Theodoros G. Giannopoulos: Die letzte Elite der mykenischen Welt. Achaia in mykenischer Zeit und das Phänomen der Kriegerbestattungen im 12. - 11. Jahrhundert v. Chr. (= Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie; Bd. 152), Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2008, 378 S., ISBN 978-3-7749-3535-8, EUR 85,00
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Nach der mythhistorischen Überlieferung geht der Name "Achaia" einer Landschaft im Nordwesten der Peloponnes darauf zurück, dass Achäer unter Tisamenos die dort vormals lebenden Jonier vertrieben und das Land für sich erobert haben. An diese Tradition anknüpfend heißt ein Bezirk (nomos) des modernen griechischen Staates "Achaia". Dort findet sich die stärkste Konzentration von Kriegerbestattungen der Phase Späthelladisch IIIC (ca. 1200-1060 v.Chr.) im gesamten östlichen Mittelmeerraum. Für diese letzte Epoche der mykenischen Zeit nach dem Untergang der Paläste, die erst jüngst die Aufmerksamkeit der archäologischen und geschichtswissenschaftlichen Forschung als formative Epoche für die griechische Entwicklung auf sich gezogen hat, darf diese Landschaft damit besonderes Interesse beanspruchen.
Im Zentrum der von Theodoros G. Giannopoulos zunächst als Heidelberger Dissertation vorgelegten Arbeit steht die minutiöse Präsentation dieser Kriegerbestattungen, von denen drei überhaupt erstmals publiziert werden (Teil II, 95-198). Damit ist die Voraussetzung für eindringliche Vergleichsstudien geschaffen (Teil III, 201-252). Insbesondere erweist sich die Besprechung des Grabes 2 von Spaliareika Lousikon als paradigmatische "Zusammenfassung der Sozialgeschichte dieser Mikroregion Achaias in der SH IIIC Zeit" (221-237; das Zitat 237). Diese Funde und Befunde resümierend, rekonstruiert Giannopoulos die Entwicklung in "Achaia" als Erfolgsgeschichte der nachpalatialen Zeit, als es Einzelnen gelang, gestützt auf kriegerische Bewährung sozialen Vorrang zu erringen. Dabei hätten nicht zuletzt Beziehungen nach Italien eine Rolle gespielt. Während die Gegend in der Palastzeit eher an der Peripherie gelegen habe, wurde sie nun ein Knotenpunkt für Kontakte der Ägäis mit dem Westen. Dabei hätten die durch die Katastrophe der Paläste nur kurzzeitig unterbrochenen Verkehrswege zur See eine wichtige Rolle gespielt. Anders als es der Mythos schildert, seien die neuen Eliten aber keine Einwanderer gewesen, sondern (zumindest hauptsächlich) Abkömmlinge einheimischer Familien, die nach dem Wegfall der übermächtigen Konkurrenz der Paläste als Sippenoberhäupter eigene, freilich meist prekäre Vorrangspositionen erringen konnten. Die Mythen müssten als Beleg für erfolgreich unternommene Versuche gelten, sich in die glänzende Tradition der Palastzeit zu stellen. Auch der Name Achaia, der ausweislich der hethitischen Ahhijawa-Texte ein Gesamtname für Griechenland oder für seine bestimmenden Gebiete gewesen sei, sei zu dieser Zeit von der "letzten Elite der mykenischen Welt" in dieser Gegend usurpiert und monopolisiert worden. Wegen großer Ähnlichkeiten der Statusrepräsentation rechnet Giannopoulos damit, dass die führenden Häupter auch dieselbe Bezeichnung, nämlich "basileus" geführt hätten. Dies sei, wie Giannopoulos im Anschluss vor allem an Deger-Jalkotzy und Palaima annimmt, der Titel frühmykenischer Kleinkönige gewesen, die nach dem Untergang der sie an den Rand drängenden Paläste nun auch noch die Anrede der königlichen Palastherren "(w)anax" beansprucht hätten.
Diese Untersuchung kombiniert detaillierte archäologische Präsentationen - zu denen auch 79 z.T. farbige Tafeln gehören - und Einzelanalysen mit weit reichenden Hypothesen. Für solche interdisziplinäre Offenheit und den Mut zur Synthese muss man aus der Sicht der Geschichtswissenschaft dankbar sein. Insbesondere ist zu begrüßen, dass Giannopoulos eine wohltuende Distanz zur mythhistorischen Überlieferung hält. Zwar möchte auch er nicht ausschließen, dass die Erzählungen vielleicht einen so genannten "historischen Kern" enthalten, wenn es aber konkret wird, verlässt er sich lieber und mit Recht auf die archäologischen Methoden, die mit der Mythenchronologie nicht in Übereinstimmung gebracht werden können. Die umsichtigen Beobachtungen und vorsichtig und transparent vorgetragenen Argumentationen, aus denen Giannopoulos sein Bild von der Dynamik der Gesellschaft in dieser Region gewinnt, dürften sich vielfach als grundlegend erweisen: Hier gewinnt eine bislang unbekannte Welt überzeugende Konturen.
An einem grundlegenden Punkt allerdings ist Giannopoulos wohl einer anachronistischen Suggestion erlegen: Der von ihm als Untersuchungsgebiet ausgewählte Nomos Achaia knüpft zwar an die antike Bezeichnung dieser Gegend in der klassischen und hellenistischen Zeit an, aber nichts spricht dafür, dass schon in spätmykenischer Zeit eine Zusammengehörigkeit bestanden hat: Östlich des Panachaikon kann Giannopoulos mit Nikoleika nur einen einzigen Fundort für Kriegerbestattungen namhaft machen (81-83)! Dieses Problem lässt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, dass Giannopoulos mit Nachdruck darauf hinweist, dass die demographischen Veränderungen und die Siedlungstätigkeit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Bedingung für die meisten der archäologischen Entdeckungen gewesen seien (18-22): Notgrabungen hätten so vor allem im Westen des Nomos, insbesondere in der Umgebung von Patras stattgefunden. Das heißt aber nur, dass weiter im Osten noch Forschungsbedarf besteht, keineswegs aber, dass man dort mit analogen Verhältnissen rechnen müsste: Aus nichts folgt nichts - und man wird bis zum Nachweis des Gegenteils Nikoleika eher als Ausreißer oder Ausnahme ansehen müssen. Damit aber steht die Einheit eines angeblich bis weit über Aigeira hinaus reichenden Gebietes in Frage. Offen ist auch, seit wann der Nordwesten der Peloponnes überhaupt den Namen "Achaia" trägt - im Homerischen Schiffskatalog noch nicht. Wenn man diese "Ethnographie" der griechischen Welt nicht mit Giannopoulos für ein mykenisches Relikt, sondern für eine Übersicht aus der Zeit (kurz vor) der Entstehung der Epen hält, ergibt sich, dass die Gegend noch im 8. Jahrhundert nicht "Achaia" hieß. Zwar wird man Giannopoulos gerne zustimmen, dass die mythhistorischen Erzählungen um Tisamenos fiktive Konstruktionen sind, aber deren Entstehung gegen Giannopoulos nicht schon in die spätmykenische Zeit, sondern mit Prinz [1] besser in den Prozess der Ausgestaltung der Heraklidensage während der archaischen Zeit datieren. Überhaupt zeigt sich, dass Giannopoulos die in der Alten Geschichte vielfach behandelten Fragen um Ethnosbildung und Ethnizität kaum wahrnimmt, selbst dann nicht, wenn sich die Diskussionen direkt auf Achaia beziehen. [2] Eine eigenartige Behauptung ist es, dass das nur auf Knossos-Täfelchen im Zusammenhang mit Textilien belegte Wort o-re-ne-ja ein Adjektiv sei, das aus den "Linear B-Tafeln von Pylos" stamme und sich auf die "aus der Mythologie bekannte Stadt Westachaias Olenos beziehen" könne (11). Schließlich sei bemerkt, dass es doppelt voreilig und methodisch zweifelhaft ist, einerseits wegen der ähnlichen Erscheinungsform elitärer Gräberausstattungen einen einheitlichen Funktionsnamen für die Inhaber elitärer Positionen zu postulieren und diesen dann noch andererseits mit "basileus" zu identifizieren, ohne auch nur zu erwägen, dass es in der frühgriechischen Zeit weit mehr Bezeichnungen für solche Rollen gegeben hat, die erst später vereinheitlicht wurden: Man denke an "koiranos" oder an die spartanischen "archagetai". Giannopoulos' Arbeit erschließt umsichtig sozialgeschichtlich wichtige Quellen, die vorgetragenen allgemeinhistorischen Hypothesen hingegen erscheinen als wenig überzeugend.
Anmerkungen:
[1] Friedrich Prinz: Gründungsmythen und Sagenchronologie, München 1979.
[2] Wichtige Beiträge aus Emanuele Greco (Hrsg.): Gli Achai e l'identità etnica degli Achei d'Occidente, Paestum 2002 werden ignoriert.
Tassilo Schmitt