Michael Maaser: Humanismus und Landesherrschaft. Herzog Julius (1528-1589) und die Universität Helmstedt (= Frankfurter Historische Abhandlungen; Bd. 46), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 222 S., ISBN 978-3-515-09177-0, EUR 56,00
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Die anzuzeigende Dissertation von Michael Maaser macht sich zwei Aufgaben zum Ziel: Am Beispiel der Frühgeschichte der 1576 gegründeten Universität Helmstedt möchte er zum einen "charakteristische Züge des Verhältnisses zwischen Politik und Hochschule" (9) erörtern, indem er die Rolle ihres Gründers Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528-1589) ins Zentrum rückt. Damit eng verknüpft ist sein zweites Anliegen, nämlich zu verfolgen, welche Einflüsse und Wirkungen der Humanismus auf diese akademische Anstalt hatte. Dabei erhebt der Autor den Anspruch, "ein Kapitel der Geschichte der Universitäten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neu zu schreiben" (10).
Unter "Humanismus" versteht Maaser ein "geistesgeschichtliches Phänomen, das vom 14. bis 16. Jahrhundert als selbstständige Größe auftrat"; zentral für seine Arbeit ist die Annahme, dass es den Humanisten um eine ethisch-praktische und sprachlich-literarisch-ästhetische Bildung gegangen sei, was zu einem "gleichen Bildungsprogramm mit unterschiedlichen Zielen" geführt habe (15). In dieser Geisteswelt verortet er seinen Protagonisten, den Herzog Julius, der in Frankreich und in den Niederlanden studierte und dort mit den Werken der großen Denker seiner Zeit vertraut gemacht wurde. Infolge dieser Erfahrungen, so der Autor, habe Julius die Gründung einer Universität als ein Mittel zur Festigung seiner Herrschaft und zum Aufbau seines Territoriums gesehen. Damit knüpft die Studie an eine gängige Forschungsannahme an, wonach die Verbreitung des Humanismus von unterschiedlichen Obrigkeiten gefördert wurde, die im Zeitalter der Staatsbildung gut ausgebildete, kompetente und loyale Pfarrer, Räte, Ärzte und Juristen benötigt hätten.
Maaser breitet sein Material in vier Kapiteln aus und orientiert sich dabei an den Helmstedter Fakultäten. Die Quellengrundlage der Studie besteht im Wesentlichen aus Personalakten der Professorenschaft, welche im Staatsarchiv Wolfenbüttel verwahrt werden. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er daneben den Universitätsstatuten, an deren Gestaltung der Herzog persönlich großen Anteil nahm. Um die Bedeutung der Universität Helmstedt als Werkzeug von Julius' Regiment zu umreißen, werden in den jeweiligen Themenblöcken die Anfänge der Fakultäten, die Zusammensetzung der ersten Lehrkörper und die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen vorgestellt. Im Kapitel zur theologischen Fakultät erfährt man zudem etwas über die Berufungsverfahren und die Professorenbesoldung sowie im Abschnitt zur medizinischen Fakultät Zusätzliches zu den Doktorpromotionen. Am Beispiel der juristischen Fakultät werden ferner Informationen zu den Nebentätigkeiten der Professoren angeführt, während der Autor mit Blick auf die artistische Fakultät vertiefend auf die in den Statuten formulierten Ziele des Universitätsstudiums eingeht. Eine Fülle an biographischen Details zur Professorenschaft, die sich in den unterschiedlichen Kapiteln finden, kann mittels eines Registers erschlossen werden.
Immer wieder wird in den unterschiedlichen Abschnitten herausgearbeitet, in welch hohem Maß Julius die Gestalt der Universität formte und sie so seiner Verfügungsgewalt unterwarf: Bereits zu Beginn des Lehrbetriebs machte er seinen Sohn Heinrich Julius zum Rektor, was ihm direkte Einflussmöglichkeiten einbrachte. Mit eindrücklichen Beispielen zu einer Reihe prominenter Gelehrter werden ferner die fürstliche Berufungs- und Besoldungspolitik ebenso wie die Kündbarkeit der Professoren herausgearbeitet. Auch das vermittelnde Vorgehen Julius' in konfessionellen Fragen, das laut Maaser einen reibungslosen Universitätsbetrieb garantieren sollte, wird damit in einen Zusammenhang gebracht; Maaser wertet die fürstliche Staatsräson als das dominierende politische Handlungsmotiv. In der Förderung Helmstedts habe sich Julius nicht als Verfechter des Luthertums präsentiert, sondern in seiner Funktion als Landesherr. Diese und andere Strategien hätten den Erfolg der Universität begründet, die sich bald zu einer der meistbesuchten akademischen Anstalten des Alten Reichs entwickelte.
Julius' Politik habe auch die "humanistischen" Strömungen im Lehrbetrieb bedingt: Indem der Landesherr beispielsweise die Homiletik (geistliche Beredsamkeit) in den Lehrplan aufnahm, mit dem Ziel, die Studenten auf das Pfarramt vorzubereiten, habe er zugleich, so Maaser, den Stellenwert der in den Augen der Humanisten so wichtigen Rhetorik gefördert. Vergleichbares wird auch für die grundsätzlichen Studienziele formuliert: In den Gründungsstatuten heißt es, wer seine "ratio" und "oratio" pflege, qualifiziere sich für den Landes- und Kirchendienst, und dies sei Richtungspunkt aller Studien. Vermittelt insbesondere durch Melanchthons Schülerkreis - zu dem etwa Julius' Berater David Chytraeus (1530-1600) gehörte - sei folglich nach Auffassung des Verfassers "genuin humanistisches Gedankengut" nach Helmstedt gekommen (161). Bei aller Offenheit für diese Strömungen habe Julius aber das "dialogische Moment" des Humanismus eingeschränkt; Streitgespräche, insbesondere solche konfessioneller Art, seien durch die Kontrolle des Landesherrn verhindert worden (167).
Indem das schillernde Rubrum "Humanismus" bisweilen recht summarisch als Erklärungsansatz für die Gestalt Helmstedts herangezogen wird, erscheint der Begriff streckenweise etwas unscharf. Nicht immer wird deutlich, was das vom Autor konstatierte einheitliche Bildungsprogramm ausmacht, so dass man bald geneigt ist zu fragen, ob der Begriff "Humanismus" ausreicht, um den Charakter dieser Hochschule im späten 16. Jahrhundert zu beschreiben. Zudem, das sei am Rande angemerkt, tendiert der Autor mitunter dazu, sämtliche Neuerungen auf seinen "klug denkenden" Protagonisten zurückzuführen (103) und meint dabei ziemlich gut mit Julius' Denk- und Gefühlsweisen vertraut zu sein; so beispielsweise hinsichtlich der Beziehung des Herzogs zum Theologen Thomas Olearius (1546-1623), den Julius angeblich wegen dessen "ruhiger Art" schätzte (79).
Die vorliegende Arbeit ist zwar methodisch wenig innovativ und schreibt sicherlich kein Kapitel der Universitätsgeschichte ganz neu. Ihre Stärke liegt aber darin, dass sie durch ihre Sichtweise "von oben" auf die Frühgeschichte der Universität Helmstedt unseren Blick für das Verhältnis von Landesherrschaft, -ausbau und Universitätskultur schärfen kann. Für Landeshistoriker ebenso wie für Universitätshistoriker hat Maaser eine profunde Quellenbasis zur weiteren Beschäftigung mit Helmstedt erschlossen, auf einen Vergleich mit anderen Universitäten darf man gespannt sein.
Elizabeth Harding