Ralf Elger: Glaube, Skepsis, Poesie. Arabische Istanbul-Reisende im 16. und 17. Jahrhundert (= Beiruter Texte und Studien; 125), Würzburg: Ergon 2011, 196 S., ISBN 978-3-89913-795-8, EUR 42,00
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Dieses Buch von Ralph Elger, der mittlerweile eine Professur für Arabistik und Islamwissenschaft in Halle an der Saale bekleidet, ist hervorgegangen aus einem früheren DFG-Projekt zum Thema "Arabische Reiseberichte vom 16. bis zum 18. Jahrhunderts als Ego-Dokumente". Durch die Eroberung Ägyptens und Syriens durch die Osmanen zu Beginn des 16. Jahrhunderts verlagerte sich für die einheimische Elite das Machtzentrum von Kairo nach Istanbul. Hier war nun auch der Sitz der zentralen Behörden, und hierhin musste man sich begeben, wenn man finanzielle Vergünstigungen oder einen neuen Posten wollte. In diesem Zusammenhang entstand sehr schnell, so kann Elger zeigen, ein neues Genre, nämlich der "Karrieristen-Reisebericht". Die Gattung bot nicht nur eine Herausforderung für eine neue Form literarischer Kreativität, sondern diente als Mittel zur Reflexion über das Leben, zur Artikulation eines persönlichen Zweifels an der Richtigkeit der Ordnung in der Welt oder zur Schilderung der "besten aller möglichen Welten". Literarisch sind diese Fahrtenbücher in der Regel anspruchsvoll gestaltet, man legte viel Wert auf die Verwendung von Reimprosa, das gezielte Einstreuen von Gedichten, exakte Ortsbeschreibungen und anschauliche Personenportraits. Leider gibt es zu diesen hochinteressanten Texten nach 1500, die aus literaturwissenschaftlicher Sicht als faktuale Erzählungen mit Wahrheitsanspruch nicht gerade leicht zu fassen sind, im Grunde keinerlei Forschung. Umso erfreulicher und verdienstvoller ist es daher, dass Ralf Elger sich exemplarisch mit vier im Detail und in ihrem Anspruch durchaus unterschiedlichen Reiseberichten intensiv befasst hat und das Ergebnis nun in Form der hier zu besprechenden Monographie vorliegt. Dabei behandelt er die Texte durchaus narratologisch, denn "die Ausgangsthese in diesem Band besteht gerade darin, dass auch ein Reisebericht eine Geschichte ist, die nicht grundsätzlich anders als etwa ein Roman oder Reiseroman funktioniert." (64)
Das erste Beispiel für die "Karrieristen-Berichte" ist Badr ad-Din al-Gazzis (1499-1577) im Jahre 1534 fertiggestelltes Werk "al-Matali al-badriyya fi l-manazil ar-rumiyya". Al-Gazzi, ein streitbarer und moralisierender Zeitgenosse, der neben seiner "Rihla" einen umfangreichen Korankommentar und noch etliche Schriften zur Ethik verfasste, war 1530 zu seiner Reise in die osmanische Hauptstadt aufgebrochen. Bei der narrativen Gestaltung orientiert er sich vor allem an dem Pilgerbuch des Andalusiers Halid al-Balawi (lebte noch 1354). Man mag von Intertextualität sprechen, denn die Vorstellungen, die wir heute mit dem Begriff "Plagiat" verbinden, greifen für vormoderne Autoren in der Regel nicht. Eher könnte man dies als legitime Kompilationstechnik bezeichnen - ein Thema, das allerdings bisher noch nicht gut erforscht worden ist. Im Unterschied zu seinem literarischen Vorbild, so zeigt Elger sehr schön, gestaltet al-Gazzi die Schilderung seiner Erlebnisse als Abenteuergeschichte. Hier ist einzuflechten, dass Ralf Elger auch schon an anderer Stelle nachgewiesen hat, dass viele Fahrtenbücher eine Heldenreise im Sinn von Joseph Campbell darstellen und damit einem Strukturmuster folgen, das man in zahlreichen mythischen und anderen Geschichten der Weltliteratur antrifft. Badr ad-Din erkennt, wie Elger es ausdrückt, in manchen Passagen die Ungerechtigkeit in der Welt, bleibt aber dennoch überzeugt, dass sie von einer göttlichen Ordnung durchwirkt ist.
Muhibb ad-Din al-Hamawi (1542-1610), der zweite Reisende, stammte aus Hama und schlug eine Kadi-Laufbahn ein, die ihn nach Ägypten brachte. Als er dort in Ungnade fiel und abgesetzt wurde, machte er sich auf den Weg nach Istanbul, um dort möglichst wieder in ein Amt eingesetzt zu werden. Auch in seinem - in Etappen entstandenen - Bericht lässt sich die Grundstruktur der Heldenreise gut erkennen, doch stoßen wir an vielen Stellen an die Grenzen der Übertragbarkeit. Interessanterweise greift Muhibb ad-Din, dem von Zeitgenossen und späteren Gelehrten ein sehr guter Stil bescheinigt wird, Schlüsselthemen wie die für ein Kadi-Amt nötigen Qualifikation oder die Rolle des Schicksals auf, entwickelt sie und kommt im Laufe des Textes immer wieder in der einen oder anderen Art und Weise auf sie zu sprechen. Ihre geschickte Verknüpfung mit der Reisehandlung deutet auf eine ausgefeilte Komposition des Berichtes hin. Der Reisende Muhibb ad-Din macht, so Elger, klarer als Badr ad-Din al-Gazzi, deutlich, dass er gegenüber den Widrigkeiten des Lebens in erster Linie durch seine eigene Leistung und sein individuelles Heldentum besteht.
Auch Hafiz ad-Din al-Qudsi (st. 1645/46) war ein Karrierist, der eine Reise von Jerusalem nach Istanbul unternimmt, um sich dort einen Posten zu beschaffen. Unterwegs wird er ausgeraubt, doch schließlich kommt er in der Hauptstadt an, wo es ihm tatsächlich gelingt, sein Ziel zu erreichen. Hafiz ad-Din schildert sich selbst als wahren Helden, seine lebendige Erzählung liest sich wie ein klassisches Reiseabenteuer - mit vielen dramatischen Schilderungen, retardierenden Momenten und einem glücklichen Ende. Von seinem literarischen Niveau her kann der Verfasser dieser "Rihla" offenbar allerdings nicht mit den beiden anderen Autoren mithalten: "Der Reisebericht al-Qudsis ist als dichterisches Unterfangen wegen seiner Abenteuergeschichten originell, aber doch nicht ganz geglückt. Denn die Kohärenz leidet etwas unter den Ambivalenzen, den aufgenommenen und fallengelassenen Erzählfäden. Es ist ein Text, der im Leser ein gewisses Unbehagen hinterlässt. Wegen der oft penetranten 'Rechtschaffenheit' des Reisenden, der doch seine Selbstsucht nie in Frage stellt, wirkt er nicht sehr sympathisch." (149)
Etwas anders gelagert ist der Fall bei Muhammad Kibrit (st. 1629). Seine "Rihlat as-sita' wa-s-saif" schildert die Fahrt des Autors von Medina nach Istanbul, wobei dieser am Ende in die Heimat zurückkehrt, ohne das erreicht zu haben, was er wollte. Elger schreibt: "Bei Kibrit verhält es sich noch etwas anders als bei den anderen. Er erlebt nicht nur eine Krise, sondern ein Scheitern, das endgültig ist und nichts als Resignation übrig lässt. Aber eine Erkenntnis ist ihm gekommen, die dafür entschädigt. Ihm wurde deutlich, dass er nicht einen Weg in der Ordnung der diesseitigen Welt finden will wie die anderen Reisenden, sondern einen Weg zu sich selbst, der ihn aus dieser Ordnung herausführt, und zwar in einer grundsätzlichen Weise. Er befindet sich nicht im Zweifel über den Sinn der Welt, sondern ist sich ganz sicher, dass sie sinnlos ist. So erklärt sich seine Kritik am Karrierismus, die ihn von den anderen Reisenden absetzt" (179) Literatur wird so, Elger zufolge, für Muhammad Kibrit zu einem Religionsersatz. Die Vergänglichkeit des Daseins und die Erkenntnis, dass es kein jenseitiges Leben gibt, führen ihn zu der Erkenntnis, dass allein das Werk und mit ihm verbunden sein Verfasser unsterblich ist.
Ralf Elger hat anhand von vier Beispielen eine ausgezeichnet geschriebene, kenntnisreiche Einführung in die Textsorte "Karrieristen-Reisebericht" vorgelegt. Man spürt, dass sich der Verfasser schon seit langer Zeit mit diesem Genre beschäftigt. Der Leser wird wunderbar an die Hand genommen, so dass er am Ende mithilfe der klugen Erklärungen und Kommentare die Vielschichtigkeit der Texte zu erfassen in der Lage ist. Aus interdisziplinärer Sicht wäre es eventuell schön gewesen, wenn Elger die vielen Ansätze aus den Disziplinen, die sich mit europäischen Reiseberichten beschäftigen, irgendwo (zu Beginn?) aufgegriffen und diskutiert hätte.
Stephan Conermann