Daniel Schönpflug: Luise von Preussen. Königin der Herzen. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2010, 286 S., ISBN 978-3-406-59813-5, EUR 19,95
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Wie in Jubiläumsjahren inzwischen üblich, bietet das gefeierte Thema auf dem Buchmarkt für historische Literatur den mehr oder weniger kaschierten Anlass, Bücher zu verkaufen und Bedürfnisse nach bürgerlicher Erdung von projektierten historischen Figuren zu befriedigen. So geht es im Jahr ihres 200. Todestags auch der Ikone unter den historischen Frauen Preußens, Luise von Mecklenburg-Strelitz (1776-1810), als Gattin des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. auch als Königin Luise verehrt. Der marktschreierische Hype um Luise vollzieht sich auf vielen Ebenen und selbst die ehrwürdige Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg versucht mit den Werbeslogans "WORKING MOM" oder gar "IT GIRL", die Besucherscharen in ihre groß angelegten Ausstellungen zu ziehen. Auf dem Buchmarkt tummeln sich in diesem Jahr zahlreiche Neuerscheinungen und zu den seriösesten gehört sicherlich die von dem Berliner Historiker Daniel Schönpflug verfasste Biografie mit dem etwas abgeschmackt-kitschigen Untertitel "Königin der Herzen". Es handelt sich dabei aber um ein Zitat, das bereits 1798 August Wilhelm Schlegel in die Welt gesetzt hat, zu dem auch die eher peinlich wirkende, kitschige Aufmachung des Bandes mit Blümchendekor und poesiealbumgleichen Wellenverzierungen als Umrahmung der Seitenzahlen passen. Muss ein insbesondere auf dem Gebiet der historischen Literatur ausgewiesen seriöser Verlag wie C.H. Beck sich aus marktstrategischen Gründen soweit auf den Geschmack der Zielgruppe der Leser der Regenbogenpresse herunterlassen? Nicht zufällig basiert der Band auf einer sehr romantisch ausgefallenen Fernsehproduktion der Sender Arte und NDR, die bereits mehrfach im Fernsehen zu sehen war, gleichzeitig als DVD erhältlich ist und für die im Band selbstverständlich auch geworben wird.
Reichlich bemüht kommen die Begründungen des Autors für die Notwendigkeit einer neuen Biografie über Königin Luise daher, die natürlich nicht auf das Jubiläum eingehen, sondern sachlich motiviert werden: "Dennoch scheint eine frische Annäherung an diese zentrale Figur der preußischen, deutschen und europäischen Geschichte möglich und nötig. Die Zeit ist für ein solches Unterfangen günstig, denn in den Anfängen des 21. Jahrhunderts wird die Position Preußens und seiner Hauptfiguren im kollektiven Gedächtnis neu justiert." (15) Inzwischen gebe es einen gewissen Abstand zu den alten unseligen Traditionen der konservativen Preußen-Verehrung und jede Generation habe das Recht, sich ihr eigenes und neues Bild von Luise zurecht zu legen nach dem Motto: was bedeutet uns Luise heute? (15f). Insofern bietet das Buch die Chance für heutige Leser und historisch Interessierte, die preußische Geschichte und insbesondere den Mythos Luise nicht mehr so stark als Projektion, sondern neutraler und vielleicht etwas näher an der historischen Realität wahrzunehmen. Das Konzept der Biografie Schönpflugs ist wissenschaftlich gesehen nicht sonderlich neu und aufregend: Das Leben der preußischen Königin soll nicht als bloße Lebens- oder wie früher üblich Heiligenbeschreibung präsentiert, sondern in den historischen Kontext der höfischen Gesellschaft Preußens und Europas um 1800 gestellt werden. Diese Welt mit den staatspolitischen Inszenierungen im Theater der Macht - zeitweise mit Luise in der Hauptrolle - seziert Schönpflug in dicht-intensiven Beschreibungen "wie ein Ethnologe", um dem Leser die zweihundert Jahre seit dem Tod der Königin als historisch betonter Unterschied zu verdeutlichen: "Luise ist keine von uns!" (18). Dies gelingt insgesamt überzeugend, denn für diese Themen ist der Autor als ausgewiesener Spezialist für Jakobinerklubs in der Französischen Revolution und dynastische Repräsentation im 18. Jahrhundert kompetent.
Ziel der Darstellung ist es, nicht erneut die alten Mythenmuster von der ewig jungen Heiligen und Mutter der Nation nachzuzeichnen, sondern die Persönlichkeit von Luise historisch-kritisch zu hinterfragen. Seine wesentliche Prägekraft erhielt der Luisen-Mythos durch die vermeintliche Modernität, die Luise im Gegensatz zur verzopften Adelsgesellschaft der Vorrevolutionszeit in Preußen am Beginn des 19. Jahrhunderts verkörperte. Es gehört zu den Stärken des Bandes, dass Schönpflug einige der virulentesten Luisen-Legenden korrigiert, etwa diejenige von der angeblich bürgertumsnahen Herkunft und Erziehung der mecklenburgischen Prinzessin, von der bei einem Kind "aus den vornehmsten Kreisen des Reiches" (58f.) keine Rede sein könne. Obgleich sie zu den reichsten und mächtigsten Adelsverbänden im Europa des frühen 19. Jahrhunderts gehörte und sich beispielsweise jede aktuelle Modevariation aus Paris leisten konnte, wie dies nur für einen ganz kleinen Kreis möglich war, inszenierte sich die preußische Königin in öffentlichen Darstellungen betont bürgerlich. Zusammen mit dem ostentativ demonstrierten neuen Ehe- und Familienideal des preußischen Königspaars traf dieser Inszenierungsstil beim aufstrebenden Bürgertum auf fruchtbaren Boden, ohne dass die beiden gesellschaftlichen Sphären von Adel und Bürgertum sich deshalb in Preußen weniger stark unterschieden hätten (117). Auch wäre Luise keineswegs die junge Rebellin gewesen, als die sie gerne dargestellt wird (108f.). Insofern darf der Luisen-Mythos, in dieser Beziehung gerne als Indikator für das Modernisierungspotenzial Preußens im 19. Jahrhundert herangezogen, durchaus hinterfragt werden; der Autor unternimmt diese Infragestellung explizit aber nicht. Der Mythos um Königin Luise konnte durch das Zusammentreffen einiger historischer Umstände und Bedürfnisse so überaus wirkungsmächtig werden: Der frühe, tragische Tod der preußischen Königin zeitlich günstig vor dem Einsetzen der politischen Restauration, die sie wahrscheinlich hätte mittragen müssen, ihr persönlicher Charme im Gegensatz zum überaus blassen Gatten sowie insgesamt das große gesellschaftliche Bedürfnis nach einem solchen Mythos, denn Mythen sind immer auch Funktionsträger herrschender gesellschaftlicher Wertvorstellungen.
Das eigentlich Spannende an ihrer Person ist die Tatsache, dass Luise eine dezidiert politische Rolle spielte und insbesondere deshalb historisch von außergewöhnlichem Interesse ist, weil sie offen für die preußischen Reformen der Jahre ab 1807 kämpfte und die Reformakteure in Berlin teilweise stärker förderte als ihr zögerlicher und im Ganzen blasser Gatte, König Friedrich Wilhelm III. Schönpflug justiert allerdings auch hier die historische Bedeutung Luises, indem er herausstreicht, dass sie als Realpolitikerin in den Jahren 1805 bis 1807 bei Weitem nicht so erfolgreich war wie in ihrer symbolischen Bedeutung (256). Mit der verhassten Napoleonischen Besetzung Preußens lebte die preußische Königin scharfe antifranzösische Ressentiments aus, die als Anknüpfungspunkte der später wirksamen deutschnationalen Vereinnahmung der Königin nach ihrem Tod - etwa durch den 1923 gegründeten konservativ-monarchistischen Luisenbund - begierig aufgenommen wurden. Ihr Verhältnis zu Frankreich war insgesamt äußerst zwiespältig, hinterließ die allgegenwärtige französische Kultur doch auch bei ihr wie beim Berliner Hof nicht nur in Kleiderfragen eine außerordentlich große Wirkung.
Die neue Biografie über Königin Luise dürfte einen weiten Leserkreis erreichen, denn Schönpflug schreibt in klar-präziser Darstellung und Sprache und pflegt dabei einem modernen, lebendigen und durchaus populären Stil, etwa wenn er in der Eingangsszene des Buches plastisch den Leichenzug der Königin bei sengender Hitze im Hochsommer des Jahres 1810 mit allen Folgen für den toten Körper Luises schildert ("Trockene Hitze brütet über reifen Feldern [...]", 7-10). Alltagsbezogen und in Ansätzen alltagsgeschichtlich wird die große Ikone zu uns Sterblichen des 21. Jahrhunderts heruntergeholt. Immerhin also ein lesenswertes, gut geschriebenes Buch mit einer soliden Zusammenfassung und Deutung der historischen Relevanz von Königin Luise. Gleichzeitig handelt es sich allerdings um eine Biografie, die ohne großen Neuigkeitswert aus gedruckter Literatur zusammengetragen wurde und ohne Archivarbeit auskommt, die Forschung zu Luise auch dadurch nicht revolutioniert und somit insgesamt keinen sonderlich innovativen Beitrag zum historischen Bild Preußens in dieser Epoche des Umbruchs liefert.
Harald Engler