Jörg Meiner: Wohnen mit Geschichte. Die Appartements Friedrich Wilhelms IV. von Preußen in historischen Residenzen der Hohenzollern (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 156), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, 244 S., ISBN 978-3-422-06856-8, EUR 68,00
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Friedrich Wilhelm IV. war der klügste "Kunstkönig", den Preußen je hatte. Seine Regierungszeit begann allerdings - unter kunstgeschichtlichen Aspekten betrachtet - unter einem schlechten Stern. Am 7. Juni 1840 übernahm Friedrich Wilhelm die Regierung, am 9. September 1840 erkrankte Karl Friedrich Schinkel, ohne Hoffnung auf Genesung. Er wäre prädestiniert gewesen, die Ideen des Königs umzusetzen. An Schinkels Stelle traten nun Ludwig Persius und August Stüler, deren Bedeutung die Kunstgeschichtschreibung erst nach und nach erkannte. Vor allem der vielseitige Georg Poensgen leistete dazu bereits früh maßgebliche Beiträge. Weitere wichtige Forschungen stammen von Eva Börsch-Supan, die schon 1977 ihre Studie zur "Berliner Baukunst nach Schinkel" vorlegte. 1995 fand dann in Potsdam die Ausstellung "Friedrich Wilhelm IV. - Künstler und König" statt. Die Aufsätze des damals erschienenen Katalogs liest man immer noch mit großem Gewinn, erwähnt sei Frank-Lothar Krolls Charakteristik des Königs.
In diese, hier nur skizzierte Tradition reiht sich die Studie von Jörg Meiner würdig ein. Sie wurde 2004 an der Berliner Humboldt-Universität als Dissertation vorgelegt. Gleichzeitig gehört Meiners Arbeit in den Zusammenhang der aktuellen quellenbasierten Residenzenforschung, wie sie im Moment an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit einem großen Projekt zur Wiener Hofburg vorangetrieben wird.
Meiner behandelt nach einer gehaltreichen Einleitung fünf königliche Appartements. Am Beginn stehen die Stadtschlösser von Berlin und Potsdam, danach folgt das als Winterresidenz genutzte Charlottenburg sowie das "göttliche" Sanssouci, am Ende untersucht Meiner das Appartement des Schlosses von Breslau. Wie wenig von diesen Bauten und insbesondere von den Raumausstattungen Friedrich Wilhelms IV. noch erhalten ist, wird man nicht betonen müssen. Man kann dieses Buch auch als Verlustanzeige lesen. Es ist daher nicht die geringste Leistung des Verfassers, aus den erhaltenen Quellen sein Thema überhaupt erst geschaffen zu haben. Das Ganze wirkt fast so, als habe jemand eine zerbrochene Vase - so gut es ging - aus lauter Scherben wieder zusammengesetzt.
Aus den vielen quellengesättigten Raumanalysen sei exemplarisch auf die Halle im Appartement des Berliner Schlosses verwiesen (59-69). Diesen Raum, er war der obere Bereich der spätmittelalterlichen Erasmus-Kapelle, hatte noch Schinkel für den Kronprinzen als Bibliothek und Arbeitsraum eingerichtet. Meiner zeichnet sehr detailreich die komplizierte Geschichte des Raumes nach, wobei er nicht nur die erste Konzeption behandelt, sondern auch die späteren Entwicklungen, d.h. es geht wirklich um das Interieur in seiner gewordenen Gesamtheit. Es ist sicher kein Zufall, wenn Franz Krügers berühmtes Porträt den König in diesem Ambiente zeigt (67). Der mittelalterliche Raum steht für "Geschichte", es klingt in ihm ein leiser sakraler Ton, und gleichzeitig dokumentiert die schlichte Einrichtung den einfachen Lebensstil Friedrich Wilhelms. Dieser König wollte sicher der erste Diener seines Staates sein, aber sicher nicht nur ein Bürger auf dem Thron. Die Erstfassung des Bildes entstand 1846, zwei Jahre später war es überholt.
Bemerkenswerterweise zeigen die von Meiner ausgewerteten Inventare eine vergleichsweise große stilistische Vielfalt der Ausstattungsstücke. Diese Vielfalt findet man immer wieder, denn Friedrich Wilhelm IV. war in vielen Stilen und historischen Epochen "zuhause". Eine besonders enge Beziehung hatte er jedoch zur Zeit Friedrichs des Großen, zumal er genau hundert Jahre nach dessen Regierungsantritt den preußischen Thron bestieg. Während er als Kronprinz die Friedrichswohnung des Berliner Schlosses völlig umgestaltete, legte er als König Wert darauf, die von ihm jetzt benutzten friderizianischen Appartements zu erhalten. Er überlegte sogar, das Sterbezimmer Friedrichs d. Gr. in Sanssouci wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, und mit dem berühmten "Traumzimmer" im Damenflügel von Sanssouci leistete er einen beachtlichen Beitrag zum zweiten Rokoko. Dieser Stil dürfte auch bei ihm Ausdruck konservativer Gesinnung geworden sein, wenn auch nicht der einzige.
Die vorliegende Studie basiert auf intensivem Quellenstudium. Das wird an vielen Details deutlich, wenn Meiner etwa über eine grüne Tapete schreibt, die im Revolutionsjahr 1849 ausgewechselt wurde, weil sie Arsenik enthielt (113). Entsprechend genaue Angaben finden sich auf jeder Seite. Weil Meiner diese feste archivalische Basis hat, kann er problemlos allgemeinere Überlegungen anstellen, bis hin zu Friedrich Wilhelms Herrschaftsverständnis. Das Buch verzettelt sich nicht.
Wesentlich für die Publikation sind die zahlreichen Abbildungen, von denen einige bisher noch nie veröffentlicht wurden. Glücklicherweise wurden viele Räume der hier behandelten Appartements in detailgenauen Aquarellen porträtiert, einige mehrfach (z.B. Tafeln 11-14). In vielen Fällen lassen sich daher die Ausführungen des Autors sofort verifizieren. Schön wären allerdings Schemata der Raumfolgen gewesen, denn wer mit den betreffenden Schlössern nicht sehr gut vertraut ist, wird wahrscheinlich einige Mühe haben, sich in den historischen Grundrissen zu orientieren. Immerhin hat der Autor dem "Grundriß der geplanten Wohnung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm [...]" eine Windrose zur Angabe der Himmelsrichtung beigegeben.
Es erübrigt sich fast auf den gediegenen wissenschaftlichen Apparat hinzuweisen. Natürlich gibt es eine Liste der benutzten Archivalien, ein klug ausgewähltes Literaturverzeichnis und ein Namensregister. Es dürfte eines der kuriosesten seiner Art sein, denn z.B. folgt auf "Augusta, Königin von Preußen und deutsche Kaiserin [...]" der Eintrag "Barth, Adam [...] Tischler" usw. In diesen Seiten steckt eine Arbeit, die wohl nur ermessen kann, wer selbst einmal die Vornamen und Lebensdaten für ein solches Register zusammengesucht hat. "Googeln" hilft da wenig.
Am Ende darf man eine ausgemacht positive Bilanz ziehen, ja man darf dem Autor ausdrücklich gratulieren, denn er hat eine in jeder Hinsicht solide, interessante und gut lesbare Studie vorgelegt.
Christian Hecht