Rezension über:

Ines Hopfer: Geraubte Identität. Die gewaltsame "Eindeutschung" von polnischen Kindern in der NS-Zeit, Wien: Böhlau 2010, 304 S., ISBN 978-3-205-78462-3, EUR 39,00
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Rezension von:
Ursula Reuter
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Ursula Reuter: Rezension von: Ines Hopfer: Geraubte Identität. Die gewaltsame "Eindeutschung" von polnischen Kindern in der NS-Zeit, Wien: Böhlau 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/20778.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Ines Hopfer: Geraubte Identität

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Der gewaltsamen "Eindeutschung" von "rassisch wertvollen" polnischen Kindern, einem wenig bekannten Kapitel der deutschen Besatzungspolitik in Polen während des Zweiten Weltkriegs, hat die österreichische Historikerin Ines Hopfer eine detaillierte, gut lesbare Monografie gewidmet. Aufbauend auf einem breitem Quellen- und Literaturfundus untersucht sie die Thematik aus der Perspektive sowohl der Täter als auch der Opfer. In Ergänzung zu den archivalischen Quellen, insbesondere Unterlagen aus dem achten Nürnberger Nachfolgeprozess gegen Mitarbeiter des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS, hat die Autorin "thematisch zentrierte" Interviews mit einer Reihe von Männern und Frauen geführt, die zum Zweck der "Eindeutschung" in die sogenannte "Ostmark" (vormalige Gebiete Österreichs) verschleppt wurden. Die Interviewpassagen gehören zu den beeindruckendsten Passagen des Buches - zum einen illustrieren sie die einzelnen Etappen des "Eindeutschungs"-Prozesses, den die Kinder durchlaufen mussten, zum anderen machen sie die traumatisierende Wirkung des Erlebten bis in die Gegenwart spürbar.

In acht, teilweise etwas verwirrend strukturierten Kapiteln werden Ideologie, Rahmenbedingungen und Durchführung der gewaltsamen "Eindeutschung" aus Sicht der nationalsozialistischen Behörden und der betroffenen Kinder, die Stationen der "Eindeutschung" im besetzten Polen und in der "Ostmark" sowie Repatriierung, juristische Aufarbeitung und die heutige Situation der Opfer dargestellt. Ein Exkurs informiert über entsprechende Aktionen in weiteren besetzten Ländern. Initiator und Hauptverantwortlicher für die "Eindeutschung" "fremdvölkischer" Kinder war Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und seit Oktober 1939 Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums. Seine Intention formulierte er am 16. September 1942 auf einer SS- und Polizeiführer-Tagung wie folgt: "Wo Sie ein gutes Blut finden, haben Sie es für Deutschland zu gewinnen oder Sie haben dafür zu sorgen, dass es nicht mehr existiert" (23).

Am planmäßigsten verlief die Eindeutschungspolitik in Polen als dem "Exerzierfeld nationalsozialistischer Ideologie" (28), speziell im "Reichsgau Wartheland". Nach Hopfers vorsichtiger Schätzung wurden mindestens 20 000 polnische Kinder Opfer der gewaltsamen "Eindeutschung". Im Raum Litzmannstadt (Lodz, polnisch Łódź) wurden schon seit Herbst 1940 Eindeutschungsaktionen durchgeführt, die als Vorbild für andere Regionen dienten, eine einheitliche Regelung des Verfahrens folgte erst Anfang 1942. Heim- und Pflegekinder, später auch Kinder, die bei ihren Eltern lebten, wurden systematisch untersucht. Diejenigen, die man aufgrund ihres Erscheinungsbilds und psychologischer Gutachten als "rassisch wertvoll" kategorisierte, wurden in spezielle Heime überführt, einem rigorosen Umerziehungsprogramm unterworfen und schließlich ins "Altreich" transportiert, wo sie nach einer Phase der "Assimilierung" in Einrichtungen des SS-Vereins Lebensborn bzw. der Inspektion der Deutschen Heimschulen an deutsche Pflegeeltern vermittelt wurden. Die ersten Transporte in das "Altreich" gingen im Frühsommer 1942 aus Polen ab. Ab September 1943 bestand ein eigenes, vom Lebensborn getragenes Kinderheim "Alpenland" für eindeutschungsfähige Kinder in Schloss Oberweis in Oberösterreich.

Nach Kriegsende liefen umfängliche Suchaktionen polnischer und internationaler Organisationen nach den verschleppten Kindern an. Manche Kinder, die bei ihren Pflegefamilien bleiben wollten, entzogen sich der Repatriierung, während andere sich selbst auf den Weg nach Hause machten oder nach einer Phase der "Repolonisierung" repatriiert wurden. Für die meisten Kinder war die Rückkehr mit großen Belastungen verbunden - ihre Identität war aufs Neue in Frage gestellt, wie eine Betroffene formulierte: "Mein persönlicher Krieg dauerte viel länger als bis Mai 1945 [...], wie oft fragte ich mich, wo mein Platz auf dieser Erde ist und wer ich eigentlich wirklich bin: Polin oder Deutsche?" (231).

Ursula Reuter