Marco Rizzi (ed.): Hadrian and the Christians (= Bd. 30), Berlin: De Gruyter 2010, 191 S., ISBN 978-3-11-022470-2, EUR 69,95
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Der Sammelband sucht in seinen Beiträgen mehrere Zeiterscheinungen des zweiten Jahrhunderts n. Chr. in einen engen Zusammenhang zu stellen: auf der einen Seite die Konsolidierung des römischen Reiches und die lebhafte kulturelle Entwicklung, wie sie in der Zweiten Sophistik und dem Philhellenismus von Kaisern wie Hadrian zum Ausdruck kommt, und auf der anderen Seite die Ausbreitung und gesellschaftliche Festigung des Christentums in dieser Zeit. Der Anstoß hierzu wird mit der Förderung eines für diese Entwicklungen günstigen Klimas Kaiser Hadrian zugeschrieben. Dabei gehen die Autoren von der Voraussetzung aus, Hadrians Regierungszeit markiere "a decisive turning point" (2) für das römische Reich und dessen politische, soziale, kulturelle, künstlerische und vor allem religiöse Entwicklung. Die in den Sammelband aufgenommenen Studien setzen also voraus, dass Hadrian eine ideologisch klare, machtbewusste Reichspolitik im Interesse politisch-sozialer Konsolidierung mit Hilfe von wohlüberlegten Identifikationsangeboten an die Bevölkerung des ganzen Reiches vertrat, um auf diese Weise Vereinheitlichungstendenzen aktiv zu fördern. Es fragt sich schon hier, ob man Hadrians Prinzipat damit nicht zu sehr einem Vorverständnis aussetzt, das den Willen des Kaisers zu aktiver und prospektiver Gestaltung von Politik gegenüber reaktiven Elementen überbetont.
Die acht Beiträge von sechs Autoren zu unterschiedlichen Aspekten der behandelten Thematik beziehen sich sehr eng aufeinander, so dass die Studien sehr geschlossen wirken und demselben Ziel zu dienen scheinen: dem Nachweis, dass Hadrian bei der Umsetzung wohlüberlegter politischer Leitlinien im Interesse integrativer Ansätze zur Modernisierung und Vereinheitlichung des Reichsgedankens an der aktiven Förderung des Christentums einen erheblichen Anteil hatte.
So stimmt der Leitbeitrag von Marco Rizzi den Leser auf die Linie ein, der die Aufsätze verpflichtet sind: Hadrian gilt hier als Initiator politischer, kultureller und nicht zuletzt religiöser Innovation. Im Zusammenhang mit dem von der sogenannten Zweiten Sophistik vertretenen offeneren Wertesystem habe der Kaiser vielschichtige Identifizierungsmöglichkeiten begünstigt, angesichts seines Interesses für Erlösungskulte nicht zuletzt auf religiösem Gebiet mit dem Ziel "of controlled acceptance and integration of the most differentiated cults and doctrines" (16). Diese Einstellung sei nicht zuletzt den Christen zugute gekommen. Insofern werden Beobachtungen zur Philosophie, Literatur und christlichen Apologetik (Quadratus, Aristides) zu einer Atmosphäre verdichtet, in der Hadrian die Christen ins römische Reich zu integrieren trachtete; selbst die Weichenstellung zugunsten der Ausbildung des christlichen Monepiskopats im zweiten Jahrhundert wird mit Hadrians Initiativen zugunsten politischer Zentralisierung in Verbindung gebracht.
Diese grundsätzlichen Positionen werden in den folgenden spezielleren Beiträgen wiederholt und teilweise detaillierter ausgeführt. Dazu zählen auch Beobachtungen zu Bauprojekten der Villa Adriana in Tivoli, besonders der zweiten und dritten Phase (Elena Calandra, Villa Adriana: scenario del potere), sowie zur Erziehung und Bildung Hadrians (Marco Galli, La paideia di Adriano: alcune osservazioni sulla valenza politica del culto eroico). Hadrians Charakterisierung als "varius, multiplex, multiformis" (Epitome de Caesaribus 14,6) wird hier, positiv gewendet, zu einer "identità composita" (Galli, 66) aus römischen, griechischen und ägyptischen Elementen mit einem Angebot im Sinne der "coesistenza di identità multiple" (ebd.), in die sich eine innovative Religionspolitik einfüge, die regionalen Ausformungen Raum gebe, Anteil am römischen Selbstverständnis zu übernehmen.
Diese Aussage wird von Alessandro Galimberti in dem Beitrag "Hadrian, Eleusis, and the beginning of Christian apologetics" mit dem Interesse des Kaisers an Erlösungsreligionen in Zusammenhang gebracht. Galimberti diskutiert die Bedeutung der Eleusinischen Mysterien für Hadrian, die Unterscheidung zwischen Juden und Christen in deren Selbst- und Außenwahrnehmung und verbindet diese Beobachtungen wiederum mit einer angeblichen, durch "new soteriological interests" (82) motivierten christenfreundlichen Wende in der Einstellung Hadrians zwischen den Jahren 124/25 und 131/32.
Giovanni Battista Bazzana untersucht in seinem Aufsatz "The Bar Kokhba Revolt and Hadrian's Religious Policy" mit den Quellenbelegen für den Bar-Kochba-Aufstand und dessen Hintergründe bestimmte Motive der Religionspolitik Hadrians gegenüber den Juden. Das Beschneidungsverbot bezieht er auf die Bemühungen des Kaisers, im Rahmen integrativer Ansätze den Juden ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu nehmen, den Wiederaufbau Jerusalems in der Rechtsform einer colonia als Versuch, die Juden an Rom zu binden.
Immer wieder fällt auf, dass den Hadrians Politik berührenden Passagen der Historia Augusta nicht mit der wünschenswerten Skepsis begegnet wird, die Inhalte der Biographien daher weniger aus ihrem spätantiken Kontext interpretiert als vielmehr fast zum Nennwert genommen werden. Dies betrifft nicht zuletzt den angeblichen Brief Hadrians, der in den Viten der Quadrigae tyrannorum, Usurpatoren der Jahre 280/81, überliefert ist. So zieht Alessandro Galimberti in dem Beitrag "The pseudo-Hadrianic Epistle in the Historia Augusta and Hadrian's religious policy" aus dieser Überlieferung für die Religionspolitik Hadrians im Sinne der Generallinie des Sammelbandes folgenreiche Schlüsse, die Livia Capponi in ihrem Aufsatz "Serapis, Boukoloi and Christians from Hadrian to Marcus Aurelius" sodann in den Zusammenhang der Entwicklung des zweiten Jahrhunderts einreiht. Galimberti sieht den in die Saturninus-Vita inserierten Hadrianbrief als Beleg für die Herstellung einer Beziehung zwischen Judentum, Christentum und ägyptischen Kulten, besonders dem des Serapis, durch diesen Kaiser. Capponi macht die spätere Entwicklung des Christentums in Ägypten zu einem positiven Ergebnis der Förderung vielfältiger religiöser Ansätze durch Hadrian.
Insgesamt verfolgen die in diesen Sammelband aufgenommenen Beiträge eine gewagte - gewiss interessante - Ansicht, für die wirklich überzeugende Belege aber kaum zu erbringen sind. Die These kulminiert im sprachlich vorsichtig und doch selbstbewusst formulierten Schlusssatz der Zusammenfassung Marco Rizzis: Hier werden Verbindungen zwischen dem von Hadrian vertretenen Selbstverständnis eines monarchisch gelenkten, kulturelle, religiöse und ethnische Unterschiede integrierenden Reiches und den Überlegungen des Ignatius von Antiochia zum monarchischen Episkopat postuliert: "If this were true, Constantine in his claim to be emperor and apostle would not be the hero of a historical watershed, but merely the unintended heir of Hadrian's political-theological innovation" (150). Zielsetzung, Untersuchungsgang und Ergebnis überschätzen, was die vorgebliche Förderung des Christentums durch Hadrian angeht, Aktivität und Prospektivität der Religionspolitik dieses Kaisers und deren Einbindung in angebliche autokratisch initiierte und die Vielfalt des Reiches verknüpfende Reformansätze erheblich, oft mit einer gewissen Ignoranz gegenüber neueren Forschungsergebnissen. Zur Relativierung der religionspolitischen Bedeutung Konstantins besteht jedenfalls aufgrund der Ergebnisse dieses Sammelbandes über Hadrian und die Christen kein Anlass.
Ulrich Lambrecht