Adnan Shiyyab: Der Islam und der Bilderstreit in Jordanien und Palästina. Archäologische und kunstgeschichtliche Untersuchungen unter besonderer Berücksichtigung der »Kirche von Ya'mun« (= Kunstwissenschaften; Bd. 14), München: Utz Verlag 2006, 328 S., ISBN 978-3-8316-0545-3, EUR 64,00
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Mit dem Bekanntwerden der Zerstörung der Buddhafiguren von Bamiyan im Jahr 2001 und dem so genannten Karikaturenstreit 2005 haben Ereignisse religionspolitischen Hintergrunds auch in westlichen Gesellschaften dazu Anlass gegeben, sich vermehrt mit der Haltung des Islam zu Bildwerken auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang erschienen in den vergangenen Jahren immer wieder Publikationen, die sich auch historischen Positionen und den Auswirkungen der islamischen Bildkritik auf die Kunstproduktion bzw. den Umgang mit bestehenden Bildwerken gewidmet haben. [1] Der Blickwinkel dieser Abhandlungen ist meist westlich geprägt, zumal der Zugang der westlichen Kunstgeschichte zu diesem Thema durch die Sprachbarriere des Arabischen erschwert ist. Umso erfreulicher ist es, dass sich mit Adnan Shiyyab ein jordanischer Archäologe mit dem Thema des islamischen Bilderverbots und dessen Verhältnis zum byzantinischen Ikonoklasmus des 8. Jahrhunderts auseinandergesetzt und seine 2002 in München eingereichte Dissertation in deutscher Sprache verfasst und publiziert hat.
Im Zuge des 7. Jahrhunderts gerieten große Teile des oströmischen Reiches durch die muslimische Eroberung unter eine neue politische Herrschaft. In Religionsfragen verhielten sich die neuen Machthaber anfangs tolerant gegenüber der ansässigen Bevölkerung, deren überwiegender Teil zumindest bis zum Ende des umayyadischen Kalifats in der Mitte des 8. Jahrhunderts weiterhin den christlichen Glauben beibehielt. Zahlreiche archäologisch nachgewiesene Kirchenbauten auf den Gebieten des heutigen Jordanien und Israel/Palästina belegen, dass die Christen in dieser Zeit weiterhin Kirchen errichteten, reparierten und mit neuen Ausstattungselementen versahen. Für das 8. Jahrhundert konnten archäologische Untersuchungen jedoch einen auffälligen Bruch in der visuellen Kultur belegen, der sich vor allem in den Mosaikfußböden der Kirchenbauten manifestierte, die in diesen Regionen ein Standardelement der Bauausstattung waren. Wurden neue Pavimente ausgelegt, weisen diese nun einen Trend zu rein geometrischen Mustern und symbolischen Motiven auf. In den meisten Fällen lässt sich allerdings eine bewusste Zerstörung älterer figurativer Bilddarstellungen beobachten. Shiyyabs Buch fragt nach den Hintergründen und den Akteuren dieser ikonophobischen Handlungen.
Ausgangspunkt von Shiyyabs Untersuchung sind die Bodenmosaiken der dreischiffigen Kirche von Yaʿmūn etwa 25 km südlich der jordanischen Stadt Irbid, deren Beschreibung allerdings erst im vierten Kapitel erfolgt (161-200). Der Bau wurde im Jahr 534 mit Mosaiken ausgelegt, die Pavimente jedoch später in zwei Phasen bewusst wieder zerstört. Während architektonische und vegetabile Motive dabei intakt gelassen wurden, wurden bis auf geringe Ausnahmen sämtliche zoo- und anthropomorphe Darstellungen getilgt.
In einer ersten Phase wurden unter anderem die Mosaiksteinchen im Mittelschiff und im Presbyterium an denjenigen Stellen ausgebrochen, die figürliche Darstellungen aufwiesen, und die entstandenen Lücken unmittelbar anschließend und unter Verwendung der ausgebrochenen Tesserae in abstrakter Anordnung wieder geflickt. Dabei folgten die Entfernungen so genau den Figuren, dass deren ehemalige Umrisslinien weiterhin erkennbar sind. Im nördlichen und Bereichen des südlichen Seitenschiffs wurden die figürlichen Repräsentationen in einer zweiten Phase nur nachlässig herausgeschlagen und entweder wenig sorgfältig mit größeren weißen Tesserae ausgebessert oder gar nicht repariert.
Dieselben Phänomene weisen auch zahlreiche andere Kirchen des 5. bis 8. Jahrhunderts in der Region auf; mehr als ein Drittel der in Jordanien bekannten frühchristlichen Kirchenbauten ist davon betroffen (171). Shiyyab erarbeitet in Kapitel 3 einen Katalog von siebzig Kirchen in Jordanien und Israel/Palästina, die ikonophobische Zerstörungen aufweisen (38-160). Neben einer knappen Beschreibung der Architektur und der Mosaiken wird jeweils auf die Art der Bilderzerstörungen und gegebenenfalls Reparaturen eingegangen. Leider fehlen neben der alphabetischen Auflistung Hilfen für eine geografische Lokalisierung der Bauten wie z.B. eine Angabe zur Lage innerhalb eines heutigen Staatsgebiets oder historischer administrativer Einheiten; auch wäre eine Karte mit Eintragung aller behandelten Orte hilfreich gewesen. Shiyyabs Datensammlung basiert wesentlich auf der Publikation von Robert Schick, der sich 1995 erstmals systematisch mit dem Phänomen der Bildertilgungen in frühchristlichen Bodenmosaiken auseinandersetzte und damals bereits über 50 entsprechende Monumente dokumentierte. [2] Schick ist auch das Verdienst zuzusprechen, diejenigen Bildertilgungen, die mit Sorgfalt ausgeführt und deren Lücken unmittelbar wieder geschlossen wurden, als Werke der Christen selbst erkannt zu haben, da die Felderreparaturen z.B. Kreuzzeichen enthalten können. Shiyyab schließt sich dieser Auffassung an (188).
Er erklärt das Phänomen durch eine gesteigerte Skepsis gegenüber figürlichen Darstellungen, die sowohl im muslimischen als auch im christlichen theologischen Diskurs der Zeit eine zentrale Rolle spielte. Auch wenn die genaue historische Situation heute nicht mehr rekonstruierbar ist, sind für die Dekade zwischen 720 und 730 zwei umfassende Bilderverbote überliefert, einerseits durch den umayyadischen Kalifen Yazīd II., der für eine kurze Zeit jedwede figürliche Darstellung in Kirchen und auf öffentlichen Plätzen verboten haben soll, andererseits durch den byzantinischen Kaiser Leo III., der die Darstellung von Jesus, Maria und den Heiligen auf Ikonen und deren Verehrung untersagte.
Das Hauptverdienst von Shiyyabs Arbeit liegt im ersten Kapitel (4-37), in dem der Autor die islamische Haltung zu Bildwerken untersucht, mit dem Ziel die "byzantinische und die islamische Bilderfeindlichkeit miteinander zu vergleichen und vor dem Hintergrund dieses Vergleiches die Eigenart der jeweiligen bilderfeindlichen Strömung zu definieren" (1). Basis ist eine Exegese relevanter Textstellen im Koran, der bekanntlich kein dezidiertes Bilderverbot enthält (es sei denn, es handele sich um Kultidole) sowie in den ḥadīṯen, den Niederschriften von Aussagen und Taten Mohammeds aus dem späten 8. und 9. Jahrhundert. Die ḥadīṯe belegen eine Ablehnung aller bildlichen Darstellungen von Lebewesen, die rūḥ, den göttlich eingehauchten Lebensatem, besitzen, da sie als blasphemische Imitation der göttlichen Schöpfungsmacht gelten. Zu diesen Lebewesen zählen Menschen und Tiere, Pflanzen hingegen nicht. Was den Umgang mit bereits existierenden figürlichen Darstellungen anbelangt, wird in den ḥadīṯen vorgeschlagen, bei diesen Figuren den Kopf sowie alle lebenswichtigen Körperteile zu entfernen, um der dargestellten Figur symbolisch die Lebensmöglichkeit zu nehmen.
Diese Vorgabe entspricht sehr gut der in vielen Kirchenmosaiken festgestellten Vorgehensweise, bei der besonderer Wert auf die Zerstörung der Köpfe und Extremitäten der Figuren gelegt wurde, wohingegen die Torsi meist unversehrt blieben. Ob die Christen mit den Bildertilgungen aber auf ein konkretes Bilderverbot durch Yazīd II. oder vielmehr allgemein auf ein von muslimischen Vorstellungen geprägtes, bilderfeindliches Ambiente reagierten, bleibt fraglich. Auch die ausholende Auflistung aller griechischen und arabischen Quellen christlicher und muslimischer Autoren, die das Edikt erwähnen, vermag letztlich nicht zu klären, ob es faktisch jemals existiert hat; Shiyyab bezweifelt dies eher (34-37, 187).
So verlegt sich der Autor darauf, im abschließenden fünften Kapitel (201-223) das Nebeneinander der Kulturen und Religionen im Nahen Osten unter frühislamischer Herrschaft zu beleuchten, um die Toleranz des Islam gegenüber Nichtmuslimen darzustellen. In den Schlussbemerkungen Shiyyabs scheint durch, dass ihm die positive Würdigung dieser religiösen Toleranz ein besonderes Anliegen ist.
Insgesamt ist anzumerken, dass orthografische und grammatikalische Fehler mitunter leider das Verständnis des Texts erschweren, der auch sachliche Irrtümer und terminologische Skurrilitäten (wie "Arier" statt "Arianer", 189) enthält. Wenig Sorgfalt wurde auch auf die - in Graustufen gedruckten - Abbildungen verwandt, für die weder ein Nachweis geführt wird noch die Abbildungsliste mit 88 Nummern mit der Anzahl der tatsächlich gedruckten 83 Abbildungen übereinstimmt. Da es keine Bildunterschriften gibt, dürfte es weniger mit der Materie vertrauten Lesern kaum möglich sein, die Abbildungen zweifelsfrei den besprochenen Monumenten zuzuordnen.
Nichtsdestotrotz lohnt es sich, Shiyyabs Buch zur Hand zu nehmen, wenn man sich über die frühesten Zeugnisse islamischer Bildkritik und deren möglichen Niederschlag im archäologischen Befund informieren will.
Anmerkungen:
[1] Z.B. Silvia Naef: Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturenstreit, München 2007.
[2] Robert Schick: The Christian communities of Palestine from Byzantine to Islamic rule. A historical and archaeological study (= Studies in late antiquity and early Islam, Bd. 2), Princeton, NJ 1995.
Ute Verstegen