Simon Hornblower: A Commentary on Thucydides. Volume III: Books 5.25-8.109, Oxford: Oxford University Press 2008, xix + 1107 S., ISBN 978-0-19-927648-6, GBP 170,00
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Mit der Publikation des hier anzuzeigenden dritten Bandes liegt Simon Hornblowers Thukydides-Kommentar nunmehr vollständig vor. [1] Dem Verfasser, einem ausgewiesenen Kenner der griechischen Geschichte des 5. Jahrhunderts v. Chr. sowie insbesondere des Geschichtswerks des Thukydides [2], ist ein Meisterwerk gelungen. Sein Kommentar wird in Zukunft mindestens gleichwertig neben den älteren Gesamtkommentar von A. W. Gomme, A. Andrewes und K. J. Dover treten [3] und auch den vorwiegend philologisch ausgerichteten "Classen/Steup" sinnvoll ergänzen. [4] Auf rund 1100 Seiten erschließt der Band den zweiten Teil des thukydideischen Geschichtswerks (5,25-8,109), den Hornblower, wie er gleich zu Beginn der Einleitung deutlich macht, als kohärente Einheit auffasst (1). Damit ist bereits die thukydideische Frage angeschnitten, d.h. die komplizierte Debatte über die Entstehung des Geschichtswerks, die Herausarbeitung einzelner Bearbeitungsschichten sowie deren zeitlicher Ansetzung. Hornblower mahnt mit gutem Grund eine vertiefte Beschäftigung mit dieser Grundfrage aller Thukydides-Forschung an, auch wenn sie in den letzten Jahren ein wenig aus der Mode gekommen sei ("unfashionable") und bezieht selbst im Streit zwischen Unitariern und Analytikern eine gemäßigte Mittelposition: Das Geschichtswerk des Thukydides könne sicherlich nicht als ein weitgehend unbearbeiteter und vielfach unzusammenhängender Torso angesehen werden (so die analytische Extremposition), sei aber auch nicht "the product of one sitting, or even of a few months of concentrated work", sondern resultiere aus "a labour of years" (3).
Die Einleitung beschränkt sich ansonsten auf zentrale Forschungsprobleme im Zusammenhang mit den Büchern 5-8, insbesondere mit Blick auf die Sizilische Expedition der Athener (415-413 v. Chr.), die im Mittelpunkt der Bücher 6-7 steht. Hornblower ordnet dieses Unternehmen behutsam in die Geschichte des 6.-4. Jahrhunderts ein und kann aufzeigen, dass es keineswegs als erratische Fehlkalkulation angesehen werden dürfe; vielmehr zeichne sich sowohl für Sparta als auch für Athen schon seit dem späten 6. Jahrhundert ein erkennbares Interesse an der Mittelmeerinsel ab. Folgerichtig warnt er davor, der suggestiven Darstellung des Thukydides zu erliegen und den Aufbruch nach Sizilien als irrationale und unüberlegte Entscheidung einer aufgeheizten, aber die tatsächlichen Anforderungen an das Unternehmen verkennenden Volksversammlung zu werten (6-11). Vielmehr sei in Rechnung zu stellen, dass der Historiograph die Sizilische Expedition gezielt literarisch stilisiert habe, u.a. durch Allusionen an den Untergang Troias (11), und betont die geradezu opernhafte Theatralik der thukydideischen Darstellung (11f.). Man hätte hier noch weitergehen können und auf die engen Bezüge zwischen dem Aufbau der Sizilischen Expedition im Geschichtswerk und zeitgenössischen Tragödien verweisen können.
Der Hauptteil des Buches - der Kommentar im engeren Sinne - folgt dem bewährten Muster der beiden ersten Bände. Hornblower versteht sein Opus als umfassenden Gesamtkommentar und weist darauf hin, dass er bewusst auf den einengenden Zusatz 'historical' im Titel verzichtet habe (V). In der Tat spielen genuin philologische Aspekte, aber auch Erkenntnisse, die auf neueren literaturwissenschaftlichen Ansätzen beruhen, eine zentrale Rolle bei der Kommentierung des Textes. Auch historische Fragestellungen werden immer wieder mittels literaturwissenschaftlicher Zugriffe behandelt.
Durch die Zusammenfassung einzelner Kapitel zu übergreifenden Sinneinheiten erfolgt jeweils eine erste Strukturierung des Textmaterials; kurze, präzise Einführungstexte diskutieren knapp die wesentlichen Forschungsprobleme und verweisen auf grundlegende Literatur (generell zeichnet eine umfassende Einbeziehung und Einordnung der mittlerweile unübersichtlichen Thukydides-Literatur den Kommentar aus). Es folgen die Detailkommentare zu den einzelnen Textpassagen (die jeweils im Original zitiert werden), mitunter finden sich auch noch untergeordnete Einleitungen zu einzelnen Kapiteln oder Kapitelgruppen, wie z.B. zum so genannten 2. Proömium (Thuk. 5,26) (vgl. 44f.). Die Leserleitung und Benutzerfreundlichkeit ist vorbildlich.
Es ist vor allem der starke Forschungsbezug (vgl. etwa zum Melierdialog, 218f.), der Hornblowers Thukydides-Kommentar auf Jahre hin zu einem unverzichtbaren Arbeitsinstrument machen wird. Man wird aktuell an keinem anderen Ort den status quaestionis zu einzelnen Detailfragen ebenso wie zu den großen Debatten der Thukydides-Forschung derart minutiös und wohlgegliedert aufgearbeitet finden. Für die Erarbeitung dieses monumentalen Werkes gebührt dem Verfasser höchste Anerkennung.
Anmerkungen:
[1] Die beiden ersten Bände: Simon Hornblower: A Commentary on Thucydides, Vol. I: Books I-III, Oxford 1991 (ND 1997); ders.: A Commentary on Thucydides, Vol. II: Books IV-V.24, Oxford 1996 (ND 2004).
[2] Vgl. etwa Simon Hornblower: The Greek World 479-323 BC, London u.a. 1983, 21991; ders., Thucydides, London 1987; ders., Greek Historiography, Oxford 1994; ders.: Thucydides and Pindar: Historical Narrative and the World of Epinikian Poetry, Oxford 2004 (ND 2006); ders.: Thucydidean Themes, Oxford 2011.
[3] A. W. Gomme/A. Andrewes/K. J. Dover: A Historical Commentary on Thucydides, 5 Bde., Oxford 1945-1981
[4] Thukydides. Erklärt von J. Classen, bearbeitet von J. Steup, Berlin 3-51892-1922.
Mischa Meier