Alan V. Murray (ed.): The Clash of Cultures on the Medieval Baltic Frontier, Aldershot: Ashgate 2009, 394 S., ISBN 978-0-7546-6483-3, GBP 65,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Adam Szweda: Organizacja i technika dyplomacji polskiej w stosunkach z zakonem krzyżackim w Prusach w latach 1386-1454, Toruń: Wydawnictwo Uniwersytetu Mikołaja Kopernika 2009
Maciej Dorna: Die Brüder des Deutschen Ordens in Preußen 1228-1309. Eine prosopographische Studie. Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Faber, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Alison K. Smith: Cabbage and Caviar. A History of Food in Russia, London: Reaktion Books 2021
Die Christianisierung der Region entlang der östlichen und südlichen Küsten der Ostsee von der Mitte des 12. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts war die letzte große Auseinandersetzung zwischen christlichen und gentil-religiösen Kräften in Europa. Für die dort siedelnden baltischen und finno-ugrischen Völker setzte sie Transformationsprozesse in Gang, die nicht nur die Welt des Glaubens berührten, sondern fundamentale Auswirkungen unter anderem auf das politische, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben zeitigten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Aufeinandertreffen von dänischen, schwedischen und deutschen Kaufleuten, Missionaren und Kreuzfahrern und der autochthonen Bevölkerung auch als ein Clash of Cultures beschrieben wird, der das Generalthema des hier vorzustellenden Sammelbands zur Geschichte des mittelalterlichen Livland bildet.
Die Autoren der ersten vier Beiträge des Bandes haben sich mit Fragen der Kultur und Identität beschäftigt: Marek Tamm untersucht in seinem Beitrag ausgehend von imagologischen Fragestellungen die Wahrnehmung und mentale Verortung des östlichen Baltikums und seiner Bewohner durch die westlichen Zeitgenossen innerhalb ihrer Chronistik. Die verschiedenen Identitäten der sich im Prozess der Christianisierung gegenüberstehenden Parteien versucht Eva Eihmane genauer zu erfassen. Sie arbeitet dabei heraus, dass weder die Stämme im Baltikum noch die aus dem Reich oder Skandinavien stammenden Missionare, Kaufleute oder Kreuzfahrer einheitliche Blöcke bildeten. Andris Šnē beleuchtet die Transformationsprozesse, von denen die sozialen und politischen Strukturen im Baltikum während des 12. und 13. Jahrhunderts betroffen wurden. Philipp Line macht angesichts einer spärlichen schriftlichen Überlieferung archäologische Befunde für die Nachzeichnung des allmählichen schwedischen Vordringens in finnische Gebiete nutzbar.
Im zweiten Teil werden das Thema "Kreuzzug und Mission" in Theorie und Praxis aufgegriffen und zwei für diesen Bereich zentrale Institutionen näher betrachtet: Iben Fonnesberg-Schmidt erläutert die Rolle der Kurie im Rahmen friedlicher, aber auch kriegerischer Missionsunternehmungen und arbeitet dabei das, im Vergleich zum bisher üblichen, überdurchschnittliche Engagement Honorius III. heraus. Rasa Mažeika untersucht am Beispiel der Chronik des Peter von Dusburg und der Theorie vom Gerechten Krieg das Problem der Legitimität einer mit Mitteln des Krieges durchgesetzten Mission, welches mit der Frage nach der Existenzberechtigung des Deutschen Ordens in dieser Region aufs engste verknüpft ist.
Der dritte, mit "Converting Landscapes, Converting Peoples" überschriebene Teil des Sammelbands vereinigt vier Fallstudien zu Praxis und Reichweite von Bekehrungsbemühungen: Kurt Villads Jensen zeigt in seinem Beitrag, wie Orte und Objekte, die vor der Einführung des Christentums als heilig angesehen wurden, nach der Christianisierung zum Beispiel durch Kennzeichnung mit einem Kreuz "umgewidmet" wurden und damit zugleich Ausgangspunkte für Synkretismen und Assimilationen werden konnten. Dem Aufbau neuer religiöser Zentren für die zu missionierenden autochthonen Bewohner des mittelalterlichen Livland geht Carsten Selch Jensen nach. Tiina Kala untersucht in ihrem Beitrag die Frage nach der Akzeptanz bzw. Ablehnung, auf die die neue Religion stieß, und analysiert, welche methodologischen Probleme bei ihrer Beantwortung zu berücksichtigen sind. Anu Mänd setzt sich mit dem Heiligenkult im mittelalterlichen Livland als einem Aspekt religiöser Praxis auseinander, streicht die besondere Bedeutung der Jungfrau Maria und einiger anderer Heiliger heraus und zeigt, dass es zu keiner besonderen Verehrung der ersten livländischen Bischöfe oder von Heiligen gekommen ist, deren Kanonisation im Zusammenhang mit der Eroberung und Christianisierung steht.
Die problematische Beziehung zwischen Katholizismus und der Orthodoxie, der die benachbarte Rus' anhing, ist Thema des vierten Teils: Torben K. Nielsen stellt das auch aus ideologischen Erwägungen negativ gefärbte Porträt der russischen Fürsten und der orthodoxen Kirche in der Chronik des Heinrich von Lettland vor. Nach dessen Darstellung seien die orthodoxen Akteure allenfalls an Tributzahlungen interessiert gewesen und hätten sich nicht hinreichend in der Mission engagiert, welche stattdessen zur Aufgabe der livländischen Kirche geworden sei. Die orthodoxe Perspektive arbeitet Michael Paul in seinem Beitrag über die Maßnahmen des Novgoroder Erzbischofs Vasilij Kalika zum Ausbau der Verteidigung des Novgoroder Landes - und damit gleichzeitig der gesamten Orthodoxie - vor den als bedrohlich empfundenen Angriffen deutscher und schwedischer Kreuzfahrer heraus. Trotz Kreuzzugsrhetorik und konfessioneller Polemik seien orthodoxe Kirchen in livländischen Kirchen von den dortigen Bischöfen in pragmatischer Weise geduldet worden, wie Anti Selart in seinem Artikel betont.
Der letzte Teil ist dem Kriegswesen an der baltischen Grenze gewidmet. Alan V. Murray zeigt, dass im Rahmen der Kreuzzüge fremde Musikinstrumente ins Baltikum gebracht wurden, die zur Anfeuerung der christlichen Streiter wie auch zur Einschüchterung beziehungsweise Enervierung ihrer Gegner dienen sollten. Einen Überblick über die Waffen, denen die Kreuzfahrer ihre militärische Überlegenheit verdankten, sowie über die Interpretationsprobleme, die ihre Benennungen in der Überlieferung Heinrichs von Lettland noch heute bereiten, vermittelt Stephen Turnbull. Kaspars Kļaviņš zeigt in seinem Beitrag, unter welchen Umständen Liven, Letten und Esten sich mit dem Deutschen Orden gegen litauische und russische Fürsten verbündeten, und relativiert damit das Bild von einander gegenüberstehenden, monolithischen Blöcken, als welches das Verhältnis von Ordensleuten, Missionaren und Kaufleuten einerseits sowie der autochthonen Bevölkerung andererseits in der Historiografie oft dargestellt worden sei.
Die Autorinnen und Autoren der hier kurz vorgestellten Beiträge betrachten das Generalthema "Clash of Cultures" aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Dabei gelingt es ihnen, etablierte Forschungsmeinungen durch Detailstudien zu differenzieren beziehungsweise zu revidieren und damit ein facettenreicheres Bild der Eroberung und Christianisierung der Gebiete an der östlichen und südlichen Ostseeküste zu zeichnen. Leserinnen und Lesern, die keine baltischen Sprachen lesen können, vermitteln die hier versammelten Beiträge darüber hinaus einen Eindruck von den Ergebnissen, die von der Forschung in den baltischen Staaten in den letzten Jahren vorgelegt worden sind. Der Band wird abgerundet durch Kartenmaterial, eine Ortsnamenkonkordanz, einen Index sowie eine Auswahlbibliografie englischsprachiger Titel.
Maike Sach