Michael J. Halvorson: Heinrich Heshusius and Confessional Polemic in Early Lutheran Orthodoxy (= St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot: Ashgate 2010, xviii + 263 S., ISBN 978-0-7546-6470-3, GBP 60,00
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Das Buch behandelt einen lutherischen Theologen des konfessionellen Zeitalters, über den bislang noch keine Monografie, ja nicht einmal ein Aufsatz verfasst wurde: Heinrich Heshusius (1556-1597), nicht zu verwechseln mit dem bekannten, von der Forschung viel beachteten Tilemann Heshusius (1527-1588), seinem Vater. Halvorson war zufällig, bei bibliografischen Recherchen auf der Suche nach einem Promotionsthema, auf diese unbekannte Gestalt gestoßen, einen Repräsentanten des konfessionellen Luthertums aus der zweiten oder dritten Reihe, der aber immerhin promoviert war (Rostock) und es zum Superintendenten (Tonna 1591 und Hildesheim 1593) brachte.
Halvorson legt keine Biografie vor, sondern behandelt anhand von Heshusius zentrale Themen des konfessionellen Zeitalters: Katechismen und Katechismusunterricht, Katechismuspredigten, Leichen- und Hochzeitspredigten, konfessionelle Konflikte, Auseinandersetzungen der Protestanten mit den Katholiken und Gelehrtennetzwerke. Leider bietet das Inhaltsverzeichnis nur die sieben Hauptkapitelüberschriften und ist deswegen wenig aussagekräftig.
Bei der Behandlung der einzelnen Themenbereiche beschränkt sich Halvorson nicht darauf, die jeweiligen Beiträge von Heshusius vorzustellen, sondern integriert häufig überblicksartige chronologische Längsschritte, die bei Luthers Theologie ansetzen und innerhalb derer auch der Stand der Forschung referiert und diskutiert wird.
Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen über die Integration von Psalmen in die katechetische Arbeit, wohl eine Reaktion auf die Wertschätzung der Psalmen im Reformiertentum. Als Erster hatte das, schon 1568, Nikolaus Selnecker versucht. Heshusius schrieb und veröffentlichte 1593 für die von ihm gegründete Mädchenschule in Tonna eine "Einfeltige kurtze Anleitung, wie man die Psalmen Davids nach der Lehre des heiligen Catechismi lesen und auff ein jedes Stück des Catechismi in gemein und insonderheit gewissen psalmen lernen möge", die im Jahr darauf noch eine weitere Auflage erlebte. Die Nachwirkungen dieses Werks scheinen aber begrenzt geblieben zu sein. Interessant wäre es, einer Anregung Halvorsons folgend (117) einmal die konstruktiven Austauschprozesse und Wechselwirkungen zwischen Luthertum und Reformiertentum zu untersuchen.
1594 folgte eine 1850 Seiten zählende "Psalmocatechesis", die ebenfalls (1595) eine zweite Auflage erlebte. Es handelt sich um eine Sammlung von sechzig Katechismuspredigten, die ebenfalls konsequent die Psalmen in die Auslegung einbeziehen. Diese ist wie das ganze schriftstellerische Werk von Heshusius durchzogen von harter Polemik gegen Calvinisten, Jesuiten, Wiedertäufer und Juden.
Ein interessantes Detail am Rande ist die Feststellung Halvorsons, dass in Heshusius' Predigten immer noch Melanchthons Loci-Methode Anwendung findet (143).
Außerdem ist frömmigkeitsgeschichtlich aufschlussreich, wie Heshusius im Gespräch mit seiner Gemeinde mit dem Problem der ungetauft verstorbenen Kinder ringt (158 f.). Brisant in diesem Zusammenhang ist die von Halvorson nur nebenbei und in einem anderen Kontext mitgeteilte Information, dass Heshusius am 17. August 1593 das am Tag zuvor geborene Kind von Bürgermeister Joachim Brandis taufte (190). Die Tauffeier fand dann am 24. September statt. Die Not-, Jäh- oder Haustaufe direkt nach der Geburt war bis in das 18. Jahrhundert hinein die normale Form, wie im Luthertum getauft wurde, nicht - wie in den Kirchenordnungen eigentlich vorgesehen - die Taufe in der Kirche in der Gemeinde. Nichts bezeugt deutlicher die Ängste der Menschen vor dem Schicksal ungetauft verstorbener Kinder, die die lutherischen Theologen durch ihre Tauflehre nicht stillen konnten, ja durch das Festhalten am Taufexorzismus sogar noch schürten.
Halvorsons Untersuchungen zu Heshusius' Predigten sind insgesamt nur wenig ertragreich. Es ist nicht richtig, von einem "lack of comprehensive research on preaching in the age of Orthodoxy" (119) zu sprechen. Predigten, insbesondere Leichenpredigten wurden in den vergangenen Jahren, ja Jahrzehnten vergleichsweise intensiv erforscht und oftmals als Quellen herangezogen. Nicht diskutiert, geschweige denn gelöst werden aber auch von Halvorson mehrere mit der Auswertung von gedruckten Predigten zusammenhängende Grundsatzfragen: 1. Entsprachen die gedruckten Predigten denen, die gehalten wurden? 2. Sind die gedruckten Predigten eines Predigers repräsentativ für sein Predigen insgesamt? 3. Sind die Predigten des promovierten Superintendenten repräsentativ für das Predigen im konfessionellen Zeitalter im Allgemeinen?
Ich bin der Auffassung, dass die uns gedruckt überkommenen Predigten kaum Einblicke geben in das tatsächliche Predigtgeschehen in den normalen, alltäglichen Gottesdiensten, sondern als literarische Produkte anzusehen sind, mit denen sich der Prediger in der gelehrten Welt bekannt machen möchte oder - bei Kasualpredigten - die betroffene Familie ehren und wohlwollend stimmen möchte.
Interessant sind die von Halvorson vermittelten Einblicke in die konfessionellen Konflikte in Hildesheim, wo in einer Bischofsstadt mit einer evangelischen Bevölkerung eine kleine katholische Minderheit, darunter auch Jesuiten, lebten. Heshusius polemisierte heftig gegen diese Minderheit, beschimpfte die Jesuiten als "Esauiter" und versuchte ihre Vertreibung zu erreichen, scheiterte jedoch am Kaiser.
Noch heftiger als gegen die Katholiken agitierte Heshusius gegen die in der Stadt lebenden Juden, dreizehn Familien, und forderte deren Vertreibung. In diesem Zusammenhang berief er sich ausdrücklich auf Luthers antijüdische Schriften und zitierte sie. Das ist ein nicht unwichtiges Detail, da eine apologetisch gestimmte Lutherforschung bis in die Gegenwart immer wieder neu behauptet, Luthers Judenschriften seien im konfessionellen Zeitalter nicht rezipiert worden.
Ein weiteres interessantes, einen Einblick in das jüdische Familienleben der Zeit gebendes Detail ist die Information, dass es in Hildesheim zwei Fälle einer Leviratsehe nach Dtn 25 gab, wobei allerdings nicht, wie eigentlich gedacht, ein Mann die Frau seines verstorbenen Bruders heiratete, sondern entgegen der Tradition ein Mann die Schwester seiner verstorbenen Frau. Heshusius erhob den Vorwurf der Blutschande. Mit seiner Vertreibungsforderung hatte er Erfolg, aber nicht dauerhaft. 1601 wurden elf jüdische Familien wieder zugelassen, durften aber keine Synagogen und Schulen mehr bauen.
Ausführlich schildert Halvorson die Taufe eines Juden im Jahre 1595, den Heshusius vorher im christlichen Glauben unterwiesen hatte. Die Taufe fand öffentlich im Freien statt und erregte großes Aufsehen. Spektakulär war diese Taufe auch deswegen, weil ihr gleich im Anschluss die Hinrichtung des Mannes folgte, der kurz vor seiner Taufe eines Diebstahls überführt worden war.
Dramatisch waren dann auch die Ereignisse des Jahres 1597. Heshusius und seine ganze Familie - Ehefrau und vier Kinder - starben innerhalb weniger Wochen an der Pest.
Das Buch ist ausgesprochen interessant und gut zu lesen und vermittelt manche interessante Einblicke in das konfessionelle Zeitalter und in die Ortsgeschichte Hildesheims, gibt auch einige Impulse für weiterführende Forschungen, bietet aber kaum wirklich neue, erhellende Beiträge zur Erforschung der Epoche. Der Band ist sorgfältig gestaltet und mit umfassenden Registern ausgestattet. Das umfangreiche, noch das Jahr 2009 einbeziehende Literaturverzeichnis weist jedoch nicht alle für die behandelten Thematiken relevanten Titel aus.
Martin H. Jung