Edith Foster: Thucydides, Pericles, and Periclean Imperialism, Cambridge: Cambridge University Press 2010, X + 243 S., ISBN 978-0-521-19266-8, USD 85,00
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Die Verfasserin konfrontiert die außenpolitischen Vorstellungen des Perikles und des Thukydides, indem sie zu zeigen sucht, dass Perikles Repräsentant einer aggressiven Machtpolitik gewesen sei, während Thukydides hierin eine oft unproduktive oder sogar kontraproduktive Zielsetzung gesehen und dies in den von ihm stilisierten Reden des Perikles klar zum Ausdruck gebracht habe. Gleich zu Beginn ihrer Einleitung bezeichnet sie die Methoden und Ziele der Außenpolitik des Perikles als "intransigent imperialism" (1), ohne diese Beurteilung eindeutig zu definieren. Der Imperialismusbegriff ist freilich in der heutigen Bedeutung eine Prägung des späten 19. Jahrhunderts zur Bezeichnung der Kolonialpolitik mehrerer europäischer Staaten. Der Terminus kann nicht einfach auf die Zeit des Perikles übertragen werden. Daher führen die Analysen der Verfasserin mehrfach zu Missverständnissen. Frau Fosters Thematik ist nicht der historische, sondern der thukydideische Perikles. Es stellt sich aber sofort die Frage, ob und inwieweit in diesem Punkt eine Differenzierung möglich ist.
In den ersten Kapiteln interpretiert die Verfasserin Thukydides' Skizze der griechischen Geschichte bis zur Eskalation der Spannungen vor Beginn des Peloponnesischen Krieges. Sie versteht diesen Überblick nicht als Glorifizierung griechischer Erfolge: Athen und Sparta hätten zwar bei der Abwehr der Perser kooperativ agiert, durch ihre Siege aber auch größere Macht gewonnen und ihr militärisches Potential verstärkt, so dass diese Entwicklung die Machtpolitik des Perikles ermöglicht und letztlich zum Peloponnesischen Krieg geführt habe. Sie verweist dazu auf die Krisenherde der dreißiger Jahre des 5. Jahrhunderts v.Chr. und wertet Athens Akmé in der Pentekontaëtie als Gefahr für andere Poleis. Als bekannte Beispiele erörtert sie die gescheiterten Erhebungen der Naxier, Thasier und Samier. Im Urteil des Thukydides sei Perikles ebenso wie seine Vorgänger in der Führung Athens für die "imperialistische Politik" ihrer Polis verantwortlich. Themistokles habe bereits die Grundlagen für diesen Kurs geschaffen (97-105), während Perikles schließlich die demokratische Kultur im Athen seiner Zeit mit "imperial ideas" verbunden habe.
Die Verfasserin verwendet den Imperialismusbegriff aber auch in einem sehr weiten Sinne. In der Interpretation der von Thukydides (1,68-71) stilisierten Rede der Korinther in Sparta geht sie davon aus (83), dass den Spartanern der Vorwurf gemacht wurde, "imperialistische Politik" zu vermeiden, weil sie fälschlich glaubten, dass diejenigen die längste Friedenszeit haben, die ihre militärische Macht nicht missbrauchen, aber auch nicht gewillt sind zu handeln, wenn sie provoziert werden. Frau Foster versteht diese Thukydidesstelle (1,71,1) als indirekte Kritik an der Politik der Athener, die stets auf Erweiterung ihres Einflussbereichs bedacht gewesen seien.
Ein Problem ist für Frau Foster indes die Charakterisierung des Perikles durch E. F. Bloedow (The Implications of a Major Contradiction in Pericles' Career, Hermes 128, 2000, 295-309), der im überlieferten Bild des Perikles einen Widerspruch erkennen will, weil der "erste Mann" Athens in der Überlieferung einerseits als "radical imperialist", andererseits aber als sorgfältig abwägender "Konservativer" dargestellt worden sei und demnach nicht beide Wertungen der Realität entsprechen könnten. Frau Foster ist hingegen überzeugt, dass beide "Elemente" im Porträt des Perikles zu erkennen seien (187). Aus den Reden des Perikles im Werk des Thukydides kann indes nicht ohne weiteres ein Gesamtbild der Gedankenwelt des athenischen Staatsmannes erschlossen werden. Thukydides hat in seinem Methodenkapitel (1,22) verdeutlicht, dass er die politischen Akteure so reden lässt, wie sie eigentlich hätten sprechen müssen, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten. Andererseits betont die Verfasserin, dass Thukydides (2,65) in seiner abschließenden Würdigung des Perikles nicht erkennen lässt, ob er den "perikleischen Imperialismus" für richtig gehalten hat (218). Nach ihrer Auffassung hat Thukydides aber generell das athenische Reich ("empire") weder gerechtfertigt noch Trauer über das Ende der athenischen "Herrschaft" 404 v.Chr. bekundet.
Geradezu ein Kontrastbild zu den von ihr vermuteten Vorstellungen des Thukydides zeichnet sie in der Zusammenfassung ihrer Beurteilung des Perikles, den sie nicht nur als "glühenden Imperialisten", sondern auch als talentierten "leader" sehen möchte (216f.). In dieser Gegenüberstellung scheinen die Konturen der von der Verfasserin postulierten "Figuren" des historischen und des thukydideischen Perikles zu verschwimmen.
Die Prämisse ihrer These ist ihre schon erwähnte "Imperialismus-Theorie". Mit der Gründung des Seebundes, die eine Folge der großen persischen Invasion 480/79 v.Chr. war, übernahmen die Athener aber auch eine Schutzfunktion für die Sicherheit ihrer Symmachoi. Sie konnten jedoch keine ungehemmte Ausbeutung ihrer Bundesgenossen anstreben, weil sie in diesem Fall bald an die strukturbedingten Grenzen ihrer Macht gestoßen wären. Erhebungen in Seebundpoleis haben die Athener bekämpft, um eine Erosion ihrer Symmachie zu verhindern.
Gleichwohl war ihr Bund kein "empire". Die Verfasserin hat diesen Aspekt nicht hinreichend akzentuiert. Dies ist bedauerlich, da sie insgesamt gesehen in der Lage ist, auf wissenschaftlich hohem Niveau zu argumentieren.
Karl-Wilhelm Welwei