategorienmuster nach Protestformen, Konfliktparteien und Protestursachen. Die chronologische und die geographische Verteilung zeigen einige interessante Besonderheiten: Die Protestspitzen ereigneten sich in der ersten revolutionären Gärungsphase Anfang März, im unmittelbaren Gefolge der Offenburger Versammlung der badischen Radikalen vom 19. März, auf der einem Großteil der badischen Beamten das Misstrauen ausgesprochen worden war, und nochmals Anfang April, was Maciejewski mit dem Unmut erklärt, den der Einmarsch von Bundestruppen in das Großherzogtum hervorgerufen habe (281); der Heckerzug in der zweiten Aprilhälfte führte dagegen bemerkenswerter Weise zu keinem Anstieg der Protestaktionen. Bei der regionalen Verteilung fällt auf, dass der Unterrheinkreis eine höhere Protestdichte aufwies als die südlichen Landesteile, die gemeinhin als die Hochburgen des badischen Radikalismus gelten; die geringste Protestintensität ist im Mittelrheinkreis festzustellen, was Maciejewski mit altbadischen Traditionen sowie einer mildernden Ausstrahlung der Residenz Karlsruhe und der Festung Rastatt erklärt (285).
Die Ausführungen zu Trägern und Formen der Proteste bieten nur wenige Überraschungen: In knapp der Hälfte der Fälle waren Bürgermeister, Gemeinderäte oder Mitglieder der Bürgerausschüsse an den Protesten gegen die Staatsbediensteten beteiligt; damit einher ging zumeist ein hohes Maß an Organisiertheit der Proteste, während sich bei den eher spontanen Fällen, die auch häufiger von Gewalt begleitet waren, die Trägerschaft von den lokalen Honoratioren zu den Unterschichten hin verlagerte - für detaillierte Ergebnisse bieten die Quellen allerdings kein ausreichendes Material. Auch bei den Protestursachen ergibt sich kein ganz klares Bild: Der Unmut speiste sich in den meisten Fällen sowohl aus allgemein- und kommunalpolitischen Faktoren (Schikanen bei Landtags-, Bürgermeister- oder Gemeinderatswahlen des Vormärz) als auch aus persönlichen Unzulänglichkeiten der Amtsträger, denen die klassischen Attribute des Beamtendespotismus zugeschrieben wurden. Hatten die Protagonisten sich in beiden Bereichen gravierende Misstaten zuschulden kommen lassen, hatte dies auch Auswirkungen auf die Protestintensität, wie der Fall des Bühler Amtsvorstands Franz Joseph Häfelin (183-190) verdeutlicht, der als Vertrauter Großherzog Leopolds und hartnäckiger Gegner aller liberalen Bestrebungen politisch missliebig war und zugleich noch als prunksüchtiger und arbeitsscheuer Willkürherrscher in seinem Amtsbereich galt: Häfelins rasche Flucht aus Bühl führte noch zu keiner Beruhigung der Situation, denn 30 Tumultanten verfolgten ihn bis nach Baden-Baden, um ihn auch von dort zu vertreiben.
Häfelins Flucht stellt keinen Einzelfall dar, denn insgesamt verließen 17 Amtsträger ihre Posten; das heißt: in fast der Hälfte der Fälle waren die Protestaktionen erfolgreich. Eine positive Bilanz lässt sich dennoch nicht aufstellen, da die Mehrheit der geflohenen Staatsbediensteten nicht dauerhaft ausgeschaltet wurde, sondern an anderen Stellen Verwendung fand. Die Amtmannsvertreibungen führten somit zu keiner nachhaltigen politischen Umgestaltung der Beamtenschaft; vielmehr ging es der badischen Regierung in erster Linie darum, durch die Versetzungen oder Pensionierungen lokales Protestpotential zu dämpfen. Der spektakuläre Fall (251-260) des Direktors der Seekreisregierung Georg von Vogel, den der linke Landtagsabgeordnete Josef Ignaz Peter ersetzte, ändert an diesem grundsätzlichen Befund nichts, so dass das Hauptverdienst der Protestaktionen wohl in ihrem Beitrag zu der Fundamentalpolitisierung zu sehen ist, die in den ersten Wochen der Revolution erfolgte, und weniger darin, dass damals - wie Maciejewski andeutet - dem Gedanken einer basisdemokratischen Selbstverwaltung des Volkes, wie sie sich in der "Novemberrevolution von 1918/19" (459) manifestierte, der Boden bereitet worden sei.
Frank Engehausen