Rezension über:

Julia Galandi-Pascual: Zur Konstruktion amerikanischer Landschaft. Kuratorische und künstlerische Strategien der Fotoausstellung, Freiburg: modo Verlag 2010, 228 S., 24 Farbabb., ISBN 978-3-86833-041-0, EUR 32,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Christoph Schaden
Georg-Simon-Ohm-Hochschule für angewandte Wissenschaften - Fachhochschule Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Stefan Gronert
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Schaden: Rezension von: Julia Galandi-Pascual: Zur Konstruktion amerikanischer Landschaft. Kuratorische und künstlerische Strategien der Fotoausstellung, Freiburg: modo Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/04/19185.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Julia Galandi-Pascual: Zur Konstruktion amerikanischer Landschaft

Textgröße: A A A

Unter den tradierten Präsentationsformen des Bildes ist in jüngerer Zeit die Ausstellung wieder verstärkt in den Blickpunkt fotohistorischer Betrachtungen gerückt. Dabei ist insbesondere ein gesteigertes Interesse an der US-amerikanischen Fotografie der 1970er-Jahre festzustellen, deren Einflüsse im Schnittpunkt von konzeptuellen, soziologischen und medientheoretischen Fragestellungen auch für die zeitgenössischen Fotokünste diskutiert wird. Beispielhaft kann man auf eine jüngst erschienene Untersuchung des Schweizer Fotohistorikers Olivier Lugon verweisen, der sich in einer Analyse der Schau Signs of Life widmet [1], die 1976 im Auftrag der Smithsonian Institution in Washington D.C. realisiert wurde, oder auch auf das Ausstellungsprojekt New Topographics. Photographs of a Man-altered Landscape.

Hierbei handelt es sich um die umfassende Rekonstruktion einer Gruppenausstellung, welche 1975 im George Eastman-House in Rochester (New York) gezeigt wurde und mit einem gewissen Zeitverzug weltweite Beachtung erfahren hat. Zweifellos lag der legendäre Ruhm der damaligen Schau in dem Faktum begründet, dass ein Großteil der an der Schau beteiligten Fotografen, zu denen u.a. Robert Adams, Lewis Baltz, Bernd und Hilla Becher und Stephen Shore zählten, in der Kunstwelt reüssieren konnte und infolge für jüngere Fotografengenerationen mitunter stilbildend wurde. Eine zeitgemäße Rekonstruktion der New Topographics bedient daher nicht nur das Bedürfnis, eine Erfolgsgeschichte der Fotografie nachzuzeichnen. Sie ist auch von wissenschaftlicher Relevanz, zumal die US-amerikanische Kuratorin Britt Salvesen im flankierenden Katalog zur Ausstellung akribisch jene zahlreichen Entstehungs- und Entwicklungsgrößen offenlegen konnte, die die epochale Bedeutung der Schau zementierten. [2] Jüngst versuchte ein deutschsprachiger Buchappendix, den Fokus auf die transatlantische Rezeption in Europa nochmals zu erweitern. [3]

Man mag also meinen, dass mit den jüngsten Buchveröffentlichungen das Phänomen der "New Topographics" erschöpfend begründet und analysiert sei. Erstaunlicherweise hat die Kunsthistorikerin Julia Galandi-Pascual parallel zur rekonstruierenden Ausstellung, die dieses Jahr durch mehrere europäische Städte tourt, noch einen weiteren Zugang zum Zeitphänomen der New Topographics eröffnet. In ihrer Dissertation, die 2009 an der Universität Oldenburg abgeschlossen wurde und mit Hilfe des Freiburger modo Verlags nun in leicht gekürzter Fassung vorliegt, greift die Autorin abermals die Frage auf, worauf der Ruhm der Ausstellung im Kern eigentlich zurückzuführen sei. In Abhebung zu Salvesens Analyse, die durchweg quellenhistorisch geleitet ist, lenkt Galandi-Pascual ihren Fokus aber mit größerer Distanz auf die kulturhistorischen Folien, die die These der Ausstellung damals zu untermauern halfen. Wie im Subtitel der Arbeit schon vermerkt, steht vor allem die Konstruktion der amerikanischen Landschaft im Vordergrund.

Der Band untersucht in seinem ersten Teil die strategische Definition, die der Auffassung einer "neuen dokumentarischen Landschaftsfotografie" zugrunde liegt, in Form einer Textanalyse. Als Quelle dient der einleitende Text, den der verantwortliche Kurator Williams Jenkins für den Katalog der Ausstellung seinerzeit beisteuerte. Im Rückblick ist ein solch analytischer Diskurs vor allem bereichernd hinsichtlich der Begriffsklärung. Angeführte Schlagwörter wie etwa "stylless style" und "no style" werden in ihrer Ambivalenz beleuchtet und in die verschiedenen Sprach- und Bildmilieus zurückverankert. Der Hauptteil des Bandes widmet sich dann vertiefend den verschiedenen Hintergründen, die den bildhaften Auffassungen der amerikanischen Kulturlandschaft im 20. Jahrhundert zugrunde liegen. "Daraus [...] resultiert eine Vielzahl von relevanten Bedeutungen, die bei einer Betrachtung mitschwingen und berücksichtigt werden müssen", so Galandi-Pascual.

Es verwundert in diesem Zusammenhang kaum, dass die vorliegende Forschungsarbeit den legendären Mythos-Begriff von Roland Barthes verwendet und somit ihren methodischen Kern in einer tradierten semiologischen Konstruktion findet, die bereits ein halbes Jahrhundert alt ist. Schließlich widmete sich Barthes in seinen 1957 erschienenen "Mythologies" bereits Themen, die sowohl die US-amerikanische Identität berührten als auch das Medium Fotografie und den Repräsentationsmodus der Ausstellung. Dass sein methodischer Ansatz, der den Fokus vom "Was" auf das "Wie" lenkt, heute noch greift, belegt die Arbeit von Galandi-Pascual nachdrücklich. Unter dem Titel "Die Spur der Ahnen" zeichnet sie eine spezifisch amerikanische Tradition der dokumentarischen Fotografie nach, welche zunehmend als Nationalstil proklamiert wurde und für die Protagonisten der "Straight Photography" maßgeblich werden sollte. Ein zweites Kapitel widmet sich unter amerikanischen Vorzeichen dem Landschaftsbegriff, einem Konstrukt, das in seiner historischen Genese und unter Berücksichtigung malerischer Bildtraditionen auf den Aneignungsmodus der "Frontier" hin diskutiert wird. Aus der Erschließung des Westens resultierten bekanntlich kollektive Rezeptionsmuster, die im Spannungsfeld von Mensch und Natur bis heute von Widersprüchlichkeiten geprägt sind. Zuletzt reiht die Autorin unter dem Titel "Lange Schatten" die Protagonisten der New Topographics dann auch in eine nationale "View Tradition" ein. In ihrem Resümee wertet sie die Fotoausstellung als "eine weitere topografische Vermessung der amerikanischen Landschaft."

Resümierend bleibt festzustellen, dass Julia Galandi-Pascual in ihrer sprachlich präzisen und argumentativ durchaus schlüssigen Arbeit, die eine transatlantische kulturhistorische Perspektive bereithält, eine zwar nicht überraschende, aber doch gewichtige Facette zum Phänomen der New Topographics hinzufügt. Ungeklärt bleibt allerdings die Frage, warum ausgerechnet diese Ausstellung so viele deutsche Fotografen inspiriert konnte. Innerhalb der jüngeren Kunst- und Fotogeschichte markiert das Forschungsfeld der Rezeptionshistorie weiterhin ein schwieriges Terrain.


Anmerkungen:

[1] Olivier Lugon: Before the Tableau Form: Large Photographic Formats in the Exhibition Signs of Life, 1976, etudes photographique, No. 25, Mai 2010, 6-41.

[2] Britt Salvesen: New Topographics, Texte von Britt Salvesen und Alison Nordström, Göttingen 2009.

[3] New Topographics. Texte und Rezeption, hg. von der Landesgalerie am Oberösterreichischen Landesmuseum Linz und der Photographischen Sammlung der SK-Stiftung Köln, Linz 2011.

Christoph Schaden