Rezension über:

Yann Le Bohec: Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 354 S., ISBN 978-3-515-09136-7, EUR 42,00
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Rezension von:
Dariusz Brodka
Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagielloñski, Kraków
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Dariusz Brodka: Rezension von: Yann Le Bohec: Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/18396.html


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Yann Le Bohec: Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit

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Das Buch von Le Bohec gehört zu einer Reihe von Gesamtdarstellungen, die in letzter Zeit über das spätantike Heer geschrieben worden sind. [1] In diesem Fall geht es um eine deutsche Übersetzung einer Monographie, die ursprünglich 2006 auf Französisch erschien. Mit seinem Werk versucht Le Bohec eine Synthese zu schaffen, die etwas weiter geht als die bisherigen Werke über die spätantike Armee (9).

Chronologisch gesehen, behandelt Le Bohec die Periode zwischen 284 und den Anfängen des 5. Jahrhunderts. Für einen solchen Endpunkt spricht laut Le Bohec die Tatsache, dass das weströmische Heer ab ca. 378-410 allmählich aufhöre, ein wirkliches Heer zu sein, und sich in eine uneffektive Miliz verwandle (17). Das oströmische Heer im 5. Jahrhundert interessiert ihn hingegen nicht, weil es sich allmählich in das byzantinische Heer verwandelt (17). Es ist also klar, dass das römische Heer des 4. Jahrhunderts im Mittelpunkt des Buches steht.

In der Einführung werden wichtige Probleme, Forschungsstand, sowie Quellen kurz dargestellt. Die ersten drei Kapitel bieten einen Überblick über die Geschichte des römischen Heeres von Diokletian bis Julian (I. Das Heer des Diokletian 284-305, 18-31; II. Das Heer Konstantins I. 306-337, 32-44; III. Das Heer des Constantius II. und des Julian, 337-363, 45-65). Mit Nachdruck wird betont, dass die Struktur der Armee, die aus "der Krise des 3. Jahrhunderts" hervorgegangen ist, von Diokletian nicht grundlegend verändert worden sei (27-29). So wird vor allem die Meinung eindeutig abgelehnt, dass Diokletian das Bewegungsheer erfunden habe (28). Betont wird auch, dass sich die Legion gerade zur Zeit Diokletians tiefgreifend verändert habe, womit insbesondere eine deutliche Verkleinerung der Truppengröße gemeint ist. Le Bohec schließt sich hingegen der These an, dass Konstantin I. das römische Heer tatsächlich reformiert habe, und verweist vor allem auf eine neue Organisation der Truppen und auf eine neue Struktur des Oberbefehls. Die Reformen seien dabei nicht in die Richtung eines zweigeteiltes Heeres (d.h. Grenze/Inneres) gegangen, sondern hätten sich auf eine neue Konzeption des Raumes (Gallien/Illyrien/Orient) bezogen (41ff.). Im Fall Julians beschränkt sich Le Bohec auf eine Darstellung der Kriegsgeschichte in den Jahren 353-363. Er hält den Kaiser Julian für einen ausgezeichneten Strategen und Taktiker (60) und folgt in dieser Hinsicht der Darstellung des Ammianus Marcellinus, ohne aber ausreichend zu berücksichtigen, wie parteilich Ammian ist, wenn er die kriegerische Tätigkeit Julians schildert.

Die nächsten zehn Kapitel sind nicht mehr chronologisch angeordnet und thematisieren wichtige Aspekte des spätantiken Militärwesens. Im 4. Kapitel wird die Frage der Rekrutierung behandelt (Die Rekrutierung, 66-80). Es geht hier sowohl um die Organisation der Rekrutierung als auch um geographische Aspekte. Selbstverständlich erörtert Le Bohec auch das vieldiskutierte Problem der Barbarisierung der römischen Armee und betont dessen negative Folgen für das römische Reich. Recht oberflächlich werden die einzelnen Truppengattungen im 5. Kapitel besprochen (V. Die Truppeneinheiten, 81-94), wobei auf die gravierende Schwierigkeit verwiesen wird, dass die literarischen Texte, wie z.B. Ammianus Marcellinus, sehr gerne auf anachronistische archaisierende Begriffe zurückgreifen, die nicht besonders gut die spätantike Wirklichkeit widerspiegeln. Kurz analysiert wird hier auch die Notitia Dignitatum (92-93). Als Haupttendenz für die Periode wird die Abnahme der Truppenstärke betont. Mit Recht wird darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Infanterie in der Spätantike weiterhin die Hauptrolle auf den Schlachtfeldern gespielt hat, obwohl die Bedeutung der Kavallerie immer größer war. Anschließend werden die Rangordnung im spätrömischen Heer (VI. Die Soldaten und die Hierarchie, 95-117) und das militärische Bauwesen (VII. Das militärische Bauwesen, 118-130) detailliert dargestellt.

Die beiden nächsten Kapitel befassen sich mit der Taktik (VIII. Die Taktik 1: Die Bedingungen des Kampfes, 131-151, IX. Die Taktik 2: Der Kampf, 152-170). Hier widmet sich Le Bohec solch allgemeinen Fragen wie: Ausrüstung, Exerzieren, Transport und Verpflegung, Diplomatie, Aufklärung, Kriegslisten. Sehr nüchtern betrachtet er das Problem der "Soldatenbauern", indem er feststellt, dass sich Soldaten zwar in Bauern verwandeln könnten, aber nur in ihrer Freizeit. Normalerweise hätten sie hingegen anderes, d.h. Professionelles, zu tun gehabt: Exerzieren und Kriegführung (141). In Fragen der Kampftaktik beschränkt sich Le Bohec eher auf allgemeine Probleme. Zuerst stellt er, allerdings nur in vagen Umrissen, die Kriegskunst der wichtigsten Feinde Roms (Persien, Franken, Goten, Alamannen) dar, um dann gewisse Aspekte der römischen Taktik wie Marschordnung, Schlachtordnung, Belagerung zu besprechen. Es ist klar, dass wir es in diesem Fall eher mit einer Art Einführung zu tun haben als einer eingehenden Analyse der einzelnen Fragen.

Drei weitere Kapitel behandeln Fragen der Strategie (X. Die Strategie 1: Das Gesamtkonzept, 170-184; XI. Die Strategie 2: Das europäische Theater, 185-200; XII: . Die Strategie 3: Der Orient und der Süden). Besonders gründlich befasst sich Le Bohec mit terminologischen Problemen, indem er sich mit der Vorstellung von der Verteilung der römischen Streitkräfte auf limitanei und comitatatenses auseinandersetzt und das strategische Konzept der Tiefenverteidigung überprüft (170ff.). Mit Nachdruck betont er, dass das römische Heer seine Strategie seit der frühen Kaiserzeit nicht grundsätzlich geändert habe. Abgelehnt wird die Vorstellung von einer beweglichen Armee, die sich von den Einheiten der sesshaften Bauernsoldaten unterschieden hätte. Folglich wird auch das Modell der zwei zur Grenze parallelverlaufenden Verteidigungslinien, mit limitanei vorne und comitatenses dahinter, abgelehnt. Stattdessen plädiert Le Bohec für die These, dass der Unterschied zwischen limitanei, comitatenses (und auch palatini) nicht im Bereich der Strategie, sondern im Bereich der Taktik und der Ehren gelegen habe. Mit dem Begriff comitatenses seien Elitetruppen bezeichnet worden, während die limitanei normale Soldaten gewesen seien (177ff.). Einen Überblick über die einzelnen Kriegstheater liefern die Kapitel XI und XII.

Im folgenden Kapitel (XIII. Die Zivilisten und das Militär, 213-228) wird die Frage nach der Bedeutung der Soldaten in der Politik, in der Wirtschaft und im religiösen Bereich behandelt.

Die letzten zwei Kapitel stellen die Kriege Roms erneut chronologisch dar (XIV. Die Kriege des Valentinian I. und des Valens (364-378), 229-260; XV. Die Kriege und das Ende des römischen Okzidents (378 bis Mitte des 5. Jahrhunderts, 243-260)), während die Schlussfolgerung (Statt einer Schlussfolgerung, 261-267) sowohl die Gründe für die Schwächung der weströmischen Armee in der Periode nach Theodosius I. als auch die Folgen dieses Prozesse zu nennen versucht. Verständlicherweise bietet der Autor hier nur einen Überblick über die militärischen Auseinandersetzungen in dieser Phase mit nur skizzenhaften Darstellungen der großen Schlachten wie z.B. der Schlacht von Adrianopel.

Insgesamt geht Le Bohecs Monographie weit über die Grenzen einer allgemeinen Gesamtdarstellung hinaus, obwohl man daran erinnern muss, dass das Buch weder eine Geschichte der römischen Kriege in der Spätantike noch eine echte Geschichte des spätantiken römischen Heeres bietet. Zweifelsohne stellt es aber eine informative Einführung zur spätantiken römischen Armee dar (vor allem für das 4. Jahrhundert), die aufgrund des umfangreichen Quellenmaterials sowie der neusten archäologischen Ausgrabungen auch neue Erkenntnisse formulieren und ältere korrigieren kann.


Anmerkungen:

[1] Zu nennen seien hier u.a. P. Suthern / K. Dixon: The Late Roman Army, London 1996; Ph. Richardot: La fin de l'armée romaine (284-476), Paris 1998; M.J. Nicasie: Twilight of Empire. The Roman Army from the Reign of Diocletian until the Battle of Adrianople, Amsterdam 1998; Ph. Sabin / H. van Wees / M. Whitby (eds.): The Cambridge History of Greek and Roman Warfare, Bd. II, Cambrigde 2007, 235-458.

[2] L'armée romaine sous le Bas-Empire, Paris 2006.

[3] Im Unterschied zu Le Bohec interessieren sich die Autoren von The Cambridge History of Greek and Roman Warfare, Bd. II, Cambridge 2007, 235-458 auch für die spätere Periode, d.h. für das 6. Jahrhundert im Osten.

[4] Es verwundert sehr die Tatsache, dass Prokopios von Kaisareia (zusammen mit Iordanes und Gregor von Tours) in die Kategorie der Historiker der barbarischen Völker eingereiht wird, die sich von zwei Gruppen der "romano-zentrierten" Geschichtsschreiber (wie z.B. Ammianus Marcellinus oder Zosimos) unterscheide.

[5] Vgl. dazu K. Rosen: Studien zur Darstellungskunst und Glaubwürdigkeit des Ammianus Marcellinus, Bonn 1970.

[6] Jüngst sind diese Fragen von Ph. Rance in der Cambridge History of Greek and Roman Warfare sehr gründlich behandelt worden: Vgl. Ph. Rance: Battle, in: Sabin / van Wees / Whitby (wie Anm. 1), 342-378.

[7] Allerdings sind die Schätzungen von Le Bohec, der die Stärke des römischen Heeres bei Adrianopel lediglich auf etwa 10 000 Mann veranschlagt, meines Erachtens zu niedrig.

Dariusz Brodka