Gilles Buscot: Pouvoirs et fêtes princières à Fribourg-en-Brisgau (1677-1814) (= Collection Contacts. Série III: Études et documents; Vol. 70), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, XXI + 437 S., ISBN 978-3-03911-805-2, EUR 71,70
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Als Gilles Buscot, ein ausgebildeter Germanist und Romanist, heute Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Département d'Études Allemandes der Universität Straßburg, im Dezember 1995 seine Dissertation über die Festkultur Freiburgs im Breisgau von 1677 bis 1814 vor der Sorbonne (Paris IV) verteidigte, hatten symbolische Kommunikation und Zeremonialforschung in der Geschichtswissenschaft noch keine Hochkonjunktur. Deren eminente Bedeutung haben jüngere Forschungen jedoch nachdrücklich und überzeugend herausgearbeitet - man denke nur an die herausragenden Arbeiten von Barbara Stollberg-Rilinger und ihrer Schüler. Auf umso größeres Interesse dürfte die 2010 erschienene Druckfassung von Buscots Dissertationsschrift stoßen, in welcher die seit 1995 erschienene Forschungsliteratur ergänzt wurde.
Freiburg im Breisgau bietet für eine Untersuchung obrigkeitlich organisierter Feste und Zeremonien ein besonders geeignetes Studienobjekt, denn die Stadt erlebte gleich mehrfach einen Herrschaftswechsel. Dadurch werden Vergleiche zwischen verschiedenen Strategien von Herrschaftsinszenierung möglich, ferner lassen sich Erfolge und Misserfolge der Versuche von Herrschaftslegitimation durch öffentliche Zeremonien im Hinblick auf die Ausbildung eines Loyalitätsbewusstseins seitens der Untertanen herausarbeiten. Mit der Besetzung durch die Truppen Ludwigs XIV. im Holländischen Krieg und dem Frieden von Nimwegen ging die Stadt 1677/1679 von den österreichischen Habsburgern an Frankreich über, während sie am Ende des Pfälzischen Krieges im Frieden von Rijswijk 1697 restituiert wurde. In der Napoleonischen Zeit kam es zu einem Intermezzo, in welchem die Stadt dem Herzog von Modena zugesprochen wurde, bevor sie schließlich dem Großherzogtum Baden zufiel. Fürstliche Zeremonien und Feierlichkeiten bildeten den Anlass, traditionelle oder neue Herrschaftsstrukturen vor Augen zu führen und zu legitimieren. Besonders die feierlichen Herrschereinzüge mit ihren architektonischen und ikonographischen Manifestationen sowie die Oratorik der Begrüßungsreden bilden einen wichtigen Bestandteil der von Buscot untersuchten Herrschaftsinszenierungen. Hierbei weitet der Verfasser die Bedeutung des Wortes "Entree" auf den gesamten Herrscheraufenthalt aus. Buscots Studie verdeutlicht, dass sich die Gestaltung von Herrschereinzügen nicht in einem binären Bezugspaar Fürst - Stadt vollzog, sondern dass hier durchaus zwischen dem Magistrat, verschiedenen lokalen Machtfaktoren (wie den Breisgauer Landständen oder der Freiburger Universität) und städtischen Untertanen zu differenzieren ist. Mit den sich wandelnden Machtverhältnissen kann der Fürst als Initiator erscheinen, der die wesentlichen Elemente seines Einzugs frei bestimmt, oder aber als Partner in einem kommunikativen Herrschaftsprozess, in dem lokale Amtsträger und Körperschaften ihrerseits einen bemerkenswerten Einfluss geltend machen konnten.
Im Ergebnis vermag die Studie erstens überzeugend darzulegen, dass zwischen 1677 und 1814 die Beteiligung der lokalen Instanzen an diesem Prozess tendenziell eher zunahm, und zweitens, dass zwischen den Freiburgern und den Habsburgern ein festes Loyalitätsverhältnis etabliert worden war, das neue Herrscher wie der Sonnenkönig, der Herzog von Modena und zunächst auch Baden selbst durch erhebliche propagandistische Anstrengungen im Rahmen der öffentlichen Inszenierung von Herrschaft nicht wirklich auflösen konnten. Dem eindeutigen Erfolg der Habsburger stand nach Buscot ein offensichtlicher Misserfolg der konkurrierenden Herrschaftsträger gegenüber. Je bedrohter die Zugehörigkeit zu Österreich in den verschiedenen Wechselfällen seit 1677 erschienen sei, desto enger habe sich jedenfalls Freiburg zur habsburgischen Herrschaft bekannt.
Diese Schlussfolgerung wird in den neun Kapiteln des Buches überzeugend begründet. Das erste Kapitel betrachtet die sukzessive Ausbildung einer österreichischen Identität in Freiburg bis zum Übergang der Stadt an Frankreich 1677. Kapitel II ist den Strategien Ludwigs XIV. zur Festigung seiner Herrschaft gewidmet, wobei ein besonderes Augenmerk auf den Herrschereinzug von 1681 gerichtet wird, in dem sich der Sonnenkönig als roi conquérant inszenierte. Die folgenden vier Kapitel analysieren die öffentliche Festkultur unter der habsburgischen Herrschaft von ihrer Wiederherstellung durch den Vertrag von Rijswijk 1697 an mit den wichtigen Einschnitten des Aachener Friedens von 1748, auf den eine knapp fünfzigjährige Friedenszeit für Freiburg folgte, der Entree Marie-Antoinettes von 1770 als Zeichen der österreichisch-französischen Aussöhnung und dem Ende des Reformzeitalters Josephs II. 1792 bis zum Beginn der Übergangszeit, welche die kurzzeitige Herrschaft des Herzogs von Modena seit dem Vertrag von Campoformio 1797 darstellte. Den Abschluss bilden zwei Kapitel zur historisierenden Festkultur, die mit dem Übergang an Baden 1806 einsetzte, und zu den Hoffnungen auf eine Rückkehr zu Österreich, welche im Zuge der antinapoleonischen Befreiungskriege 1813/1814 gehegt wurden.
Aufschlussreiches Material bieten dabei - neben der bereits erwähnten Entree von 1770 und den zahlreichen periodischen Feiern - vor allem die Zeremonien aus Anlass der Todesfälle von Leopold I., Joseph I. und Karl VI., der Geburt Josephs II. und Leopolds II., des inoffiziellen Besuchs Josephs II. in der Stadt 1777 mit seiner gegenüber dem Barock deutlichen Reduktion des Pomps, ferner die triumphalen Einzüge Erzherzog Karls am 28. Oktober 1796 und am 30. Januar 1797, die offiziellen Feierlichkeiten zum Übergang des Breisgau an Modena am 2. März 1803, die Einzüge Stephanies von Baden als Sinnbild der französisch-badischen Allianz im September und Oktober 1811 sowie schließlich der triumphale Empfang, welcher am 15. Dezember 1813 Kaiser Franz I. von Österreich durch die Freiburger bereitet wurde. Diese Ereignisse finden in der Darstellung Buscots eine entsprechende Würdigung. Vergleiche mit Einzügen und Feierlichkeiten in anderen Städten lassen Parallelen zum Freiburger Beispiel ebenso deutlich werden wie dessen Besonderheiten, beispielsweise durch die Gegenüberstellung der Freiburger Entree Ludwigs XIV. 1681 mit dem Einzug Kaiser Leopolds I. in Augsburg am 31. August 1689, dem Buscot einen vergleichsweise "mittelalterlichen" Charakter attestiert. Die Herrschereinzüge wurden teilweise minutiös dokumentiert und Präzedenzfälle gegebenenfalls später hervorgezogen, wie auch die Entree Ludwigs XV. in Straßburg 1744 belegt, aus deren Anlass sich der Magistrat gegenüber Kriegsminister d'Argenson auf einen Auszug aus Lünigs "Theatrum ceremoniale" zum Einzug Ludwigs XIV. in derselben Stadt 1681 bezog.
Für seine detaillierte Monographie hat Buscot umfangreiche Quellenbestände herangezogen und sowohl die einschlägigen Akten berücksichtigt (besonders aus dem Stadtarchiv Freiburg, dem Generallandesarchiv Karlsruhe, dem Stadtarchiv Straßburg und dem Historischen Archiv des französischen Verteidigungsministeriums) als auch ikonographische Quellen wie Stiche und Münzen erschlossen und ausgewertet. Ferner werden auch die aus Anlass von fürstlichen Feierlichkeiten in Freiburg aufgeführten Theaterstücke erfasst und analysiert. Ein instruktiver Anhang mit einschlägigen Abbildungen und schriftlichen Quellen rundet das Œuvre ab und veranschaulicht zentrale Aspekte, die in der Darstellung behandelt werden. Allerdings wurde auf die Abbildungsqualität leider keine große Sorgfalt verwandt.
Zur Herausbildung einer österreichischen Identität in Freiburg, die andere Herrschaftszeiten offenbar weitgehend unbeschadet überstand, mag neben der von Buscot untersuchten erfolgreichen habsburgischen Festkultur schlicht auch die Tatsache beigetragen haben, dass immer eine begründete Aussicht auf eine mögliche Rückkehr unter die österreichische Herrschaft bestand: sowohl unter Ludwig XIV., der Freiburg nicht zuletzt als eine Art Faustpfand verstand, als auch unter Herkules III. von Modena, der seine Verpflanzung in den Breisgau eigentlich gar nicht wünschte und dessen Erbtochter Maria Beatrix mit Erzherzog Ferdinand, einem Sohn Maria-Theresias, verheiratet war, und schließlich in den Wechselfällen der Befreiungskriege gegen Napoleon. Die politische Lage sprach daher letztlich doch für Habsburg. Diese politische Seite der Medaille hätte vielleicht in Buscots Darstellung noch stärker herausgearbeitet werden können. Man sollte aber bedenken, dass sein Thema eben in der Festkultur liegt.
Dies mögen zwei der wenigen kleinen kritischen Einwände gegen diese insgesamt sehr gelungene und überzeugende Publikation sein, die zu einer lehrreichen und zugleich angenehm kurzweiligen Lektüre einlädt.
Guido Braun