Karoline Resch: Die Freiheit des Feldherrn. Der Handlubgsspielraum römischer Feldherrn 218-133 v. Chr. (= Antike Kultur und Geschichte; Bd. 14), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2010, X + 370 S., ISBN 978-3-643-50135-6, EUR 29,90
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Seit kurzem ist in der Forschung zur römischen Republik eine gewisse Rückbesinnung auf die rechtliche Dimension der Ordnung zu beobachten. Die Arbeiten "nach Mommsen" waren lange vom sozialgeschichtlichen Paradigma geprägt gewesen, das die Stabilität der Verfassung in der regierenden Klasse, ihrem Komment und ihren Netzwerken suchte, welche den Konsens über Ziele, Normen, Hierarchien und Verhaltensweisen herstellten (Gelzer, Münzer, Bleicken). Wesentlich erweitert wurde diese Perspektive durch die Kulturgeschichte des Politischen: Der Konsens innerhalb der Nobilität und der Gehorsam des populus gegenüber der Elite waren demnach nicht selbstverständlich und prästabil, sondern mussten immer wieder durch performative Akte und Praktiken gemeinschaftlichen Handelns und Sehens (Versammlungen, Prozessionen, joviale oder autoritäre Kommunikation, Gesten, Sprechakte, exempla, Konstruktion eines mos maiorum u.a.) generiert und gefestigt werden (Flaig, Hölkeskamp, Jehne u.a., z.T angeregt durch die Demokratie-These F. Millars). Einzelstudien zeigten, in welchem Ausmaß die großen Kriege, zumal der erste Karthagerkrieg und der Hannibalkrieg, für das politische System 'Stressphasen' darstellten, die zu erheblichen Irritationen des gesamten Gefüges führen konnten und Neujustierungen evozierten; damit geriet auch die Periodisierung erneut in die Diskussion. [1]
Mommsen war bekanntlich von zentralen Begriffen (imperium, potestas) sowie von Akteuren (Magistratur, Volk, Senat) ausgegangen, die man als Ausdruck bzw. Träger von Initiative und Entscheidung fassen kann. Er konstruierte eine aus der vielfältigen politischen Wirklichkeit abstrahierte Systematik, die als Staatsrecht einen retrospektiv-normativen Charakter hat. Konflikte werden primär als "Collision" von unabhängigen, nicht hierarchisch abgestuften Kompetenzen gesehen (Kollegialität; tribunizisches Veto; Obnuntiation u.a.). Mommsen kannte die Quellen selbstverständlich viel zu gut, um die Unschärfen, Widersprüche und Situationsoffenheit des 'Systems' zu verkennen [2]; allerdings dachte er das Ganze nicht von ihnen aus. An dieser Stelle setzen neue Arbeiten an, indem zum einen wieder verstärkt nach Institutionen und Rechtsnormen gefragt wird - freilich mit einer erweiterten Auffassung von Recht. Im Sinne eines modernen Strukturbegriffs, wonach Strukturen nicht als fixiertes Gerüst von Normen zu fassen sind, vielmehr das Produkt von Routinen, Setzungen und Aushandlungen darstellen, konzentriert man sich zum anderen auf die fluiden Grenzfälle der politischen Ordnung und auf die Aktualisierungen von Normen in Konflikten. [3] Einzelne Regelkonflikte und Normdehnungen bzw. -aussetzungen sind schon länger Gegenstand der Forschung. Und generell ist anerkannt, dass die flexible Handhabung der Regeln und Normen ein wesentliches Instrument der herrschenden Elite war, das situativ Notwendige zu tun - etwa in Krisensituationen Kommandopositionen bewährten Männern anzuvertrauen -, ohne aus dem Blick zu verlieren, dass die prinzipiell egalitäre und hochgradig kompetitive aristokratische Elite nur funktionieren konnte, wenn die Chancen auf Karriere und Ruhm breit gestreut und die Aussichten der größeren Zahl von Aristokraten nicht allzuoft düpiert wurden. Denn auch für die politische Ordnung der römischen Republik galt: Erwartbarkeit durch Regeln schützt die 'Normalen', während die Starken leichter Mittel und Wege finden, sich durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund nimmt man die vorliegende Grazer Dissertation von Karoline Resch mit einiger Erwartung zur Hand. Die Autorin will durch eine "Untersuchung der Situation" des Feldherrn dessen "Beschränkungen" und "Freiräume" ermitteln. Allerdings fällt sie schon hier hinter den Stand auch der theoretischen Diskussion zurück, indem sie eine simple Dichotomie zwischen den "rechtlichen Kompetenzen eines Feldherrn innerhalb einer systematisierten Verfassung" und dem politisch Machbaren ("normative Kraft des Faktischen") aufstellt (6). Zentrale Begriffe wie "Regel", "Norm", "Praxis" oder "Konvention" werden nirgendwo problematisiert, später (273) finden sich einmal "Unangreifbarkeit" und "Legitimität" identisch gesetzt. Der Untersuchungszeitraum wird mit der Dichte der Überlieferung begründet, erscheint aber gleichwohl zu eng, denn gerade der erste Karthagerkrieg ist für die Leitfrage der Arbeit von hohem Interesse. [4] Ein Überblick zum Forschungsstand fehlt, ebenso ein Gespür für die Stellung der regelmäßig zitierten Autoren im Gang der Forschung und für deren wechselnde Fragestellungen. So werden sie immer wieder nacheinander brav zu Einzelfragen referiert (und mit unangebrachten Zensuren versehen): Toynbee neben Hölkeskamp, Bleicken neben Eckstein. Grundlegende Studien sind in ihrer konzeptuellen Bedeutung gar nicht erkannt und werden allenfalls für Detailfragen herangezogen.
Resch skizziert zunächst "Spannungsfelder", zu denen sie den mos maiorum, Ehrgeiz und Konkurrenz, Senat und Comitien sowie das Phänomen "Macht durch Information - Information durch Macht" zählt. Bereits hier werden einige Fälle vorgestellt und Resultate formuliert, die sich später ausführlicher hergeleitet finden. Der erste Hauptteil der Arbeit (41-130) stellt Mittel zur Beschränkung, Kontrolle und Disziplinierung des Feldherrn vor: Ressourcen, situative Aufträge des Senats, territoriale Beschränkungen, die zeitliche Beschränkung des imperium, der konkrete Auftrag, dann: Inspektionsgesandtschaften, Berichte nach Rom und Beschwerdegesandtschaften, ferner: Bestrafung nach der Rückkehr und Verweigerung des Triumphs. Der zweite Hauptteil (133-313) mischt unter der Überschrift "Bereiche der Freiheit und Beschränkung" normativ formulierte und empirisch beobachtbare Verhaltensweisen - etwa das Verhalten im Kampf und nach einer Niederlage oder die "Grausamkeit" in der Kriegführung - mit den Relationen zum Umfeld des Feldherrn, also Quästoren, Legaten, Militärtribunen, consilium, Zehnmännerkommissionen, Verbündeten und anderen Feldherrn, ferner der griechischen und der römischen Öffentlichkeit. Ein Unterkapitel widmet sich dem Verhältnis zu den Soldaten. "Religiöses im Krieg" wird kurz abgemacht, weil Resch der Latte'schen Vorstellung folgt, dass die Feldherrn als Mitglieder einer hellenisierten Elite die kultreligiöse Begleitung des Krieges im wesentlichen nur vollzogen hätten, um die weniger aufgeklärten Soldaten bei Laune zu halten. Hier sind mehr als drei Jahrzehnte religionsgeschichtlicher Forschung schlicht ignoriert. In anderen Passagen, etwa zu den Triumphdebatten (115-130), ist die aktuelle Forschung zwar bekannt, aber nicht eigentlich zur Kenntnis genommen. Immer wieder werden größere Felder wie die militärische Disziplin oder die Art römischer Kriegführung berührt, die auf wenigen Seiten nicht angemessen und auf dem Stand der Diskussion besprochen werden können. [5]
Mag die Systematik immerhin noch diskutabel sein, so wirkt die Methode wenig überzeugend. Es hätte sich angeboten, einen Katalog zu erstellen, um die Phänomene vollständig zu erfassen und v.a. Häufungen, Verdichtungen und Verschiebungen festzustellen. Auch die Kontexte und besonderen Bedingungen der Beispielnester - der Hannibalkrieg, die Feldzüge in Griechenland, die jahrzehntelangen Unterwerfungskriege in Spanien - finden kaum Aufmerksamkeit. Statt dessen referiert Resch jeweils aus den Quellen isoliert einige aussagekräftige Beispiele, chronologisch durcheinander, dazu die Ansichten ausgewählter Forscher, um immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen zu kommen: Die Feldherrn genossen formal große Freiheiten und erfreuten sich, zumal wenn sie auf peripheren Schauplätzen agierten, oft einer geringen Aufmerksamkeit. Auf die Bühne konnte ihr Handeln indes sofort rücken, wenn außenpolitische Interessen involviert waren (etwa durch Gewaltexzesse), die Disziplin der Truppe infrage stand, die aristokratische Konkurrenz berührt war, ausdrückliche Anweisungen des Senats keine Beachtung gefunden hatten oder schlicht ein evidenter Misserfolg zu verantworten war. Entscheidend war also nicht "eine Trennung in Erlaubtes und Verbotenes, sondern die Frage des Interesses" (317). In der Tat: Es bedurfte einer Art Skandalisierung feldherrlichen Agierens aus der Aristokratie heraus. Um dies zu vermeiden, empfahl es sich, den Erwartungen und dem Üblichen zu genügen - oder sich gute Argumente und starke Unterstützer zu suchen, um einen Konflikt mit Volkstribunen, politischen Gegnern, im Senat oder gar vor Gericht durchzustehen. Umgekehrt: 'Richtig' entschied, 'gültig' handelte, wer am Ende unbehelligt blieb. Und auch das ist wohl richtig gesehen: Gerade für die vielen 'mittelmäßigen' Feldherrn ohne große Ambitionen dürften die expliziten wie gewohnheitsmäßigen Regeln und Richtlinien eine "willkommene Beschränkung ihrer Entscheidungsoptionen" bedeutet haben (318). Solche Beobachtungen stehen neben Trivialitäten wie denen, der Feldherr habe auf das "richtige Maßhalten" achten und "Fingerspitzengefühl" beweisen müssen (287; 250).
Weil die Arbeit aber von einer zu statischen Vorstellung der Bedingungen und Mechanismen aristokratischer Politik in Rom ausgeht, ist das auf den ersten Blick differenzierte Resultat - "Eine einheitliche Formulierung des Handlungsspielraums ist nicht möglich." (322) - ein 'falscher Freund'. Resch spricht verräterisch von der "Diskursanfälligkeit der Richtlinien" (116) und packt die Gegenstände und Resultate der vorgestellten Aushandlungsprozesse in kleinteilige, rubrizierte Kästchen, anstatt das Material in seiner ganzen Breite auszuwerten und die gut dokumentierten Fälle einmal wirklich in alle Richtungen auszuinterpretieren. Auch für die Diachronie bleibt es bei der bloßen Behauptung: Resch stellt aus ihrem Material keine Entwicklungsprozesse heraus, sondern entnimmt solche lediglich aus (älteren) Lehrmeinungen ("Verwandlung von verinnerlichten Normen und Regeln zu reinen Konventionen", 19).
Das Thema bleibt reizvoll, aber ohne klare Begriffe, Rekurs auf den Forschungsstand und eine systematische Auswertung der Quellen ist kein Fortschritt zu erzielen.
Anmerkungen:
[1] Siehe zuletzt Harriet I. Flower: Roman Republics, Princeton 2010, wo die Bedeutung der Kriege allerdings stark unterschätzt ist. - Für den Diskussionsstand insgesamt sehr eindringlich Karl-Joachim Hölkeskamp: Reconstructing the Roman Republic. An Ancient Political Culture and Modern Research, Princeton 2010. Translated by Henry Heitmann-Gordon, revised, updated, and augmented by the author (überarbeitete und erweiterte Übersetzung von: Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte [Historische Zeitschrift, Beiheft 38], München 2004).
[2] Siehe am Beispiel der Gültigkeit von Comitialbeschlüssen Theodor Mommsen: Abriss des römischen Staatsrechts (Leipzig 1893), Nachdruck Darmstadt 1974, 255.
[3] In vielerlei Hinsicht mustergültig jetzt Christoph Lundgreen, Regelkonflikte in der römischen Republik. Geltung und Gewichtung von Normen in politischen Entscheidungsprozessen; Diss. phil. Dresden/Paris 2009; erscheint 2011 in den Historia-Einzelschriften. - Stark systemtheoretisch ausgerichtet ist Jani Kirov: Der Umgang mit Abweichungen in der römischen Republik, in: Historische Zeitschrift 290 (2010) 297-320.
[4] Die einschlägige Studie - Bruno Bleckmann: Die römische Nobilität im Ersten Punischen Krieg. Untersuchungen zur aristokratischen Konkurrenz in der Republik (Klio Beihefte, 5), Berlin 2002 - wird nur 47 Anm. 7 angeführt und steht nicht im Literaturverzeichnis.
[5] Kleinere Mängel: Ernennung außerordentlicher Magistrate durch die Comitien, wo die Verleihung außerordentlicher Imperien gemeint ist (22); extra statt exta (152 und 311); 62 oben ein sinnentstellender Fehler im englischen Zitat. - Resch folgt der neuerdings einreißenden Sprachmode, bewusst unvollständige Sätze zu schreiben. Mehrfach wird der Konjunktiv II verwendet, wo "sei" oder "habe" richtig wäre (z.B. 113). - Die Zitierweise der Sekundärliteratur ist unökonomisch.
Uwe Walter