Jost Dülffer / Gottfried Niedhart (Hgg.): Frieden durch Demokratie? Genese, Wirkung und Kritik eines Deutungsmusters (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung; Bd. 15), Essen: Klartext 2011, 298 S., ISBN 978-3-8375-0401-9, EUR 19,95
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Die NATO-Intervention in Libyen zur Unterstützung der anscheinend "demokratischen" Rebellen gegen die Ghadafi-Diktatur beruht auf der Grundüberzeugung, dass mörderische Diktaturen auch nach außen aggressiv und umgekehrt Demokratien nach außen friedlich sind - der vielleicht wichtigste, kaum noch hinterfragte Glaubenssatz im Wertekanon "atlantischer", nicht zuletzt amerikanischer Außenpolitik.
Ein Kolloquium, das der Arbeitskreis für historische Friedensforschung 2009 veranstaltete, hat sich dieser Thematik angenommen. Sein Ertrag liegt jetzt gedruckt vor. Wie die Einleitung Jost Dülffers, des einen Herausgebers, erläutert, sollten hier die Entstehung, die Anwendbarkeit, die Wirkungen und die Glaubwürdigkeit der Leitvorstellung von den von Natur aus friedlichen Demokratien - hier künftig "Demokratie-Friedens-Axiom" genannt - kritisch durchleuchtet werden. Der Sammelband tut dies aus historischer (auch "gender"-historischer), sozialwissenschaftlicher und philosophischer Perspektive. Hier soll nur auf seinen im engeren Sinne historischen Gehalt eingegangen werden.
Dazu gehört als erstes der Hinweis auf Kants Traktat zum ewigen Frieden, der das Demokratie-Friedens-Axiom zum ersten Male aufgestellt hat - freilich, wie Thomas Kater erläutert, in einem anderen Sinne als heute: Eine Friedensgarantie lieferte für ihn nicht die Demokratie, die er mit "Despotie" gleichsetzte, sondern die bürgerliche Republik, die allein an einen auch für ihre Außenpolitik geltenden "absolut rechtlichen" Zustand gebunden war.
In seinem Überblick über die Verwendung dieses Axioms geht Dülffer von Woodrow Wilsons Vorstellung von einem demokratischen Frieden als Grundlage für einen Völkerbund aus und schildert ihren auch historiographisch-statistisch untermauerten Wiederaufstieg für die Zeit des beginnenden Kalten Krieges.
Aus historischer Nahsicht lenkt Gottfried Niedhart, der zweite Herausgeber, den Blick ebenfalls auf Wilson, habe dieser doch den Krieg der USA mit den Mittelmächten als Kampf zwischen friedlicher Demokratie und aggressiver Autokratie gedeutet. Deshalb habe er auf einen Regimewechsel im deutschen Kaiserreich gedrungen, durch den er die deutsche Linke als einen demokratisch legitimierten Partner für einen dauerhaften Frieden unter Gleichen gewinnen wollte. Der Versailler Frieden hat diese Hoffnungen bekanntlich enttäuscht: Weder wurde er zwischen gleichberechtigten Verhandlungspartnern geschlossen noch gelang ihm eine Integration der Besiegten und Entwicklungsländer. Patrick Cohrs macht bei Wilson dafür an erster Stelle tief verwurzelte hierarchisch-"neo-imperiale" Vorstellungen verantwortlich. Die patriarchalische Leitung der Welt durch die Siegermächte sei ihm wichtiger erschienen als die Gleichberechtigung aller Vertragspartner.
Die hier ansetzende generelle Ablehnung des Demokratie-Friedens-Axioms durch vielfach desillusionierte deutsche Intellektuelle ist das Thema des Beitrages von Peter Hoeres. Wie er darlegt, wurde hier Wilsons Verwendung dieses Axioms gegenüber dem deutschen Kaiserreich und die daraus abgeleitete Forderung nach dessen Demokratisierung als grobe Einmischung und Bauernfängerei gebrandmarkt, bis es Carl Schmitt für die Radikalisierung und "Entmenschlichung" militärischer Konflikte verantwortlich gemacht habe.
Eine Renaissance erlebte das Demokratie-Friedens-Axiom in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs. Es wurde, so argumentiert Tim B. Müller überzeugend, die unausgesprochene Grundvoraussetzung für die amerikanische Planung für ein Deutschland nach Hitler. Das Beispiel von Roosevelts New Deal und mehr noch die Beteiligung emigrierter deutscher Linksintellektueller wie Franz Neumanns oder Herbert Marcuses verlieh diesen Vorschlägen eine deutlich sozialdemokratische Tendenz. Die Forderung nach einer Einführung des Wohlfahrtsstaates als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit einer deutschen Demokratie bezog sich nach dem Sieg über Hitler interessanter Weise aber auch bald auf die stalinistische UdSSR. Ein von allen Überbleibseln der NS-Zeit gereinigter deutscher Wohlfahrtsstaat, so wurde bei den Planern argumentiert, werde dem Linksradikalismus europaweit das Wasser abgraben sowie Sicherheitsängste in der UdSSR abbauen helfen und damit die Voraussetzungen für eine Liberalisierung der UdSSR sowie eine "Pazifizierung" ihrer Außenpolitik schaffen. Das Ergebnis wäre eine nachhaltige Ost-West-Entspannung - eine ebenso weitsichtige wie neuartige Anwendung des Demokratie-Friedens-Axioms.
Dass es sich in der politischen Praxis der Folgezeit dann doch nicht wirklich durchsetzte, führen weitere Beiträge einerseits auf den Kalten Krieg, andererseits auf regionale Prioritäten zurück. Die Vereinten Nationen - so Norbert Götz - waren zwar programmatisch als Kriterium für eine UN-Mitgliedschaft dem Demokratie-Friedens-Axiom verpflichtet. Im Zeichen des Kalten Krieges konnten sich West und Ost indessen nicht darüber einigen, was "demokratisch-friedliebend" bedeuten sollte, bis dieser Begriff zu einer inhaltsleeren "Lebenslüge" verkam (174). Als Konsequenz ging im frühen Kalten Krieg die Zahl der UN-Beitritte drastisch zurück, bis dann meist ohne Rücksicht auf demokratisches Wohlverhalten die massenweise Aufnahme der Ex-Kolonien erfolgte. Regional-machtpolitische Prioritäten andererseits, so zeigen die betreffenden Beiträge, traten nach dem Ersten Weltkrieg im Falle Dänemarks und bis heute im israelisch-arabischen Konflikt an die Stelle des Demokratie-Friedens-Axioms. Für den Nahen Osten sieht Benyamin Neuberger sogar eine umgekehrte Reihenfolge: Erst Frieden und dann als Folge eine Demokratisierung der arabischen Welt. Ähnlich hatte, wie der Beitrag von Bernd Rother zeigt, schon Willy Brandt im Interesse seiner Entwicklungspolitik argumentiert.
Die große Wende von 1989/90 schien dann das Demokratie-Friedens-Axiom zu bestätigen: Die Versuche einer Demokratisierung der UdSSR im westlichen Sinne läuteten das Ende des Ost-West-Konflikts ein. Die Folgen behandelt Volker Depkat. Dabei holt er nach, was dieser Band zuvor unerwähnt lässt, dass nämlich das Demokratie-Friedens-Axiom von Anfang an Teil des politisch-moralischen Selbstverständnisses der amerikanischen Republik gewesen ist. Dieser "liberale Internationalismus", so Depkat, habe nach der Wende alle US-Regierungen zu dem Bemühen veranlasst, den Kreis der demokratischen Staaten zu erweitern, um so die Welt vor militärisch-humanitären Katastrophen zu schützen. Bei Clinton führte diese Politik zur Verselbständigung des Kosovo, aber auch zum Rückzug der USA aus Somalia. Dass Clinton, wie Depkat hervorhebt, sein Ziel vielfach unilateral verfolgt hat, verband ihn mit seinem Nachfolger George W. Bush und dessen "Krieg" gegen den Terror, den er ausdrücklich im Interesse einer Demokratisierung des Nahen Ostens geführt hat.
Die stärker gegenwartsbezogenen Beiträge von Jonas Wolff und Dieter Senghaas verweisen auf einen fundamentalen "Selbstwiderspruch", der auch in historischen Analysen nicht unberücksichtigt bleiben sollte: Jede humanitär motivierte Förderungspolitik von außen greift in die Souveränität der geförderten Staaten ein und wirft damit das Problem von Kontrolle und - wohlmöglich militärischer - Machtausübung auf (241).
Herausgeber und Mitarbeiter dieses Sammelbandes haben auf einer breiten Materialbasis eine bisher in globalem Rahmen nur unzureichend behandelte Problematik aufgegriffen, sachkundig untersucht und damit zweifellos Pionierdienste geleistet. Dabei fällt allerdings neben einer Reihe von Druckfehlern eine doppeldeutige Verwendung des Begriffs "demokratischer Frieden" auf (als "Friede unter Demokratien" einerseits und "Friede unter Gleichen" andererseits). Eine kritische Tendenz überwiegt. Die Autoren werden ihrer Thematik damit nicht ganz gerecht, genügt es doch nicht, Theorie und Praxis gegenüberzustellen, sondern müssen auch die Ursachen für die breite Mobilisierungskraft des "Demokratie-Friedens-Axioms" vertieft analysiert und dabei seine kulturell-psychologische Dimensionen - so 1918 seine kriegspsychologisch-militärisch-taktische Instrumentalisierung oder in jüngster Zeit sein Einsatz beim "nation building" - berücksichtigt werden. Immerhin: Ein nachahmenswerter Anfang wurde gemacht.
Klaus Schwabe