Rezension über:

Richard Kirwan: Empowerment and Representation at the University in Early Modern Germany: Helmstedt and Würzburg, 1576-1634 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 46), Wiesbaden: Harrassowitz 2009, 362 S., ISBN 978-3-447-06067-7, EUR 98,00
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Michael Maaser: Humanismus und Landesherrschaft. Herzog Julius (1528-1589) und die Universität Helmstedt (= Frankfurter Historische Abhandlungen; Bd. 46), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 222 S., ISBN 978-3-515-09177-0, EUR 56,00
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Rezension von:
Marian Füssel
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Marian Füssel: Zur Gründungsgeschichte der Universität Helmstedt (Rezension), in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/01/18198.html


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Zur Gründungsgeschichte der Universität Helmstedt

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Der Geschichte der 1576 inaugurierten und 1810 geschlossenen Universität Helmstedt ist 2010 durch verschiedene Veranstaltungen anlässlich des 200. Jahrestages ihrer Aufhebung wieder verstärkte Aufmerksamkeit zu Teil geworden. [1] Insbesondere die Gründungsgeschichte der Alma Julia ist nun durch die zwei jüngst erschienenen Dissertationen von Richard Kirwan und Michael Maaser breit aufgearbeitet. Die beiden - sehr unterschiedlichen - Arbeiten widmen sich damit einem Themenfeld, das in den sechziger und siebziger Jahren erstmals durch die grundlegenden Forschungen von Peter Baumgart erschlossen worden ist. [2] Während Kirwan in seiner Dubliner Dissertation von 2006 gewissermaßen eine kulturalistische Fortschreibung der Arbeiten Baumgarts vornimmt, geht Maaser in seiner Frankfurter Dissertation von 2002 einen wesentlich traditionelleren Weg und legt eine klassische Institutionengeschichte im Zeichen des Humanismus vor.

Richard Kirwan vergleicht die Repräsentationsgeschichte der Universitäten Helmstedt und Würzburg in den ersten 50 Jahren nach ihrer Gründung und analysiert die symbolischen Interaktionsprozesse zwischen ihnen und ihren Landesherren: in Würzburg Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn und im Falle Helmstedts die Braunschweig-Wolfenbüttelschen Herzöge Julius, Heinrich Julius und Friedrich Ulrich. Nach einer Verortung im Forschungsfeld einer kulturgeschichtlich erweiterten Universitätsgeschichte gliedert sich der Vergleich in fünf systematische Blöcke. Angefangen mit den Inaugurationsfeiern (I.) folgen die Übergangsriten im öffentlichen Leben der einzelnen Gelehrten (II.), die Heiratspraktiken der Familienuniversität (III.), die Repräsentation im Medium der Architektur (IV.) sowie schließlich die Patronage-Verhältnisse zwischen Landesherr und Professoren (V.). Theoretische Leitlinie von Kirwans Repräsentationsanalyse bildet Stephen Greenblatts Renaissance Self-Fashioning, ein Ansatz, der hier über individuelle hinaus auch auf kollektive, korporative Akteure angewendet wird. Methodisch setzt der Zugang jedoch auch gewisse Grenzen, wie etwa an der vergleichsweise geringen heuristischen Nutzung von Konflikten deutlich wird.

Das Festzeremoniell der Gründung wird auf seine performativen Effekte hin untersucht und sowohl als symbolische Einsetzung der akademischen Gemeinschaft wie auch als fürstlicher Repräsentationsakt in der Adventus-Tradition interpretiert (31-83). Im Gegensatz zu Würzburg fand die Inaugurationsfeier in Helmstedt auch einen publizistischen Niederschlag, der die Realität des Zeremoniells gewissermaßen verdoppelte und speicherte. Ein ähnlicher Befund ergibt sich auch anhand des Rituals der Promotion, dessen performative Ausgestaltung an beiden Universitäten sehr ähnlich war, dessen publizistische Repräsentation sich jedoch in Helmstedt wesentlich dichter gestaltete als in Würzburg (85-108). Am Beispiel der im dritten Kapitel untersuchten Hochzeitsgedichte (epithalamia) wird der konfessionell bedingte Unterschied besonders deutlich. Während es in Würzburg offenbar kaum Beispiele dieser Textgattung gab, ist in Helmstedt ein reicher Bestand an Hochzeitslyrik überliefert, der im rhetorischen Gewand antiker Vorbilder die protestantische "Familienuniversität" propagierte (143-172). Eine besonders nachhaltige Repräsentationsleistung erbrachte ferner die Universitätsarchitektur, die bislang unter diesem Aspekt in der Forschung kaum gewürdigt wurde. Zunächst mit aufwendigem Zeremoniell inauguriert, wurden die Gebäude und deren Einweihungsfeiern nicht nur in verschiedenen Drucken dargestellt und mit humanistischer Rhetorik inszeniert, sondern stellten durch ihre ästhetische Ausgestaltung, Ornamentierung und Raumorganisation selbst eine dauerhafte Repräsentation sowohl der universitären Korporation wie des landesherrlichen Stifters dar (173-230). Im fünften Kapitel entwirft Kirwan das Modell eines Patronage-Vertrags zwischen Fürst und Professoren. Ein wechselseitiger, wenn auch deutlich asymmetrisch zugunsten der Landesherren ausfallender Aushandlungsprozess, der am Beispiel der fürstlichen Begräbnisse und der an die Nachfolger adressierten Funeralpublizistik sowie anhand der Schenkung der herzoglichen Bibliothek an die Universität durch Friedrich Ulrich rekonstruiert wird. In diesem Kapitel wird der ja bereits im Titel des Buches ausgewiesene "Empowerment"-Ansatz besonders deutlich: In der Interaktion des Landesherrn mit 'seiner' Universität eröffneten sich auch bestimmte Handlungsspielräume für die Professoren, deren Repräsentationsstrategien meist ganz materielle Ziele verfolgten (231-273).

Der Vergleich zwischen Helmstedt und Würzburg gestaltet sich insgesamt merklich asymmetrisch, nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Überlieferungsgeschichte, da ein Großteil der Würzburger Archivalien 1945 zerstört wurde. Aber auch die von Kirwan hauptsächlich herangezogenen Druckwerke weisen insgesamt einen deutlichen Schwerpunkt auf Seiten Helmstedts auf. Hierin muss eine der größten Schwierigkeiten der Arbeit gesehen werden: Viele Vergleichsparameter hinterlassen mehr oder weniger eine Leerstelle auf Würzburger Seite, wodurch die Repräsentativität des konfessionellen Vergleichs teilweise eingeschränkt wird. So ist es beispielsweise fraglich, ob allein die höhere "soziale Komplexität" Würzburgs (142) für ein Ausbleiben bestimmter Repräsentationsstrategien verantwortlich war.

Eines der Hauptverdienste der methodisch sehr sauber und detailreich gearbeiteten Untersuchung ist sicher die minutiöse Sichtung des gedruckten Repräsentationsdiskurses beider Universitäten. Von Festbeschreibungen über gedruckte Porträts, Promotionsprogramme und Hochzeitsschriften bis hin zu Leichenpredigten wurden systematisch die verschiedenen Medien akademischer Selbstinszenierung gesammelt, gesichtet und auf ihre kommunikativen Funktionen hin untersucht. Insbesondere die Auseinandersetzung mit den rhetorischen Strategien dieser verschiedenen Inszenierungsformen ist bislang im universitären Kontext kaum in dieser Dichte geleistet worden. Kirwans ebenso flüssig geschriebene wie luxuriös ausgestattete Untersuchung liefert somit ein beeindruckendes Stück Kulturgeschichte der frühneuzeitlichen Universität.

Die Arbeit von Maaser gliedert sich neben Einleitung und Schluss in fünf systematische Hauptkapitel, in denen zunächst die Gründungsgeschichte sowie anschließend die vier Fakultäten in der Reihenfolge Theologie, Medizin, Jurisprudenz und Artistenfakultät abgehandelt werden. Die Rekonstruktion der Gründung fasst den bisherigen Forschungsstand zusammen und nimmt einige kleinere Neuinterpretationen vor, die vor allem die aktive Rolle von Herzog Julius betonen. Die Behandlung der Fakultäten orientiert sich weitgehend an der Geschichte der einzelnen Lehrstuhlbesetzungen und ihrem jeweiligen von den Statuten gesetzten, formalen Rahmen. Während sich anhand der theologischen Fakultät besonders die Involvierung in die landesherrliche Konfessionspolitik - konkret an der Ablehnung der Konkordienformel - beobachten lässt, weist die Besetzung der medizinischen Fakultät einen direkten Bezug zur Sorge des Fürsten um seine persönliche Gesundheit auf. Insgesamt eine eher kleinere Fakultät, wies die Medizin jedoch einen für ihre Zeit vergleichsweise hohen Praxisbezug auf. Wichtigste Fakultät war auch in Helmstedt die juristische, da der Ausbau von Herrschaft und Verwaltung auf akademisch ausgebildete Rechtsgelehrte angewiesen war. Wirkung und Rezeption des Humanismus zeigt sich schließlich traditionsgemäß am deutlichsten in der artistischen Fakultät, die für Vermittlung der alten Sprachen und der einzelnen Künste wie Dialektik, Rhetorik oder Poesie zuständig war und sich auch an der Alma Julia stark an Aristoteles orientierte. Die Geschichte der Universität Helmstedt unter Julius wird zusammenfassend als reine Erfolgsgeschichte beschrieben, die ihrer kaiserlichen Privilegierung, ihrer günstigen Lage, ihrer finanziellen Ausstattung, ihren akademischen Gesetzen und dem besonderen Engagement des Herzogs zu verdanken sei (162-164). Ihr Gesamtcharakter wird als "späthumanistisch" und modern qualifiziert, ohne das jedoch ganz klar wird, was diesen akademischen Späthumanismus jenseits eines verstärkten Praxisbezugs genau auszeichnet (165-167).

In Fortführung der Arbeiten Baumgarts kann die Frühzeit der Universität Helmstedt mit den vorliegenden Arbeiten als sehr gut erschlossen gelten. Im Gegensatz zur Untersuchung von Kirwan fehlt der Arbeit Maasers jede theoretische Ambition, wenngleich er selbst den Anspruch erhebt "ein Kapitel der Geschichte der Universitäten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neu zu schreiben" (10). Die Konzentration auf Professorenbiographien und Lehrinhalte, gekoppelt mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat, bietet eine hilfreiche Ergänzung zu Kirwans sich stärker auf die zeitgenössischen Drucke fokussierender Darstellung. Maaser hat somit eine Art kleines Handbuch für die ersten Jahre der Alma Julia vorgelegt. Wer etwas über die kulturelle Praxis des Helmstedter Humanismus erfahren will, wird bei Kirwan ebenso fündig wie bei Maaser, wenn auch mit unterschiedlichen Ausrichtungen. Während "Empowerment and Representation" ein close-reading der antikisierenden Repräsentationsrhetorik bietet, finden sich in "Humanismus und Landesherrschaft" Hinweise zu Lehrer-Schüler Verhältnissen oder frühen Institutionalisierungsprozessen, beispielsweise von Kirchengeschichte und Homiletik (62-65). Was die Frage der Herrschaft angeht, gewinnt der Leser zwei recht unterschiedliche Perspektiven: einen klassischen top-down approach bei Maaser, für den Julius der alleinige Manager seiner Universität ist, und ein dynamisches Interaktionsmodell von Herrschaft bei Kirwan, das unterschiedliche Handlungsspielräume von Herrschaft als sozialer Praxis problematisiert.

Gerade in ihrer methodischen Unterschiedlichkeit sind die beiden Arbeiten gewissermaßen repräsentativ für das gegenwärtige Feld der Universitätshistoriographie: der Aufnahme sozial- und kulturhistorischer Ansätze steht die Fortschreibung traditioneller Institutionengeschichten relativ unvermittelt gegenüber. Will die Universitätsgeschichte jedoch methodisch den Anschluss an die allgemeine Geschichte nicht verlieren, gilt es neue Wege zu beschreiten, wie hier etwa mit Rückgriff auf den new historicism vorgeführt. Erst dann eröffnen Fragen wie "Was war Helmstedt?" auch tatsächlich neue Erkenntnisse und weiterführende Perspektiven jenseits reiner Faktensammlung. [3]


Anmerkungen:

[1] Vgl. Jens Bruning / Ulrike Gleixner (Hgg.): Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576-1810 [Ausstellung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ... vom 7. Februar bis 29. August 2010], Wolfenbüttel 2010.

[2] Vgl. jetzt gesammelt herausgegeben als Peter Baumgart: Universitäten im konfessionellen Zeitalter. Gesammelte Beiträge, Münster 2006.

[3] So der Titel einer Wolfenbütteler Tagung der Zeitschrift für Ideengeschichte im Februar 2008, vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=8528 [03.01.2011].

Marian Füssel