Rüdiger Wenzke: Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzugs, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, 492 S., 60 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-638-3, EUR 39,90
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Schwedt - den Namen der uckermärkischen Kleinstadt vernahmen die meisten Soldaten der Nationalen Volksarmee mit Schaudern. Seit 1968 befand sich hier mit der Postanschrift "133 Schwedt/Oder, Postfach 70" der Militärstrafvollzug der DDR. Hierher wurden zu Strafarrest oder zu einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren verurteilte Angehörige der NVA und anderer bewaffneter Organe gebracht. Jeder Soldat wusste zwar von der Existenz dieser Einrichtung, aber wenig bis nichts über Lebensbedingungen und Alltag der dort Inhaftierten. Wer von dort in die Truppe zurückkam, erzählte in der Regel nichts über seine Zeit in Schwedt. So rankten sich bald wilde Gerüchte um den "Armeeknast", der als Ort härtesten Drills, von Schikane und Misshandlung, ja mitunter gar als "kommunistisches KZ" imaginiert wurde. In der Soldatensubkultur hatte Schwedt schon bald einen festen Platz. Auf den Maßbändern der "Entlassungskandidaten" für die letzten 150 Tage ihres Wehrdienstes war die Zahl "133" in Anspielung auf die Postleitzahl von Schwedt mit einem Gittermuster versehen.
Die historische Forschung hat diesem Kapitel der DDR-Militärgeschichte bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Rüdiger Wenzke, Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, hat nun die erste umfassende Analyse des Militärstrafvollzuges der DDR vorgelegt. Dabei beschränkt er sich jedoch nicht allein auf das Militärgefängnis und seine Vorgängerinstitutionen, sondern leuchtet in den ersten vier Kapiteln mit der Militärjustiz und der disziplinaren Praxis sowie der Rolle des Militärstrafvollzuges im Strafvollzugssystem der DDR auch deren juristische und organisatorische Grundlagen aus. Besonders aufschlussreich ist der Exkurs über Militärjustiz, Disziplinarwesen und Strafvollzug in anderen Militärorganisationen der deutschen Geschichte bzw. des Warschauer Pakts, der auch über die DDR hinaus eine historische Einordnung ermöglicht.
Wesentliches Kennzeichen des NVA-Strafsystems war die Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards. So wurden die Urteile im Militärstrafprozess in der Regel noch vor Beginn der Hauptverhandlung "abgestimmt" und, soweit den Angeklagten überhaupt Verteidiger beigestellt wurden, deren Rechte etwa auf Akteneinsicht massiv beschnitten (88). In noch stärkerem Maße trifft dies auf die nahezu unkontrollierte Disziplinargewalt der Kommandeure zu. In der Theorie sollten "Militärische Disziplin und Ordnung" vor allem mit "Überzeugung", "die freiwillige Einsicht in das Notwendige" und erst in zweiter Linie mit Zwang durchgesetzt und die NVA-Angehörigen so zu "sozialistischen Soldatenpersönlichkeiten" erzogen werden (111).
In der Praxis wurden aber vor allem in den Anfangsjahren des DDR-Militärs drakonische Disziplinarstrafen schon für geringfügige Vergehen verhängt. Derartige Willkür trug beträchtlich zum verbreiteten Unmut über die Lebensbedingungen in Kasernierter Volkspolizei und NVA bei. Der Versuch, die rigiden Disziplinvorstellungen von SED und Militärführung in der Truppe durchzusetzen, zeitigte jedoch nur sehr begrenzte Erfolge. Allein im Ausbildungsjahr 1979/80 wurden 25 330 Armeeangehörige wegen Alkoholvergehen und 15 800 Armeeangehörige wegen "Störung der sozialistischen Beziehungen" - meist in Gestalt von physischer Gewalt und Schikanen gegen Angehörige der jüngeren Diensthalbjahre - disziplinarisch bestraft (138).
Mit der Wirkung der verfügbaren Disziplinarstrafen war man im Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) jedoch schon lange unzufrieden. In der Konsequenz wurde 1980 mit der Strafe "Dienst in der Disziplinareinheit" ein neues Instrument zur Disziplinierung verhaltensauffälliger Soldaten konzipiert und zum 1. Oktober 1982 eingeführt. Kommandeure ab der Regimentsebene hatten nun das Recht, Soldaten und Unteroffiziere, die sich "wiederholt und hartnäckig der militärischen Disziplin widersetzten und deren Handlung noch keine Straftat darstellte", für ein bis maximal drei Monate ohne Gerichtsurteil zum Disziplinararrest nach Schwedt zu schicken (140f.). Jenseits der einfachen Beschwerde verfügten die so Bestraften über keinerlei Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Kommandeurs.
Zwischen 1982 und 1990 wurden 2524 Armeeangehörige mit Disziplinararrest bestraft. Die Zahl der zwischen 1968 und 1990 in Schwedt einsitzenden gerichtlich verurteilten Militärstrafgefangenen schätzt Wenzke auf 5000 bis 6000 Personen. Die meisten von diesen waren wegen gewöhnlicher Kriminalität oder aufgrund von spezifischen Militärstraftaten wie unerlaubter Entfernung von der Truppe oder Befehlsverweigerung verurteilt worden. Bei immerhin 15 bis 25 Prozent der Insassen erfolgte die Verurteilung jedoch aus politischen Gründen.
Bis zur Übernahme durch die NVA 1982 lag der Strafvollzug für Militärangehörige in der Verantwortung des Ministeriums des Innern (MdI). Soldaten, die gerichtlich zu einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder ab 1962 zu Strafarrest von ein bis maximal sechs Monaten verurteilt worden waren, verbüßten ihre Strafe zwischen 1954 und 1968 im Haftarbeitslager Berndshof bei Ueckermünde sowie zwischenzeitlich auch in Nitzow bei Havelberg. Schlechte Haftbedingungen, unqualifiziertes Personal sowie die Mischung der Militärstrafgefangenen mit zivilen Häftlingen bildeten dabei ständige Kritikpunkte seitens des MfNV.
Ab 1968 wurde das Haftlager Schwedt mit einer Kapazität von bis zu 350 Gefangenen ausschließlich für den Militärstrafvollzug genutzt. Wie es in der Vereinbarung zwischen MdI und MfNV vom 7. Juli 1978 hieß, sollten die Militärstrafgefangenen hier "in enger Verbindung von gesellschaftlich nützlicher Arbeit, politischer Schulung und militärischer Ausbildung mit einem straffen militärischen Regime [...] zur verantwortungsbewussten militärischen Pflichterfüllung" (250) erzogen werden. In der Praxis dominierten aber Willkür und Schikane des Vollzugspersonals sowie die Ausbeutung der Gefangenen als billige Arbeitskräfte in den umliegenden Industriebetrieben. Kleinste Unbotmäßigkeiten wurden mit dem Gummiknüppel oder mit Arreststrafen geahndet.
Aus Sicht des MfNV ließ vor allem die Qualität der militärischen und politischen Erziehung zu wünschen übrig, weshalb es die Überführung des Militärstrafvollzuges in die Verantwortung der NVA betrieb. 1982 wurde aus der Strafvollzugseinrichtung Schwedt die "Disziplinareinheit 2". Zusätzlich zum "Verwahrteil" für Militärstrafgefangene entstand ein "Disziplinarteil", in dem der Disziplinararrest zu verbüßen war. Am Klima des Strafvollzuges änderte sich jedoch wenig. Schwere Arbeit und harte Ausbildung blieben, während der stumpfsinnige Drill als bevorzugtes Disziplinierungsmittel eher noch zunahm. Alles lief weiterhin darauf hinaus, die Persönlichkeit der Inhaftierten zu brechen. Diese Praxis trug maßgeblich zum "Mythos Schwedt" bei, der gezielt genutzt wurde, um durch Einschüchterung und Abschreckung die Disziplin in der Truppe aufrechtzuerhalten.
Rüdiger Wenzkes Arbeit besticht durch ihre ebenso kritische wie differenzierte Analyse, die endlich Licht in dieses emotional und mythisch aufgeladene Kapitel der DDR-Militärgeschichte bringt. Sein rundum gelungenes Buch wird ergänzt durch eine Zeittafel, einen umfangreichen Bildteil sowie zahlreiche im Anhang abgedruckte Dokumente.
Christian Th. Müller