Rezension über:

Antje Scherner: Die Kapelle des Monte di Pietà in Rom. Architektur und Reliefausstattung im römischen Barock, Weimar: VDG 2009, 354 S., ISBN 978-3-89739-612-8, EUR 59,00
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Rezension von:
Ulrich Knapp
Leonberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Knapp: Rezension von: Antje Scherner: Die Kapelle des Monte di Pietà in Rom. Architektur und Reliefausstattung im römischen Barock, Weimar: VDG 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/01/17772.html


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Antje Scherner: Die Kapelle des Monte di Pietà in Rom

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Die Rolle kirchlicher Kreditinstitute und Pfandleihanstalten als Auftraggeber und Bauherren ist noch wenig untersucht. Unter diesen Instituten nahm der 1539 von dem Franziskaner-Minoriten Fra Giovanni da Calvi initiierte Monte di Pietà in Rom eine herausragende Stellung ein. Zweck dieser Einrichtung war es, aus den Beiträgen der Mitglieder Kredite an Bedürftige zu vergeben. 1584 wurde dem Monte di Pietà der Banco di Deposito angegliedert. Gleichzeitig wies Papst Gregor XIII. vakante Gelder aus Rechtsstreitigkeiten und nicht angetretene Erbschaften der Verwaltung durch den Monte di Pietà zu. Das römische Geldinstitut war damit Pfandleihanstalt und reguläre Depositbank. Mit dem Verbot des jüdisch-christlichen Leihverkehrs durch Papst Innocenz XI. 1682 erhöhte sich das Geschäftsvolumen des römischen Monte di Pietà beträchtlich. Die Geldanlagen an dem Institut stammten von Privatpersonen, insbesondere der römischen Aristokratie, und von kirchlichen Einrichtungen wie Bruderschaften, Klöstern etc. Eine bedeutende Rolle spielte der Monte di Pietà im Finanzverkehr der Apostolischen Kammer und damit auch bei der Finanzierung großer öffentlicher Bauprojekte in Rom.

Die Leitung dieses kirchlichen Geldinstituts lag in den Händen einer Bruderschaft, deren Mitglieder aus dem stadtrömischen Patriziat und dem Adel stammten. Dieser 30-köpfige Vorstand, dessen erster Vorsitzender in Personalunion Generalschatzmeister der Apostolischen Kammer war, regelte die laufenden Geschäfte. Wiederholt kam es im 17. Jahrhundert zu Kontroversen über Aufgaben und Ziele des Monte di Pietà.

Der Palazzo des Monte di Pietà an der Kreuzung der Via dell'Arco del Monte mit der Piazza del Monte di Pietà, der frühere Palazzo Petrignani (ehemals Palazzo Santacroce), wurde 1603 von der Bruderschaft erworben und nach Entwürfen von Carlo Maderno erstmals umgestaltet. Die nach einem Entwurf von Francesco Peparelli (1585(?)-1641) in den Jahren 1640-42 an der Nordecke des Palastkomplexes errichtete Kapelle erhielt in mehreren Ausstattungsperioden im 17. und 18. Jahrhundert ihre heutige Ausstattung. In der vorliegenden Monografie wird erstmals die vielschichtige Bau- und Ausstattungsgeschichte der Kapelle umfassend dargestellt. Scherner gelingt es, anhand der Archivalien und der Baubefunde die Abfolge der unterschiedlichen Ausstattungsprojekte und Bauzustände zu klären. Diese wurden entscheidend von den Ambitionen der jeweiligen Generalschatzmeister - Giacomo Franzoni (1656-1662), Giovanni Francesco Ginetti (1673-1681) und Lorenzo Corsini (1695-1707) - geprägt und standen in engster Verbindung mit den anspruchsvollsten zeitgenössischen sakralen Ausstattungskonzepten in der Ewigen Stadt. Die Ausstattung der Kapelle war dabei in ähnlicher Weise Kritik ausgesetzt, wie die Finanzpolitik des Monte di Pietà. Die Veränderung und beträchtliche Erweiterung des Bildprogramms der Kapelle im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert kann als Reaktion darauf gesehen werden.

Die Einstellung der Ausstattungsarbeiten auf Veranlassung von Papst Alexander VII. 1660 und Papst Innocenz XI. 1678 sowie die Intervention Papst Innocenz' XII. basierte jeweils auf der Kritik an dem als unangemessen empfundenen Aufwand für die Kapellenausstattung, dessen Vereinbarkeit mit den satzungsgemäßen Aufgaben des Monte di Pietà in Frage gestellt wurde.

Selbst an der in reduzierter Form, d.h. ohne die geplanten Marmorarbeiten an der Kuppel, ausgeführten Ausstattung entzündete sich die zeitgenössische Kritik, die Placidio Eustachio Ghezzi in der Rede zum 100-jährigen Bestehen der Accademia di San Luca 1695 in die Worte kleidete: "Salite sù quel Sacro Monte Erario de'Poveri, e ricca Mensa de'Grandi, e del tragico Simbolo del Divino Amore, sù'l gran spettacolo di sviscerato Sasso [...]" (81 und 146 Anm. 515).

Die Architektur Peparellis ist, wie Scherner darlegt, nachhaltig von den Zentralbauentwürfen des Mailänder Architekten Francesco Maria Ricchini geprägt. Deren Kenntnis dürfte Peparelli Girolamo Rainaldi verdankt haben. Ihre heutige Gestalt erhielt die Kapelle durch Umgestaltungen unter der Leitung der Architekten Giovanni Antonio de Rossi (1616-1695), Carlo Francesco Bizzacheri (1655-1721) und Alessandro Specchi (1668-1729).

Exemplarisch zeigen die fünf Ausstattungsphasen zwischen dem Neubau von 1640/42 und der Weihe im Jahr 1730 den Wandel in der Raumkonzeption, der Aufgaben der Skulptur und insbesondere des Reliefs bei der Raumausstattung. Die Diskussionen um die Angemessenheit des verwendeten Materials, insbesondere der kostbaren Buntmarmore für die Wandverkleidung und die Architekturgliederung, beleuchten den Konflikt zwischen den karitativen Aufgaben des Monte di Pietà, den Interessen der bauleitenden Generalschatzmeister und der Selbstdarstellung der Institution.

Minutiös arbeitet Scherner heraus, wie die aktuellen Diskussionen über die Aufgaben des Reliefs, insbesondere an der Accademia di San Luca und der Académie Royale, in die Ausstattungsprojekte einflossen. Bezeichnend ist der Ersatz des ursprünglichen, Pietro Paolo Baldini zugeschriebenen Altargemäldes durch das großformatige Relief Domenico Guidis 1676. Bei der Fertigstellung als "uno studio non ordinario" (146) gelobt, vermisste Ghezzi 20 Jahre später die Sublimität im Werk Guidis (146).

In detaillierten Werkanalysen zeigt Scherner die unterschiedlichen künstlerischen Mittel auf, die die beteiligten Bildhauer, Domenico Guidi, Pierre Legros und Jean-Baptiste Théodon bei ihren großformatigen Reliefs einsetzten. Es sind nicht nur die unterschiedlichen Sujets, sondern vor allem die verschiedenen Konzepte von Bild- und Betrachterraum, die die Werke unterscheiden. Die zeitgenössische Kritik an den Reliefs der Antike und die Mittel, Räumlichkeit zu suggerieren und ungleichzeitige Ereignisse im Relief darzustellen, prägen die unterschiedlichen Reliefkonzeptionen. Die von Scherner zitierten Kommentare belegen, dass die vieldiskutierten Arbeiten bei Architekten und Bildhauern große Resonanz fanden.

Im Anhang des Bandes sind ausgewählte Quellen zu den Aufgaben und Zielen des römischen Monte di Pietà, zur Baugeschichte der Kapelle, zur Interpretation der Reliefs in der Kapelle und zur Aufgabe des Reliefs in der italienischen Kunsttheorie des 16. und 17. Jahrhunderts abgedruckt. Besonders aufschlussreich sind die zeitgenössischen Kommentare zur skulpturalen Ausstattung der Kapelle, die Auszüge aus den Pariser Akademiereden von Michel Anguier (1673) und Thomas Regnaudin (1673) und die Vita Jean-Baptiste Théodons von Adrien François D'Huez (1720).

Hervorzuheben ist auch die heute nicht mehr selbstverständliche Qualität der Abbildungen. Besonders ausdruckstark ist die bei natürlichem Licht angefertigte Aufnahme des Altarreliefs von Guidi. Die Gegenüberstellung mit Guidis Kupferstich von 1694 unterstreicht die vom Bildhauer intendierte Lichtführung. Gerne hätte man auch von den anderen Reliefs der Kapelle entsprechende Aufnahmen in dem Abbildungsteil gesehen.

Der Band ist mehr als nur eine Monografie zu einer der bedeutendsten sakralen Skulpturenausstattungen des römischen Barock. Scherners Ausführungen zur zeitgenössischen Diskussion über die Aufgaben der Skulptur und insbesondere des Reliefs und der einzusetzenden künstlerischen Mittel, weisen weit über die Kapelle des Monte di Pietà hinaus. Die in den Schriftquellen zur Ausstattung der Kapelle greifbaren unterschiedlichen Auffassungen zur Angemessenheit der künstlerischen Ausstattung, ihres Material- und Kostenaufwands vor dem Hintergrund der Aufgaben kirchlicher Institutionen beleuchten zudem einen meist unbeachteten Aspekt von künstlerischen Aufträgen geistlicher Aufraggeber.

Ulrich Knapp