Anja Rathmann-Lutz: "Images" Ludwigs des Heiligen im Kontext dynastischer Konflikte des 14. und 15. Jahrhunderts (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters; Bd. 12), Berlin: Akademie Verlag 2010, 428 S., ISBN 978-3-05-004660-0, EUR 74,80
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Das von Anja Rathmann-Lutz vorgelegte Buch ist die überarbeitete Fassung einer 2006 am Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg eingereichten Dissertation. Methodischer Ausgangpunkt ist das aus dem Englischen übernommene moderne Konzept des "Image", das die Autorin als "Ergebnis eines Prozesses" definiert, "in dem ausgesuchte - reale oder ideale - Charakteristika einer Person in ihrer Repräsentation in verschiedenen Medien besonders hervorgehoben und aufsummiert werden und damit in einer spezifischen Situation eine bestimmte Vorstellung evozieren sollen oder können" (15). Das Ziel besteht darin, "die Ludwigsbilder als gleichzeitige und vielschichtige multimediale Konfigurationen zu beschreiben, die bestimmte Deutungsangebote machen" (15). Historische und kunsthistorische Vorgehensweisen werden miteinander kombiniert. Es war angestrebt, auch ikonographische, rezeptionsästhetische, stil-, funktions- und mediengeschichtliche Ansätze einzubeziehen.
Von einer Einleitung und einem Fazit umrahmt, gliedert sich die Darstellung in drei Kapitel. Zunächst wird der französische König Ludwig der Heilige (1214-1270) anhand der frühen Hagiographie als "königlicher Heiliger der Bettelorden und des Papstes" präsentiert. Danach geht es um die Entwicklung unterschiedlicher "Images" zu Beginn des 14. Jahrhunderts (Ludwig als heiliger Vorfahr der Kapetinger, idealer und ritterlicher Herrscher und als politisches und religiöses Vorbild, Anfänge und Ausbreitung des Ludwigs-Kultes). Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Ausdifferenzierung und Typisierung des Ludwigsbildes unter dem Einfluss von Dynastiewechseln und Nationalisierungstendenzen. Es folgt ein Anhang mit Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis, Personen-, Orts- und Sachregister und Quellennachweisen. Am Ende des Buches steht ein Abbildungsteil mit Miniaturen aus Stundenbüchern, dem Brevier des französischen Königs Karls V., Chroniken und anderen mittelalterlichen Handschriften. Die Abbildungen sind mit ihren genauen Signaturen versehen, die Titel und Inhalte der jeweiligen Handschriften müssen allerdings im sehr detailliert angelegten Quellenverzeichnis nachgeschlagen werden.
In inhaltlicher Hinsicht setzt die Darstellung eindeutige Schwerpunkte. Letztlich überwiegen kunstgeschichtliche Fragestellungen, die überzeugender behandelt werden als die historischen Aspekte. Für die historisch-politische Seite der Betrachtungsweise macht sich bemerkbar, dass die Autorin bereits in ihrer Einleitung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die umfassenden Forschungen zu Ludwig IX. "hier nur mittelbar von Interesse" seien, "da nicht Ludwig selbst, sondern die Interpretationen seiner Person und seines Handelns im 14. und 15. Jahrhundert im Zentrum der Fragestellung stehen" (22). Diese Aussage lässt sich auch auf die Behandlung der politischen Geschichte Frankreichs im 14. und 15. Jahrhundert übertragen, was besonders bei der Darstellung der Epoche Karls V. deutlich wird. Autoren wie Christine de Pizan und Philippe de Mézières präsentierten dem Dauphin Louis de Guyenne und dem späteren Karl VI. jedoch den eigenen Großvater bzw. Vater weit stärker als Vorbild als den heiligen Ludwig. "Charles V le Sage" konnte damals als zeitnäherer Bezugspunkt zumindest kurzzeitig ebenfalls als idealer König etabliert werden. Die Herzöge von Burgund, die zu den wichtigsten Akteuren in den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen gehörten und die die Geschichte Frankreichs in diesem Zeitraum entscheidend beeinflussten, bleiben so gut wie unerwähnt, obwohl es sich um wichtige Kunstmäzene der Zeit handelte und "Le Livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V" im Auftrag des burgundischen Herzogs entstand.
Zentrale Werke wie der "Songe du Vergier" werden nur kurz angesprochen und eine der wichtigsten Predigten Jean Gersons zum Reformthema, "Vivat Rex" (1405), in der durchaus von "saint Louys patron de France" die Rede ist, gar nicht erwähnt. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind neuere Arbeiten zu Fürstenspiegeln, höfischer Frömmigkeit / Sakralkultur und französische Arbeiten zu Kanonisationsprozessen, Geschlechtergeschichte (die sich in ihrer Vorgehensweise teilweise deutlich von der "gender history" unterscheiden und Elemente des kanonischen Rechts stärker gewichten) und politischer Geschichte. Das für Ludwig betonte Spannungsverhältnis zwischen adeliger Hofkultur und christlichem Heiligenideal findet sich beispielsweise in ähnlicher Form auch für die Heilige Elisabeth, deren Verehrung von der Königinmutter Maria von Ungarn nach Neapel gebracht wurde.
Gründlich aufgearbeitet wurden englischsprachige Veröffentlichungen und Deutungen zur Kunstgeschichte und "gender history". Wesentliche Teile der Untersuchung beziehen sich auf die außerfranzösische Rezeption Ludwigs des Heiligen und auf die Gründe, warum es beispielsweise in England wegen des bewussten "Aufbaus" eigener nationaler Heiliger und heiliger Könige nicht zu einer dauerhaften Etablierung des Ludwigskultes kommen konnte.
Besonders erwähnenswert sind die Abschnitte des Buches zur Verehrung Ludwigs des Heiligen und Ludwigs von Anjou in Neapel / Italien, zu den verschiedenen Umgestaltungen der königlichen Grablege in Saint-Denis sowie zur politischen "Nutzung" des heiligen Ludwig in den Auseinandersetzungen zwischen den Valois und dem Haus Navarra-Évreux. Die Vorliebe der Autorin gehört ganz eindeutig den Stundenbüchern der Jeanne d'Évreux und der Jeanne II. de Navarre, die den eigentlichen Kern der Darstellung ausmachen. Ebenfalls sehr interessant sind die Ausführungen zu weiteren weiblichen Mitgliedern des kapetingischen Königshauses wie Blanche, Marguerite und Isabelle von Frankreich und María von Navarra, die durch ihre Stundenbücher Grab- und Kapellenstiftungen den Ludwigskult in die Länder mitbrachten, in die sie einheirateten (146). Diese Schwerpunktsetzung führt zu einer sehr starken Betonung des geschlechtergeschichtlichen Aspektes weiblichen Mäzenatentums auf Kosten der politischen Geschichte und der Entwicklung von Fürstenspiegelliteratur und politisch-juristischen Traktaten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Stundenbuch naturgemäß zunächst für den persönlichen Gebrauch bestimmt war oder als Sammelobjekt diente und zwar stilbildend wirken, aber zumindest in direkter Form keinen großen Rezipientenkreis erreichen konnte.
Zu den wichtigsten Teilen des Buches gehören die Ausführungen zum Verhältnis von Text und bildlichen Darstellungen in den vorgestellten Handschriften. Dies gilt vor allem für Unterschiede in der jeweils vermittelten Aussage, die sogar dazu führen konnten, dass das Schwergewicht der Argumentation in einigen Fällen in das Medium der Bilder verlegt wurde. Auf diesem Gebiet enthält das Buch innovative und sehr vertiefenswerte Ansätze. Insgesamt gesehen handelt es sich um ein interessantes Buch, dessen eigentlicher Erkenntnisgewinn allerdings nicht in der Aufarbeitung der "Images" Ludwigs des Heiligen, sondern in der Fortentwicklung kunstgeschichtlicher Perspektiven zu weiblichem Mäzenatentum und mittelalterlichen Stundenbüchern liegt, die stärker in das Blickfeld historischer Forschung gerückt werden.
Gisela Naegle