R. Johanna Regnath: Das Schwein im Wald. Vormoderne Schweinehaltung zwischen Herrschaftsstrukturen, ständischer Ordnung und Subsistenzökonomie (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; Bd. 64), Ostfildern: Thorbecke 2008, IX + 336 S., ISBN 978-3-7995-5264-6, EUR 39,80
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Schweinhaltung in vormoderner Zeit ist ein bislang kaum monographisch erforschtes Thema der historischen Forschung zur ländlichen Gesellschaft. R. Johanna Regnath nimmt sich des Themas an und legt eine umfassende regionalgeschichtliche Studie vor. Ausgehend von Schweinemast und Schweineabgaben, untersucht sie das bäuerliche Wirtschaften im Wald so wie das Verhältnis von Bauern und Herrschaft am Beispiel der Schweinemast im Schönbuchwald, einem Waldgebiet zwischen Stuttgart und Tübingen. Sie setzte sich das ehrgeizige Ziel, soziale, rechtliche und wirtschaftliche Veränderungen in der Zeit vom Frühmittelalter bis in die Frühe Neuzeit zu erfassen.
Die Arbeit ist in vier Hauptkapitel gegliedert: Rahmenbedingungen, Formenwandel und Bedeutung der Schweinemast im Mittelalter (1. Kapitel), Mastrecht im Schönbuchwald (2), Mastrechte in der württembergischen Herrschaft (3) und Veränderungen im Verlauf der Frühneuzeit (4) ein. Für agrargeschichtlich bewanderte Leser und Leserinnen wenig erstaunlich, stellt sie fest, dass sich die Schweinemast vom Frühmittelalter bis in die Frühe Neuzeit kaum verändert habe. Die Schweine seien im Wald gemästet (Eichel- und Buchenmast) und von Hirten, die über spezialisiertes Wissen verfügten, beaufsichtigt worden. Erst die Einführung der Kartoffel habe die Schweinemast in Mitteleuropa fundamental verändert und die Stallhaltung ermöglicht. Regnath zeigt am Beispiel der Schweinemast, wie im Früh- und Hochmittelalter die bäuerliche Wirtschaft in die Grundherrschaft eingebunden war. Die Bauern hatten ihrem Grundherrn den Schweinezehnt abzuliefern, wurden als Hubenbauern bei der Vergabe von Mastrechten gegenüber auswärtigen Bewerbern in der Regel bevorzugt.
Neben alltags- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten der Schweinemast interessieren Regnath herrschaftliche Wandlungsprozesse. Als zentraler Aspekt des wirtschaftlich-gesellschaftlichen Wandlungsprozesses benennt sie die Auflösung der Villikation. Die Bauern seien durch die Entwicklung der Fronhofverfassung in die Rentengrundherrschaft in neue herrschaftliche Abhängigkeiten geraten und müssten ihre Nutzungsrechte - in erster Linie am Wald - nun zunehmend gegenüber der Landesherren und nicht mehr gegenüber ihren Grundherren verteidigen. Die Landesherren hätten sich im Verlaufe der Frühen Neuzeit auf den sich in dieser Zeit ausbildenden vollumfänglichen Eigentumsbegriff berufen. Darüber hinaus gerieten die bäuerlichen Nutzungsrechte - u.a. für ihre Schweinemast im Wald - immer wieder mit der adligen Jagd in Konkurrenz, die als Teil der ehemaligen königlichen Privilegien am Wald in der Regel der Landesherrschaft zustand.
Erstaunlicherweise lässt die Autorin in diesem Zusammenhang eine zur selben Zeit im ländlichen Raum neu entstehende wirtschaftliche und politische Organisationsform völlig außer Acht: das Dorf. Dieses verfestigte sich im Verlaufe des Mittelalters von der wirtschaftlichen Dorfgenossenschaft zur politischen Dorfgemeinde, wie bereits Karl Siegfried Bader ausführlich beschrieb. Peter Blickle, Werner Rösener, Roger Sablonier und Karl-Heinz Spiess nahmen den Gedanken auf und arbeiteten ausführlich über das Dorf im Mittelalter als Organisationsform zwischen Grundherrschaft und Landesherrschaft bzw. als (politische) Gemeinde. Überhaupt erstaunt es, dass die Autorin einen bedeutenden Teil der Literatur zur ländlichen Gesellschaft und Forstgeschichte (z.B. aus dem schweizerischen Raum) nicht rezipierte und sich stattdessen auf Übersichtsdarstellungen wie das Historische Lexikon der Schweiz, das Lexikon des Mittelalters oder Röseners Einführungsbücher zur Agrargeschichte beruft.
Die Entwicklungslinien bäuerlichen Wirtschaftens im Hochmittelalter bleiben bei Regnath daher undeutlich: Die Autorin erwähnt zwar die «Vergetreidung» im Zusammenhang mit der Entstehung einer Dreifelderwirtschaft, hingegen bleibt die damit eng verbundene Dreizelgenbrachwirtschaft, die in der Dorfgenossenschaft als wirtschaftliche Organisationsform mündet («Verdorfung»), unerwähnt. Im Kontext der wachsenden dörflichen Bevölkerung und der daraus folgenden Verknappung von Weideland wurde in vielen Dörfern die Schweinehaltung genau reglementiert. Hier lässt sich ein Nachhaltigkeitskonzept der mittelalterlichen Dorfgesellschaft fassen. Spannend wird die Arbeit, wenn Regnath die Zugangsbeschränkungen zur Allmend mit Hilfe der Notdurft sozial zu verorten sucht. Auch die herrschaftlichen Waldbesitzer beschränkten die Schweinezahl, die die nutzungsberechtigten Bauern in den Wald treiben durften. Insbesondere wurde in vielen hoch- und spätmittelalterlichen Texten zwischen eigenen und fremden Schweinen unterschieden. Diese werden in der Region des Schönbuchwalds auch als Trog- bzw. Lohnschweine bezeichnet. Die Bezeichnung verweist auf eine Wirtschaftsform, die Regnath nicht untersucht hat, in diesem Kontext jedoch bedacht werden müsste, die im schweizerischen Raum als «Viehverstellungen» bezeichneten speziellen Pachtformen der Viehwirtschaft. Reichere Bauern übergaben einzelne Tiere zur Mast an Bauern, die als Lohn für ihre Mast einen Teil des Ertrags der ausgewachsenen Schweine erhielten. Viele solchermaßen fremde Tiere trugen die Gefahr der Allmendübernutzung in sich.
Die detaillierteren Quellen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ermöglichen der Autorin, die Bedeutung der Schweinemast innerhalb der bäuerlichen Wirtschaft zu untersuchen. Sie zeigt, dass die Bauern eine minimale Marktanbindung hatten, obwohl ihre Wirtschaftsweise als Subsistenzwirtschaft bezeichnet werden kann. Schweine spielten - so Regnath - innerhalb dabei als Element der Risikominimierung eine wichtige Rolle. Sie verlangten wenig Pflege und kein spezielles Futter, sie konnten in den Wald getrieben oder mit Abfall gefüttert, bei Nahrungsmittelknappheit (beispielsweise im Winter) konnte auf sie zurückgegriffen werden.
Die vorliegende Studie arbeitet zentrale Aspekte der Waldnutzung im Schönbuchwald quellenreich mit einem regionalgeschichtlichen Blick auf und bereichert die Agrargeschichte um einen bisher vernachlässigten Aspekt - die Schweinemast. Schade, dass die Autorin eine derart offene Fragestellung wählte, die primär eine thematische Einschränkung - nämlich durch den Fokus auf das Schwein - erfährt. So verirrte sich die Rezensentin bei der Lektüre mehrfach zwischen regionalgeschichtlichen Details und terminologischen Ungenauigkeiten, ehe sie auf die zahlreichen Trouvaillen des Buches stieß.
Katja Hürlimann