Wiebke Bachmann: Die UdSSR und der Nahe Osten. Zionismus, ägyptischer Antikolonialismus und sowjetische Außenpolitik bis 1956 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Bd. 102), München: Oldenbourg 2011, 223 S., ISBN 978-3-486-70371-9, EUR 24,80
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Die sowjetischen Beziehungen zur so genannten "Dritten Welt" [1] finden erst seit einigen Jahren wieder die Aufmerksamkeit der historischen Forschung. [2] Die Thematik bietet genügend Raum für eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge aus dem diplomatie-, kultur-, regional- oder wirtschaftsgeschichtlichen Spektrum. Wiebke Bachmann hat sich in ihrer 2009 von der Katholischen Universität angenommenen Dissertation im Wesentlichen für eine klassische Diplomatiegeschichte entschieden. Mit diesem Zugang kann sie für eine Schlüsselepoche des Kalten Kriegs wichtige Verflechtungen von National- und Großmachtpolitik in einer hoch explosiven Region erhellen. Dies gelingt, indem sowjetische innenpolitische Abläufe, außenpolitische und ideologische Positionen der UdSSR, jüdische Staatspolitik und palästinensisch-ägyptische Interessen gleichberechtigt in die Untersuchung einbezogen werden. Die Arbeit liefert, das sei vorweggenommen, auf breiter internationaler Quellengrundlage ein deutliches Bild der komplexen Entwicklungen. Weitere Forschungen werden unter anderem die Aktivitäten und Spielräume der jeweiligen diplomatischen Vertreter auf beiden Seiten genauer in den Blick nehmen: Eigene Vorstellungen diplomatischen Akteure konnten offenbar gerade bei der Anbahnung der Beziehungen eine erhebliche Rolle spielen (153 f.). [3] Die Darstellung endet im Übrigen noch vor der Suez-Krise, ohne dass diese durchaus nachvollziehbare Periodisierung weiter begründet wird. Daneben hätte man der anspruchsvollen Arbeit an einigen Stellen eine sprachliche Überarbeitung gewünscht, die Unklarheiten im Ausdruck oder einfach den einen oder anderen Lapsus korrigiert hätte (10, 41, 79, 150).
Bachmann beginnt ihre Ausführungen mit einer - zu ausführlichen - Einführung in die russischen Vorläufer der sowjetischen Nahostpolitik. Ob man der Bedeutung russischer Traditionen für die sowjetische Politik so viel Bedeutung beimessen muss, wie es Bachmann tut, sei angesichts der unterschiedlichen konkreten historischen Herausforderungen und Ideenwelten dahingestellt (23 f., 26 f., 35 f.). Interessanter wird die Auseinandersetzung mit dem spannungsvollen geopolitisch-ideologischen Weltbild sowjetischer Entscheidungsträger nach 1917. Gerade im Verhältnis zu den, wie es in dem frühen Duktus Moskaus hieß, "Völkern des Ostens", kamen von Beginn an sowohl sicherheitspolitische Erwägungen als auch eine revolutionäre Mission der neuen Machthaber zum Tragen. Bereits Lenin war in der Lage, diese beiden Hauptaspekte sowjetischer internationaler Beziehungen gemeinsam zu denken (33 f., 43 f.). Stalin sah die beiden Ziele erst recht nicht als unvereinbar an.
Der Moskauer Perspektive stellt Bachmann die "Regiozentrik" (16 f.) der Akteure in Palästina entgegen, die im Verlauf des Kriegs und mit zunehmender Schwäche der britischen Mandatsmacht die eigentlichen Ansprechpartner Moskaus waren. In diesem Kontext wird erneut deutlich, dass Brennpunkte und Konfliktlinien des Kalten Kriegs nach 1945 zumindest teilweise als Erbe der Herrschaft von Imperien verstanden werden können, die entgegen ihrer Selbstdarstellung weder sich noch abhängige Territorien umfassend auf eine echte Unabhängigkeit vorbereiteten. Der zweite Aspekt, der in Bachmanns Diskussion der 1920er und 1930er Jahre von besonderer Bedeutung ist, ist die insgesamt schwache Stellung der kommunistischen Bewegung in Palästina. Interne politische wie ethnisch-religiöse Interessengegensätze trugen zu dem Misserfolg von Parteien bei, auf die die Strategen der Komintern-Jahre große Hoffnungen setzten. Der Gedanke, über gesellschaftliche Kräfte nationale Entwicklungen in der Dritten Welt prägen zu können, blieb im Moskau der Nachkriegszeit in verschiedenen, flexibleren Ausformungen virulent - letztendlich überschätzte dieser Ansatz die Anziehungskraft der eigenen Realität, und er unterschätzte Eigeninteressen sowie die Wirkungsmacht alternativer Ideen in den Regionen selbst.
Von einer wirklichen Nahostpolitik der UdSSR lässt sich mit Bachmann erst ab der zweiten Kriegshälfte sprechen, als sich der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg und die neue Großmachtstellung der Sowjetunion deutlich abzeichneten. Dabei präsentierten sich die Jewish Agency und andere zionistische Organisationen den sowjetischen Ansprechpartnern gegenüber bewusst als schlagkräftige "progressive" Kräfte. Angesichts der Planspiele der sowjetischen Nachkriegspolitik, die auf die Schwächung Großbritanniens setzten, erscheint die sowjetische Unterstützung für die israelische Staatswerdung nur folgerichtig. Sie entsprach der Mehrschichtigkeit der internationalen Politik Stalins (S. 122-130). Die Beschreibung der sowjetisch-jüdischen Kontakte ab 1941, die verschlungenen Pfade, die Waffenlieferungen und Freiwillige nahmen, die diplomatischen Manöver in der UN, all dies ist in dem Buch spannend nachzulesen.
Die frühen Verbindungen machten zugleich deutlich, dass die sowjetisch-israelischen Beziehungen auf Dauer nicht spannungsfrei bleiben konnten. Den frühen Bruch der UdSSR mit dem jungen Staat Israel interpretiert die Autorin als Beleg für "eine weitgehende Unabhängigkeit der politischen Entscheidungen in der Innen- und Außenpolitik unter Stalin" (132, 150 f.). Eine Analyse, die imperiale Außen- und Innenbeziehungen zusammen sieht, wird hier weniger abrupte Brüche konstatieren: Die krachende Niederlage der israelischen Kommunistischen Partei bei den Wahlen, die Westorientierung der Regierung Ben Gurion, die kritische Thematisierung der antisemitisch aufgeladenen Ideologiekampagnen Stalins in der Öffentlichkeit Tel Avivs, die Forderungen nach Ausreisegenehmigungen für sowjetische Juden und, natürlich, die deutliche Begeisterung sowjetischer Juden für den neuen Staat - all das führte zu der bekannten dramatischen Abkühlung der sowjetisch-israelischen Beziehungen. In der Konstellation des Nahen Ostens lag es nahe, dass Ägypten sich der UdSSR als neuer Partner andiente. Ägypten suchte auch unter Nasser nach Möglichkeiten, ausländische Hilfe für Wirtschaft und Militär zu erhalten: Die UdSSR kam hier als Lieferant und als Druckmittel gegenüber einem zögerlichen Westen gerade recht. Das intensive Engagement Moskaus im Nahen Osten war jedoch erst möglich, als Chruščev die sowjetischen Außenbeziehungen auf eine offensive Systemkonkurrenz auch in der Dritten Welt ausrichtete. In den folgenden Jahrzehnten rieben sich Moskauer Strategien im Nahen Osten weiterhin an Zielen und Motiven der regionalen Akteure auf.
Anmerkungen:
[1] Der Begriff ist vielfach problematisiert worden, ohne dass sich eine tragfähige Alternative herausgebildet hätte. Vgl. die Diskussionen der in der Zeitschrift Third World Quarterly, 1 (1979), Nr. 1 und Nr. 2, 13 (1992), Nr. 1 sowie 26 (2004), Nr. 1.
[2] Eine aktuelle Momentaufnahme ist Andreas Hilger (Hg.): Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg, 1945-1991, München 2009.
[3] Vgl. auch Radoslav Yordanov: Addis Abeba, 1977: Brüderliche Militärhilfe und globale militärische Strategie. Die sowjetische Verwicklung in den Konflikt zwischen Äthiopien und Somalia, in: Hilger, Sowjetunion (wie Anm. 2), 239-258.
Andreas Hilger