John Lukacs: The Future of History, New Haven / London: Yale University Press 2011, XI + 177 S., ISBN 978-0-300-16956-0, GBP 18,99
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Das vorliegende Buch lässt sich grob in zwei Genres einordnen, die sich in den letzten Jahren wachsender Popularität erfreuen. Es beschäftigt sich einerseits mit der Frage, ob und, wenn ja, warum, Geschichtsbücher im Moment ein besonders beliebtes Genre darstellen und was die Konkurrenz neuer Medien für dieses Genre bedeuten könnte. [1] Andererseits ist sein Thema, wie ein "Außenseiter" des akademischen Betriebs Entwicklung und Zustand der internationalen, besonders aber der US-amerikanischen Geschichtswissenschaft sieht und beurteilt. [2]
John Lukacs, Jahrgang 1924, floh 1946 aus Ungarn in die USA. Dort wurde ihm bereits 1947 die Leitung des History Department am Chestnut Hill College in Pennsylvania (einem katholischen Liberal Arts College für Frauen, das sich 1980 auch für Männer öffnete) übertragen. Trotz prestigeträchtiger Gastprofessuren blieb er dieser im akademischen Betrieb der USA nicht ganz zentralen Institution bis zu seinem Ruhestand 1994 treu. Neben seiner Rolle als akademischer Lehrer trat Lukacs mit einer langen Reihe von Büchern zum Zweiten Weltkrieg, zur Biographie und zu Biographen Hitlers sowie zur Geschichtstheorie hervor, die sich zum Teil - wie Five Days in London, 1999 - extrem gut verkauften; er war zudem einer der ersten, der David Irving als Quellenmanipulator mit einer extrem rechten Forschungsagenda enttarnte. [3]
Dieses kurze Buch gliedert sich in sieben knappe Kapitel, die sich mit dem Aufstieg der Geschichtswissenschaft, Problemen der "profession" des Historikers, dem "Appetit für Geschichte", der Wiederentdeckung von Geschichte als Literatur, Geschichte und Roman, der Zukunft der "profession" und schließlich "Tradition, Inheritance, Imagination" befassen. Die Gliederung macht bereits deutlich, dass es sich eher um eine Aneinanderreihung von oft höchst individuellen Einsichten handelt als um ein kohärent argumentierendes Werk. Ausgehend von einer engen, in der Genese beider Bereiche begründeten Verbindung zwischen Geschichte und Literatur, speziell Geschichte und Roman, erzählt Lukacs überwiegend vom Niedergang der Geschichte in der Moderne.
Viele Tendenzen der neueren Historiographie - Sozial- und Alltagsgeschichte, ungeschehene Geschichte oder Geschlechtergeschichte - findet er abwegig. Neue Ausgaben der American Historical Review belegten eigentlich nur noch "how low much of professional historianship, searching for subjects, has now sunk"(87). Das Problem sieht Lukacs dabei nicht nur darin, dass Bücher und Aufsätze schon durch ihre Titel ("ridiculous", 48) die Marginalität ihrer Forschungsgegenstände kenntlich machten, sondern auch in der fehlenden Verfügbarkeit repräsentativer Quellen, die wahre Aussagen über die Vergangenheit erlaubten - und damit der wachsenden Gefahr der Manipulation von Geschichte.
Hintergrund des Verfalls sei einerseits die mangelnde literarische Qualität der historiographischen Produktion aus den akademischen Elfenbeintürmen, andererseits die zunehmende Spezialisierung - die wiederum unter anderem darauf zurückgehe, dass Historikerinnen und Historiker Kollegen kooptierten, statt professionelle Präsidenten und Dekane die richtige Entscheidung für Männer und Frauen von Format treffen zu lassen. Dazu komme, dass die professionelle Geschichtswissenschaft dem Abbau des Geschichtsunterrichts in Schulen tatenlos zugesehen habe, so dass das Ausmaß populärer Kritik an der akademischen Produktion zurückgehe.
Das Buch vermischt und vermengt somit verschiedene Analyseebenen: Persönliche Erinnerungen an die Entwicklung des Schul- und Hochschulsystems der USA, Beschreibungen von Ursachen und Wirkungen, Theorien 'guter' Geschichtswissenschaft und der Risiken, die diese sich heute - aus Lukacs Sicht - gegenübersieht, meist auf Grundlage persönlicher Erfahrungen und Urteile. Das macht es schwer, es zu bewerten; auf der einen Seite lesen sich manche Reminiszenzen und Aphorismen recht interessant, auf der anderen Seite scheinen die meisten Argumente extrem überzogen, einseitig, eigenwillig bis launig oder schlicht falsch. Mein Eindruck nach der Lektüre war, dass es von Lukacs viel bessere Bücher gibt, und dass Eigenarten der amerikanischen Geschichtswissenschaft der letzten Jahre von anderen Autoren viel besser und differenzierter behandelt wurden, als es hier gelingt.
Anmerkungen:
[1] Z. B. Peter Mandler: History and National Life, London 2000; Barbara Korte / Sylvia Paletschek (Hgg.): History goes Pop: Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009.
[2] Etwa Raoul Hilberg: The Politics of Memory: The Journey of a Holocaust Historian, Lanham 2002.
[3] http://lipstadt.blogspot.com/2007/11/oxford-union-david-irving-champion-of.html
Andreas Fahrmeir