Rezension über:

Ines Peper: Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700 (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 55), München: Oldenbourg 2010, 285 S., ISBN 978-3-486-59225-2, EUR 39,80
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Rezension von:
Sebastian Kühn
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Kühn: Rezension von: Ines Peper: Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700, München: Oldenbourg 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/18297.html


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Ines Peper: Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700

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Dass eine Prinzessin aus reichsfürstlichem Haus, Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel, wegen der anstehenden Heirat mit dem späteren Kaiser Karl VI. zum Katholizismus übertrat, ordnet sich ein in eine lange Reihe fürstlicher Konversionen im 17. und 18. Jahrhundert und erscheint daher an sich als nicht besonders bemerkenswert. Dass hingegen lutherische Geistliche theologische Motive für ihre Konversion lieferten und sogar an ihrem Konversionsunterricht mitwirkten, bedarf der Erklärung.

Die politischen, sozialen und religionsgeschichtlichen Implikationen dieser Konversion auszuleuchten, hat Ines Peper in ihrer Dissertation unternommen. Dabei schlägt sie einen weiten Bogen von dieser konkreten Konversion bis hin zu den zahlreichen weiteren Konversionen im Umkreis des Wiener Hofs, zur habsburgischen Religionspolitik und zu diskursiven Bekehrungsmodellen des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Ergebnisse dieser quellengesättigten Arbeit dürften daher über die vielen Einzelbefunde hinaus allgemeines Interesse beanspruchen und stellen einen gewichtigen Beitrag zur Konversionsforschung dar. Denn die Verfasserin fragt in ihrer sozial- und kulturgeschichtlich inspirierten Arbeit weniger nach den individuellen Motiven von Konversionen, sondern nach sozialen, religionsgeschichtlichen und politischen Konstellationen. Damit unterscheidet sich diese Arbeit deutlich von ihrem Vorläufer, welcher die Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1600 zum Thema hatte und die Motive der Konvertiten meinte in Typologien fassen zu können. [1]

Dabei verknüpft Ines Peper verschiedene Perspektiven, befragt unterschiedliche Quellenarten und wechselt die Untersuchungsebenen. Drei Schwerpunkte lassen sich dabei ausmachen: Zum einen wird Wien als ein Zentrum katholischer Konversionsbemühungen ausgemacht - zahlreiche Konvertiten werden prosopografisch vorgestellt und die oft brutale Religionspolitik in den habsburgischen Ländern wird skizziert. Dann analysiert Peper die innere Logik von Konversionsberichten, mit überraschendem Befund. Schließlich - und dies hält die Arbeit zusammen - stellt Peper die Konversion Elisabeth Christines von Braunschweig-Wolfenbüttel und die sich daran anlagernden Verhandlungen und Kontroversen en détail vor. Sie vertritt die These, dass zahlreiche Konversionen höherer Standespersonen in einem religionsgeschichtlichen Kontext überkonfessioneller Religiosität zu verankern sind.

Die Einleitung expliziert nach einem pointierten Überblick über die Forschungslage die Fragestellung, Quellen und Methoden. Ausgehend vom Modell einer konfessionellen Grenze soll insbesondere die Durchlässigkeit und Komplexität dieser Konfessionsgrenze untersucht werden (21). Indem die Verfasserin diese Grenze, die bei einer Konversion überschritten wird, unter immer neuem Blickwinkel beleuchtet, wird die Verwobenheit von Konversionen mit politischen, sozialen, wirtschaftlichen, verwandtschaftlichen Aspekten in verschiedenen Gewichtungen deutlich.

Eine erste Kontextualisierung der Konversion Elisabeth Christines bieten die Fürstenkonversionen und die Kirchenreunionsverhandlungen zwischen 1650 und 1750. Zahlenmäßig lasse sich von einer regelrechten "Welle" von Fürstenkonversionen sprechen (30). Politische und soziale Strategien der Fürsten werden in ihrer klientelistischen Anlehnung an das Kaiserhaus deutlich. Im diplomatischen Verkehr um diese Konversionen treten aber auch andere Akteure und deren Interessen hervor: die Kurie sowie die Höfe der Kurfürsten von Mainz und von der Pfalz. Insbesondere der Mainzer Hof war auch ein Zentrum irenischer Theologie und regte Kirchenreunionen an, die immer wieder diskutiert wurden. Zumindest wurden so politische und theologische Argumente für eine Konversion zum Katholizismus bereitgestellt.

Das zweite Kapitel behandelt die habsburgische Religionspolitik. Die z.T. drastischen Maßnahmen der Rekatholisierung in den Erbländern richteten sich aber nicht an alle Untertanen gleichermaßen: Die Verfasserin wirft die Frage auf, ob nicht bei protestantischen Gruppen stärker nach Herkunft, Rang und persönlichen Umständen unterschieden werden müsse, um die Missionierungsbestrebungen des Wiener Hofes zu charakterisieren (67). Die ausführlich vorgestellte Konvertitenkasse etwa hatte andere Personen im Blick als die Verfolgung des Geheimprotestantismus. Hochrangige Konvertiten hingegen wurden durch Karrieremöglichkeiten oder attraktive Eheprojekte gefördert. Das dritte Kapitel erschließt diese Dimension sozioökonomischer Konversionsstrukturen mit Hilfe von Karriereverläufen in prosopografischem Überblick.

Damit sind etliche Koordinaten abgesteckt, um die Konversion Elisabeth Christines von Braunschweig-Wolfenbüttel zu erläutern. Für die anstehende Konversion wurden von lutherischer Seite theologische Gutachten erstellt - die mehrheitlich die Konversion befürworteten. In der Tradition Helmstedter Irenik stehend, so Peper, glaubte man zumindest für diesen Spezialfall ein überkonfessionelles Glaubensbekenntnis auszuhandeln. Diese Verhandlungen zwischen den Beteiligten, dann der von einem Jesuiten und einem Lutheraner erteilte Konversionsunterricht, die Dramaturgie der öffentlich inszenierten Konversion und die sich daran anschließende protestantische Polemik werden ausführlich vorgestellt. Von beiden Seiten waren Kompromisse einzugehen, die theologisch betrachtet bedenklich waren, politisch und sozial aber Sinn ergaben.

Die theologischen Gutachten, so das fünfte Kapitel, bewegten sich aber in einem etablierten diskursiven religionsgeschichtlichen Rahmen. Insgesamt zeige sich ein von Theologen formulierter Indifferentismus, der zusammen mit der frühen Aufklärung propagiert wurde und an einigen deutschen Höfen auf überkonfessionelle religiöse Einstellungen traf. Konfessioneller Indifferentismus war, so Peper, weit verbreitet; singulär hingegen sei, dass er von lutherischen Theologen so deutlich begründet wurde.

Die Konversionsberichte - die Verfasserin hat 130 zwischen 1650 und 1750 gedruckte ausgewertet - dürfen (anders als vielleicht erwartet) durchaus in diesem Kontext verankert werden. Sie thematisieren nicht die konkrete Lebensführung, schildern kein inneres Erweckungserlebnis, keine Wunder oder Visionen, keine Marienfrömmigkeit oder Heiligenverehrung. Das Bekehrungsmodell dieser Berichte, so zeigt das sechste Kapitel, folge rationaler Logik und sei eher ein Anwendungsfall von Kontroverstheologie. Was in den Konversionsberichten thematisiert wurde, seien nicht "typische" katholische Frömmigkeitsformen, sondern Vernunftgründe für den Konfessionswechsel.

In der Gesamtschau der unterschiedlichen Perspektiven auf Konversionen ergibt sich so ein erstaunlich heterogenes Bild religiöser Kulturen, in denen konfessionelle Identitäten, theologische Begründungen, soziales und politisches Handeln nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Damit wird die Tendenz der neueren Konversionsforschung [2] bestätigt, die den Übergangsbereich zwischen den Konfessionen und den Zusammenhang religiöser Haltungen mit den jeweiligen Kontexten betont. Zwar hätte die Verfasserin die Konsistenz der Kapitel und deren argumentativen Zusammenhang untereinander stärken können; ihre Überlegungen zur historischen Entwicklung des Konzepts von Mentalität aus Konfessionsdebatten (Kapitel VI.4) erscheinen etwas zu holzschnittartig und unverbunden - doch bleibt es eine eindrucksvolle Leistung, so unterschiedliches Material gesichtet und unter vielen Perspektiven ausgeleuchtet zu haben. An die Ergebnisse und aufgeworfenen Fragestellungen kann die weitere Forschung anschließen - etwa, indem auch Konversionen von Frauen und von Menschen aus unteren Bevölkerungsschichten systematisch untersucht werden. Nicht zuletzt erschließt ein Personenregister die Fülle der prosopografischen Aspekte von Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700.


Anmerkungen:

[1] Thomas Winkelbauer: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Ergbd. 34), Wien / München 1999.

[2] Jörg Deventer: Konversion und Konvertiten im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Stand und Perspektiven der Forschung, in: Aschkenas 15/2 (2005), 257-270.

Sebastian Kühn