Rezension über:

Helmut Trotnow / Bernd von Kostka (Hgg.): Die Berliner Luftbrücke. Ereignis und Erinnerung, Berlin: Frank & Timme 2010, 160 S., ISBN 978-3-86596-267-6, EUR 16,80
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Rezension von:
Jochen Laufer
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Laufer: Rezension von: Helmut Trotnow / Bernd von Kostka (Hgg.): Die Berliner Luftbrücke. Ereignis und Erinnerung, Berlin: Frank & Timme 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/17862.html


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Helmut Trotnow / Bernd von Kostka (Hgg.): Die Berliner Luftbrücke

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"Die Geschichte der Berliner Luftbrücke ist bekannt." (10) Sie prägte die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und war "der Beginn einer Entwicklung, die am 9. November 1989 zum Fall der Berliner Mauer und am 3. Oktober 1990 zur deutschen Wiedervereinigung führte" (12). Diese Sichtweise der Herausgeber, des Gründungsdirektors des AlliiertenMuseums Helmut Trotnow und des Kurators an diesem Museum, Bernd von Kostka, basiert weder auf der ebenso umfangreichen wie vielfältigen Forschung zu diesem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges noch auf den elf in diesem Band veröffentlichten Beiträgen ausgewiesener Experten.

Der bekannte russische Historiker Aleksej M. Filitov eröffnet den Band mit Überlegungen zur sowjetischen Blockadepolitik. "Definitive Antworten" kann er nicht liefern, dennoch stellt er fest: "Etwaige Planungen für [...] [eine totale Blockade] fehlen [...] in allen Dokumenten, die in den Archiven einsehbar sind und es gibt keine Indizien im operativen Bereich, die auf die Existenz solcher Planungen hindeuten würden." Er sieht Stalin als Verantwortlichen für den harten Kurs der UdSSR und tendiert dazu, die sowjetische Forderung, die auf Verhinderung der westdeutschen Staatsgründung zielte, als "bargaining chip" zu bewerten, das gegen Zugeständnisse in der Währungsfrage eingetauscht werden sollte.

Der britische Historiker Patrick Salmon äußert sich zur Rolle des britischen Außenministers Ernest Bevin in der Blockadekrise. Getrieben von dem Ziel Großbritanniens, seine angestammte führende Rolle in der Weltpolitik zu sichern, habe Bevin in der Berlinkrise agiert. Damit gerät dieser Politiker in die Rolle des politischen Hauptorganisators des westlichen Widerstands gegen die sowjetischen Blockademaßnahmen. Salmon stützt sich bei dieser Neuinterpretation auf den unter seiner Leitung erschienenen Band der Documents on British Policy Overseas "Berlin in the Cold War, 1948-1990". Richard Reeves, der 2010 ein Buch über die Berlinkrise vorgelegt hat, steuert ohne eine einzige Fußnote den US-Hintergrund der Luftbrücke bei. Er erinnert daran, dass Washington keineswegs von Anfang an davon überzeugt war, der UdSSR dauerhaft in Berlin entgegentreten zu können. Truman sei vielmehr durch die Entschlossenheit der öffentlichen Meinung in den USA zu einer festen Position veranlasst worden. In diesem Zusammenhang spricht Reeves von einem "Propaganda War". Auf die Frage, wer nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Westdeutschen auf eine feste Position gegenüber der UdSSR eingestimmt hat, liefert am Ende des Bandes David E. Barclay eine überzeugende Antwort: Ernst Reuter. Dessen rhetorisches Talent vermittelte der westlichen Öffentlichkeit den Sinn des Kampfes um Berlin.

François Pernot leuchtet die französische Rolle während der Luftbrücke aus: Frankreich habe vor allem durch den Bau des Flughafens in Tegel zum Erfolg der Luftbrücke beigetragen. Den entscheidenden Akteur der Luftbrücke, Major General William H. Tunner (Mr. Airlift), stellt Roger Miller vor. Er informiert über die Hauptkrise der Luftbrücke Anfang 1949, die durch einen Austausch des amerikanischen durch deutsches Bodenpersonal für die technische Unterhaltung der für die Berlin-Flüge eingesetzten Maschinen ausgelöst wurde. Bernd von Kostka bewertet den Beitrag der zivilen britischen Charterfirmen am Erfolg der Luftbrücke sehr hoch. Einen interessanten Vergleich liefert Richard Hufschmied in seinem Beitrag über die lang anhaltenden westalliierten Vorbereitungen auf eine sowjetische Blockade Wiens. Kritische Akzente setzen in diesem Band Malte Zierenberg, Michael Lemke und Dominik Geppert. Zierenberg bringt die der Luftbrücke zugeschriebene politische Bedeutung in Zusammenhang mit dem alltäglichen Schwarzhandel in Berlin, und Lemke fragt nach den Gründen für die Durchlässigkeit der Blockade. Diese sieht er in dem Zusammenhalt der Berliner in West und Ost mit den Brandenburgern im Umland und der historisch gewachsenen wirtschaftlichen Verflechtung der Stadt. Geppert unterscheidet zwischen der Aufladung der Erinnerung an die Luftbrücke bis 1961, ihrer "Abrüstung" seit 1961 und ihrer erneuten Polarisierung nach 1989.

Diese Publikation ist eine Jubiläumsschrift aus Anlass des 60. Jahrestags der Aufhebung der Blockade Berlins durch die UdSSR. Sie zielt in erster Linie auf die interessierten Besucher des AlliiertenMuseums, denen ein sehr breiter Überblick über die vielfältigen Facetten der "Luftbrücke" aus deutscher, amerikanischer, britischer, französischer und russischer Sicht geboten wird. Diesem Ziel dienen auch die dem Band beigegebenen Zeittafeln (in deutscher, englischer und französischer Sprache). Für die wissenschaftliche Öffentlichkeit sind die Beiträge anregend, aber viel zu knapp.

Jochen Laufer