David Engels / Carla Nicolaye (Hgg.): Ille operum custos. Kulturgeschichtliche Beiträge zur antiken Bienensymbolik und ihrer Rezeption (= SPUDASMATA. Studien zur Klassischen Philologie und ihren Grenzgebieten; Bd. 118), Hildesheim: Olms 2008, 318 S., ISBN 978-3-487-13606-6, EUR 44,80
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Fleiß, Stachel, Ordnungsliebe - so reich an Assoziationen heutzutage das Kulturtier "Biene" ist, so polyvalent war dessen Deutung bereits in früheren Zeiten, namentlich der Antike, in der sich trotz mangelbehafteter biologischer Kenntnisse bspw. um das Geschlecht der Biene die wesentlichen Facetten der Bienensymbolik ausprägten und ihre (Nach-)wirkung entfalten konnten. Nun ist es keineswegs so, dass die Biene als kulturgeschichtliches Phänomen von der altertumswissenschaftlichen Forschung bislang unentdeckt geblieben wäre - geradezu offensichtlich und prominent ist ihr Auftreten an entsprechenden Schlüsselstellen der antiken Literatur. Jedoch fehlte bislang eine übergreifende Schau über die Antike sowie darüber hinaus in die Rezeptionsgeschichte.
Insofern ist der als universitätsinternes Forschungsprojekt an der RWTH Aachen sowie gleichzeitig als Ehrengabe für den ehemaligen Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte, Raban von Haehling, entstandene Sammelband zur antiken Bienensymbolik und ihrer Rezeption zunächst einmal lobenswert. Der Band, dem eine anekdotenhafte Einleitung über den Entstehungskontext des Forschungsprojektes mit eingebetteter Ehrenbekundung an Raban von Haehling und Schriftenschau vorangestellt ist (9-18), versammelt denn 14 recht unterschiedlich angelegte Beiträge, aufgegliedert in acht Aufsätze zur "Biene in der alten Welt" sowie sechs Ausblicke auf die Rezeptionsgeschichte, in chronologischer Folge vom antiken Mesopotamien bis hin zum Spanien der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Versammlung von Beiträgen höchst unterschiedlicher Disziplinen mit einem jeweils unterschiedlichen Bezugsgrad zum Rahmenthema - von der Klassischen Philologie über die Patristik und die Mediaevistik bis hin zur Anglistik, Hispanistik und letztlich sogar zur Psychoanalyse - lässt dabei insgesamt keine klare Konzeption des Bandes erkennen, sondern spiegelt in gewissem Sinne die freie Assoziation wider, welcher der Band auch seine Entstehung verdankt.
Im ersten Beitrag zur Bienensymbolik im Vorderen Orient (21-39) gibt David Engels einen Überblick über die Deutungs- und Interpretationsansätze der Biene in den frühen Hochkulturen. Seine sorgsam aus den auch orientalischsprachigen Quellen gestützte Skizze zur mesopotamischen, ägyptischen, israelitischen wie auch islamischen Bewertung der Biene zeigt die grundsätzlich auch im klassischen Altertum aufscheinenden Topoi wie der Vergleich von Menschen- und Bienenstaat oder der Symbolgehalt als leben- wie todbringendes Geschöpf auf. Sie weist jedoch auch auf die "orientalischen" Besonderheiten der semiotischen Interpretation aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen über Gesellschaftsstruktur oder Religion im Vergleich zur griechisch-römischen Welt hin.
Anschließend liefert Sabrina Herren Einblicke in die Verwendung der Bienen in der antiken Mythologie (40-59). Dabei zeigt sie an der Geburtssage von Zeus auf Kreta zunächst die Symbolik der lebensspendenden Kraft der Bienen, die sich dann auf Mutter- und Vegetationsgottheiten wie Demeter, Persephone und Artemis übertragen habe. Ebenso arbeitet sie das Bienenprodukt Honig als zentralen Mittler zwischen Mythos und kultischem Ritus heraus, der zur Benennung von Priesterinnen verschiedenster Gottheiten als "Bienen" geführt habe. Den Übergang von der Lebens- zur Todes- sowie zur Seelensymbolik der Biene unterstreicht sie in einem dritten Schritt an den Bugonievorstellungen sowie dem Glaucos-Mythos.
Thomas Bounas beleuchtet sodann die Biene in der griechischen Dichtung (60-81). Die Ambivalenz der Deutungsmöglichkeiten zwischen Gut und Böse belegt er an verschiedenen Etappen - von der aggressiv-bedrohlichen Deutung bei Homer über die bei Hesiod geborene und späterhin reich ausdifferenzierte Fleißsymbolik bis hin zur Schmerz wie süßen Liebreiz in sich vereinenden Eros-Ausdeutung bei Sappho und hellenistischen Dichtern.
Auf die durchweg negative Konnotation der Biene als monarchisch-unheilbringendes Tier im republikanischen Vorzeichenwesen weisen darauf Kathrin Frantz und David Engels, letzterer aus seiner umfangreichen Dissertation zu den Prodigien schöpfend, hin (82-94). Der Umschwung zur positiven Deutung des monarchisch geprägten Bienenstaates im beginnenden Prinzipat ist dann Gegenstand der summarischen Betrachtung von Thomas Olbertz zu "Apis in der klassisch römischen Literatur" (95-113). Eine bewusst gesetzte, intentionale Verwendung der Bienensymbolik konstatiert er lediglich für Vergil, der damit, v.a. in seiner Georgica eine von den Übeln des Bürgerkriegs befreite Res Publica herbeisehnt. Für andere Autoren stellt er hingegen eher eine assoziativ-affektive Verwendung der Biene fest, kann jedoch aufgrund der großen Spanne des Behandlungszeitraums vom 1. vorchristlichen bis 1. nachchristlichen Jahrhundert die inter- wie kontextuellen Bezüge bei einzelnen Autoren allenfalls andeuten.
Deutlich akzentuierter behandeln die folgenden drei Beiträge dann die Bienensymbolik in einzelnen Literaturgattungen bzw. bei einzelnen Autoren: Die politische Metapher vom Bienenstaat analysiert Carla Nicolaye in dia- wie synchroner Perspektive (114-137). Die systematische, wenn natürlich auch naturwissenschaftlich nicht korrekte Betrachtung der Ordnung und Funktionen im Bienenstaat in den antiken Naturkunden und die Übertragung der Erkenntnisse, v.a. durch das aristotelische Diktum von der Biene als gemeinschaftsbezogenes Lebewesen, auf die menschlichen politischen Ordnungssysteme zeigen eindrucksvoll den intentionalen Umgang mit naturkundlichem Wissen in der Antike. Dies vertiefend, zeigt Karsten C. Ronnenberg anschließend die christlichen Interpretationsmöglichkeiten der Bienentopik auf (138-164). Obgleich im hebräischen Alten Testament in eher negativer Wertung präsent und im Neuen Testament als Tier gar nicht erwähnt, erweist Ronnenberg mannigfaltige Reaktionen und Adaptationen seitens christlicher Schriftsteller auf heidnische Bienensymbolik, die er eindrucksvoll insbesondere auf einen bislang vernachlässigten griechisch beeinflussten Zusatz in den Proverbia (6,8a-c) der Septuaginta als Anknüpfungspunkt für eine biblisch fundierte Auseinandersetzung mit den Topoi "Fleiß" und "Weisheit" zurückführt. An Carla Nicolaye ist es sodann (165-182), die Übertragung der paganen Topoi zur Biene in das christliche Wert- und Ordnungssystem an einem Autor, nämlich Ambrosius, zu verfolgen, der bspw. seine Vorstellungen vom christlichen Kaisertum letztlich Vergils Ordnungskonzeption und Senecas moralischer Attribuierung des Bienenkönigs entnimmt.
Der rezeptionsgeschichtliche Teil arbeitet sich darauf in sehr disparater Weise an der antiken Bienensymbolik ab: Während der Beitrag von Lioba Geis zum Bienenstaatsgedanken bei Thomas von Cantimpré (185-203) den Transfer des antiken Symbolgehalts auf das klösterliche Zusammenleben noch einigermaßen deutlich werden lässt, sind die Überlegungen von Katja Kramer zur Biene in der Bildersprache der englischen Literatur quasi frei von rezeptionsgeschichtlichen Paradigmen - es sei denn, man ließe die Feststellung des Facettenreichtums der Bienensymbolik schon als Rezeptionsprofil an und für sich gelten. Ein ähnlicher Mangel gilt für die für sich genommen äußerst anregenden Einblicke von Alexander Schüller zur Verwendung der Biene in deutschen Fabeln des 18. Jahrhunderts (223-261). Hier vermag das bloße Verknüpfen der deutschen Fabelliteratur mit antiken Vorbildern, in denen die Biene eben wenig auftaucht, nicht den hermeneutischen Schlüssel für die zurückhaltende Verwendung der Biene in der Fabel zu liefern; sondern es ist eben die richtigerweise, aber eben nicht rezeptionsgeschichtlich verwertbare Feststellung der Polyvalenz der Bienensymbolik, welche die auf Eindeutigkeit zielende Fabel vor der Biene zurückschrecken läßt.
Deutlich konturierter und rezeptionsgeschichtlich verwertbarer zeigt sich demgegenüber der Beitrag von David Engels zur Bienensymbolik bei Napoleon I. und Napoleon III. (262-287), da er nicht nur die bloße Verwendung konstatiert, sondern auch den auf die Antike stark rekurrierenden Diskurs im direkten Beraterumfeld der beiden Kaiser in den Blick nimmt. Auch das mit Bienentopik durchsetzte Herbeisehnen eines Goldenen Zeitalters in einem bürgerkriegsfreien Spanien durch den Dichter Federico García Lorca, das Monika Schneider u.a. mit Vergils Georgica vergleicht (288-302), weist deutliche rezeptionsgeschichtliche Spuren auf. Weitgehend sinnfrei erscheint dem Rezensenten hingegen der psychoanalytische Aufriss im letzten Beitrag von Rachel Paulus und David Engels (303-318), da die vier Hypothesen zur Biene als Projektion patriarchalischer Monarchie, als Phallussymbol, als Wiedergeburts- und Unsterblichkeitsphantasmagorie (!) sowie als Bild des Reichtums und Überflusses zwar zeitübergreifende Topoi aufzeigen, diese letztlich jedoch sinnentleerend dekontextualisieren.
In diesem Sinne symbolisiert das angesichts der zahlreich zitierten antiken Quellen schmerzlich vermisste Quellenregister nach Ansicht des Rezensenten den Wert dieses Sammelbandes: Es sind hochkarätige Einzelstudien zum gleichen Themenkreis, die jedoch gerade im rezeptionsgeschichtlichen Teil in Richtung Beliebigkeit laufen und somit die interdisziplinären Möglichkeiten einer solchen Thematik zugunsten einer freien Assoziationsübung aufgeben.
Sven Günther