Rezension über:

Cecilia Winterhalter: Raccontare e Inventare. Storia, memoria e trasmissione storica della Resistenza armata in Italia, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, X + 346 S., ISBN 978-3-0343-0091-9, EUR 61,40
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Rezension von:
Silvano Longhi
München
Empfohlene Zitierweise:
Silvano Longhi: Rezension von: Cecilia Winterhalter: Raccontare e Inventare. Storia, memoria e trasmissione storica della Resistenza armata in Italia, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/18272.html


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Cecilia Winterhalter: Raccontare e Inventare

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Nachdem Italien am 8. September 1943 aus dem 'Achsen'-Bündnis ausgeschieden war, wurden große Teile des Landes von den Streitkräften des 'Dritten Reiches' besetzt. Die deutsche Besetzung und vor allem die brutale Besatzungsherrschaft riefen rasch eine bewaffnete Widerstandbewegung auf den Plan, wobei die italienischen Partisanen nicht nur einen Befreiungskrieg gegen die Deutschen, sondern auch einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Faschisten von Mussolinis letztem Aufgebot führten. Die Resistenza wuchs schnell zu einer der bedeutendsten Widerstandsbewegungen Europas an, mit rund 9000 Partisanen im Winter 1943/44 und mehr als 200.000 in den letzten Monaten des Krieges. Der bewaffnete Kampf gegen den 'Nazifaschismus' erleichterte 1945 den politischen Neubeginn und verbesserte Italiens Image in den Augen der Alliierten. Ganz allgemein war die antifaschistische Erbschaft aus den Tagen der Resistenza von großer Bedeutung beim Aufbau der neuen Republik.

Viele der Bücher über den Widerstand konzentrieren sich auf die Mikroebene; umfassende Darstellungen liegen dagegen nur wenige vor. Unter den bedeutendsten Werken ist die Storia della Resistenza italiana von Roberto Battaglia (1953) zu erwähnen. Mehr als zwanzig Jahre später erschien mit Guido Quazzas Resistenza e Storia d'Italia eine politische Geschichte der Widerstandsbewegung. Claudio Pavone deutete den bewaffneten Kampf der Jahre 1943 bis 1945 in seinem 1991 veröffentlichten Standardwerk Una guerra civile [1] auch als Bürgerkrieg - und löste damit eine kontroverse Debatte aus, weil er die Faschisten als Teil eines komplexen Kriegsgeschehens ernst nahm und nicht - wie lange Zeit üblich - marginalisierte.

Dass die Debatte über die Resistenza und ihre politische Bedeutung für das neue Italien auch nach mehr als 60 Jahren nicht abgeschlossen ist, zeigt das hier besprochene Buch von Cecilia Winterhalter. Mit ihrer Untersuchung will die Autorin - so das Vorwort - alternative Interpretationen liefern, geläufige Bewertungen zur Diskussion stellen und neue Hypothesen aufstellen. Zu diesem Zweck werden die Quellen neu befragt und bereits reichlich behandelte Themen vernachlässigt. Dagegen lenkt Winterhalter die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte wie psychologische Komponenten, Typologien und Stereotypen. Am Ende steht eine Studie über Geschichte und kollektives Gedächtnis, über die Fakten selbst, wie sie geschehen sind, erzählt, erinnert oder vergessen werden.

Das erste Kapitel ist eher theoretischer Natur. Der Begriff Resistenza sei mit den Jahren abstrakt geworden und werde von Zeit zu Zeit, je nach Bedürfnis, anders definiert, ja sogar mythisiert. Damit habe sich die Erinnerung an die Resistenza aber mehr und mehr entleert. Die Autorin analysiert die verschiedenen Phasen dieses Prozesses von 1945 bis in die Ära Berlusconi.

Im zweiten Kapitel werden zwei populärwissenschaftliche historische Zeitschriften (Storia Illustrata und Storia e Dossier) in den Blick genommen. Zwischen 1958 und 1994 waren nur 188 Artikel der Resistenza gewidmet, das heißt: Die Widerstandsbewegung stand nicht im Mittelpunkt des Interesses; der Faschismus, der Krieg und der Nationalsozialismus waren anscheinend zugkräftiger. In den Erzählungen über die Resistenza lassen sich - zeit- und kontextgebunden - verschiedene Topoi wie Volksaufstand, militärische Macht oder Bürgerkrieg finden. Zwischen 1955 und 1965 wurde die Resistenza beispielsweise überwiegend als Volksbewegung gezeichnet, während der Kampf der Resistenza in den Jahren seit 1985 vor allem als Kampf einer heroischen Elite in einem Bürgerkrieg dargestellt wurde.

Im nächsten Kapitel untersucht die Autorin Hunderte Photographien, die Partisanen zeigen; etwa die Hälfte dieser Bilder wurde von Alliierten aufgenommen, 30 Prozent von Partisanen selbst und der Rest von deutschen Propagandakompanien. Auch hier macht Winterhalter die gängigsten Topoi aus: Die für Propagandazwecke gemachten Bilder von deutscher Seite zeigen überwiegend Verhaftungen, Hinrichtungen und zur Schau gestellte Leichen getöteter Partisanen. Der Widerstandskämpfer wird als besiegt gezeigt, was folglich die Deutschen als Sieger erscheinen lässt. Die Alliierten stellten dagegen zunächst ihre Hilfe für die Partisanen (etwa den Abwurf von Waffen und sonstigem Material) oder die Übergabe der von Partisanen gefangengenommenen Deutschen in den Vordergrund. Insgesamt wird zwar das Bild einer starken Resistenza entworfen, aber vor allem ihre Abhängigkeit von den Alliierten betont. Die Partisanen wurden so porträtiert, wie die Alliierten sie sich wünschten.

Einige der von Partisanen selbst geschossenen Bilder zeigen Szenen ohne Pathos, andere wirken konstruiert. Meist aber sahen sich die Widerstandskämpfer als Zivilisten in Waffen: Lächelnde, bewaffnete Männer auf einem verschneiten Berg, zerstörte Brücken, Eisenbahnen, Gefangennahme von Faschisten, aber nie eine Hinrichtung. Manchmal sieht man auch unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder, was auf einen Krieg des Volkes, einen gerechten Krieg, hindeutet. Es findet sich kein einziges Einzelporträt. Gerade die konstruierten Bilder haben das Gedächtnis der Öffentlichkeit geprägt, während die 'authentischen' das übernommene Image nicht mehr verändern konnten.

Die Haltung der Alliierten zur Resistenza wurde von Winterhalter aus Dokumenten rekonstruiert. Insgesamt war das Urteil der Alliierten über die Resistenza positiv. Nichtsdestotrotz vertraten die Alliierten nach dem Krieg die Auffassung, dass der militärische Beitrag der Resistenza zweitrangig gewesen sei; entscheidend für ihren Erfolg sei die Unterstützung durch die Alliierten gewesen.

Die von Winterhalter ausgewerteten Quellen der Wehrmacht zeigen die Resistenza als Gefahr für die deutsche Kriegführung. In der Tat beeinflusste die Tätigkeit der Widerstandskämpfer die Lage der Deutschen in Italien erheblich und machte vor allem das Gebiet hinter der Front unsicher. Die deutschen Kommandeure bemängelten in ihren Berichten die unzureichende Truppenstärke, so dass trotz drakonischer Maßnahmen, auch gegen die Zivilbevölkerung, die Partisanen nicht bezwungen werden konnten. Anders drückten sich die deutschen Oberbefehlshaber nach Kriegsende aus: Nur die Hilfe der Alliierten habe den Partisanen einige Erfolge erlaubt. Außerdem konnte die Autorin feststellen, dass die deutsche Berichterstattung nicht immer korrekt war. Getötete Zivilpersonen wurden als Partisanen deklariert, und man schrieb über Sabotageaktionen, die nicht stattgefunden hatten. Derartige tendenziöse oder gar falsche Angaben dienten dazu, deutsche Misserfolge zu verschleiern. Nach dem Krieg versuchten die deutschen Kommandeure, die Schuld an den vielen Massakern an der Zivilbevölkerung den Partisanen in die Schuhe zu schieben: Es sei legitim gewesen, auf die Partisanenangriffe mit Repressalien zu reagieren. Und auch wenn der verbrecherische Charakter dieser Repressalien vielfach bewiesen ist, etablierte sich - so Winterhalter - die deutsche Version der Erzählung: Massaker würden seitdem in einen engen Zusammenhang mit dem Widerstandskampf gestellt. Außerdem habe die Historiographie vielfach nicht von den Misserfolgen der Deutschen im Kampf gegen die Partisanen berichtet, ja sie habe die Partisanen nicht als glaubhafte Zeugen angesehen und eher den deutschen Aussagen vertraut.

Zusammenfassend hält Winterhalter fest, dass die Erzählungen oft nicht wiedergäben, was tatsächlich geschehen sei, und stark von politischen Überzeugungen oder vorgefassten Meinungen geprägt seien. Insbesondere Stereotype seien schwer zu überwinden, selbst wenn sie wiederholt als haltlos entlarvt würden. Vorurteile erzeugten Irrtümer in der Wahrnehmung, und auch wenn die Quellen das Gegenteil bewiesen, würde am häufigsten die Version der Geschichte weitergegeben, die den eigenen Vorurteilen entspreche. Diese Ergebnisse sind nicht spektakulär; nichtsdestotrotz ist Cecilia Winterhalters Buch solide gearbeitet und lesenswert.


Anmerkung:

[1] Claudio Pavone: Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità della Resistenza, Turin 1991.

Silvano Longhi