Charlotte A. Lerg: Amerika als Argument. Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49 (= Amerika: Kultur - Geschichte - Politik; Bd. 1), Bielefeld: transcript 2011, 392 S., ISBN 978-3-8376-1670-5, EUR 35,80
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Charlotte A. Lerg untersucht die Geschichte politischer Konzepte in der deutschen Amerikaforschung des Vormärz und der Revolution von 1848/49. Sie wirft neues Licht auf das zeitgenössische Verständnis von Begriffen wie Freiheit, Föderalismus, Republik und Revolution in der Mitte des 19. Jahrhunderts und platziert die politische Ideengeschichte in einem transatlantischen Kontext. Lergs These besagt, dass die politischen Konzepte der USA zwar nicht als völlig neue Theorien begriffen wurden, ihre dortige praktische Anwendung aber eine "spezielle Überzeugungskraft" besaß und eine "ergänzende Perspektive" bot zur europäischen Exegese dieser Konzepte (15).
Einleitend kündigt Lerg an, das Interesse an Amerika zunächst im wissenschaftlichen, danach im politischen Kontext zu schildern. Der daraus erkennbare "Interpretationsprozess" (21) der politischen Konzepte bildet die große Stärke des Buches. Allerdings verläuft die angekündigte Gliederung nicht immer geradlinig, was den Lesefluss stellenweise hindert. Vereinzelt wird erst über die Fußnoten ersichtlich, dass scheinbar kohärente Zitate aus unterschiedlichen Federn und Jahren stammen (212) oder mit Paraphrasen aus der Sekundärliteratur ergänzt sind (304).
Das Buch beginnt mit einer aufschlussreichen Darstellung über die kommunikationshistorische Entwicklung, die zum vormärzlichen Diskurs deutscher Wissenschaftler mit den USA führte. Lerg fixiert die erste Konjunkturperiode deutscher Amerikaforschung zwischen den 1770er und 1780er Jahren und dem Beginn der Napoleonischen Kriege. Danach gelangte der Wissenschaftszweig in den 1820er Jahren zu erneuter Blüte. Bürgerliche Bildungsreisen und wissenschaftliche Forschungsaufenthalte in den Vereinigten Staaten häuften sich. Auch die Publizistik profitierte von der sukzessiven Vernetzung. Die Berichterstattung über die USA nahm zu und wurde differenzierter, das deutsche Lesepublikum für das Thema sensibilisiert. Ebenso bedeutsam für den "theoretischen Umgang mit den USA" (49) waren die ansteigende Auswanderungsbewegung und Fülle von Auswanderungsbroschüren, Reiseberichten und Romanen.
Zwei biographische Fallstudien zu Friedrich von Raumer und Robert von Mohl, beide bedeutende Staatswissenschaftler und spätere Abgeordnete in der Paulskirche, runden den ersten Teil ab. Mit ihren Schriften ragten Raumer und Mohl aus der Vielzahl staatswissenschaftlicher Amerikaliteratur heraus und fungierten als "Eckpunkte rechts und links der [politischen] Mitte" (97). Anhand dieser Personifizierung schärft Lerg das Bild der deutschen Amerikaforschung und des "politischen Professors" im Vormärz.
Eine Abhandlung über die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der Frankfurter Zentralgewalt eröffnet den zweiten Teil des Buches ("Politische Konzepte"). Die Beziehungen zwischen Frankfurt und Washington sind ein interessantes Forschungsfeld, das bereits in älteren Arbeiten ausführlich behandelt wurde. [1] Hier ist dieses Feld zu Gunsten des eigentlichen Forschungsfokus eher übersichtlich angelegt. Diese Gewichtung ist plausibel, allerdings hätten mehr solcher einführender Passagen die Lektüre bereichert und dem fachfremden Leser einen schnelleren Einstieg in die Materie ermöglicht.
Der anschließende Abschnitt erörtert die "Amerikabezüge in der Verfassungsdebatte" von 1848/49. Lerg verdeutlicht, dass es in der Debatte weniger um das "korrekte Verständnis [amerikanischer] Konzepte" ging, als um ihre "situationsbezogene Interpretation" (159). So spielte das Modell des amerikanischen Föderalismus eine wichtige Rolle bei der Frage zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Einzelstaaten. Aber flankierende Prinzipien dieses Modells, wie Repräsentation und Volkssouveränität, beurteilten die Abgeordneten mit Skepsis: "Man orientierte sich an Idealen, die zu erreichen man sich oft in letzter Konsequenz scheute", resümiert Lerg und erwähnt, dass diese Krux die gesamte Verfassungsdebatte kennzeichnete (159).
Mit dem Begriff der Revolution beginnt Lergs Untersuchung einzelner politischer Konzepte. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts beurteilte die Mehrheit deutscher Wissenschaftler die amerikanische Revolution als legitim. Dies beruhte nicht zuletzt auf dem "vormodernen Verständnis von Revolution" welches vielmehr eine natürliche als eine politische Veränderung implizierte (170). Im Gegensatz zur Französische Revolution, wurde der politische Umsturz in Amerika gemeinhin als "defensive Revolution" gewertet, die "an Traditionen fest[hielt], während sie notwendige Neuerungen zuließ" (193). Für die gemäßigte Mehrheit der Paulskirche bot das Beispiel aus Amerika daher ein willkommenes Argumentationsmittel, um zu belegen, dass "Revolution auch anders möglich war" (177).
Ähnlich verhielt es sich mit dem Begriff der Republik in den wissenschaftlichen und politischen Diskursen. Das französische Modell wurde von deutschen Liberalen und Konservativen überwiegend als zu radikal gewertet. Sie orientierten sich verstärkt an der frühen amerikanischen Republik mit ihrer elitären Führungsspitze (196f.). Eine gänzlich egalitäre Demokratie in Deutschland aber, wie sie sich spätestens seit den 1830er Jahren in den Vereinigten Staaten abzeichnete, war für Protagonisten wie Friedrich von Raumer oder Robert von Mohl nur schwer vorzustellen. An dieser Stelle des Buches offenbart sich erneut der schon erwähnte Mangel an Prologen. Sporadisch erfährt der Leser zwar, dass die USA einer sukzessiven Demokratisierung zusteuerten (212, 216) und dies für viele deutsche Staatswissenschaftler als "abschreckendes Beispiel gegen die gefürchteten demokratischen Republikaner" diente (243). Weiter geht Lerg aber nicht darauf ein. Ein Exkurs zu einzelnen Faktoren dieses Wandels, wie die Ausweitung des Wahlrechts oder das Second American Party System, wäre erfreulich gewesen. [2]
Das letzte Kapitel ("Geordnete Freiheit") erklärt die Legitimierung von Freiheit als Grund- und Menschenrecht durch die amerikanische und französische Revolution. In der Paulskirche schuf die Diskussion um das Grundrecht der Freiheit eine Diskrepanz, die schon in den politischen Zäsuren des 18. Jahrhunderts existierte: Gewährleistung von Ordnung "trotz der größtmöglichen Freiheit aller" (303). Etwas kurz geraten sind die Analysen zur deutschen Rezeption der amerikanischen Sklaverei, Presse- und Religionsfreiheit und der Situation der Ureinwohner. Indem erklärt wird, dass die Sklaverei "in der staatswissenschaftlichen Literatur" Mitte des 19. Jahrhunderts "nicht von zentraler Bedeutung" war (307), entsteht der latente Eindruck, diese Thematik sei in Deutschland generell eher nebensächlich gewesen. Zukünftige Arbeiten könnten hier ansetzen und dieses Phänomen weiter untersuchen.
Insgesamt liefert Amerika als Argument einen anspruchsvollen und anregenden Beitrag zur transatlantischen Ideengeschichte. Charlotte A. Lerg etabliert sich damit in einem aufstrebenden Feld der Geschichtswissenschaft, das durch Arbeiten wie die vorliegende kontinuierlich bereichert wird. Besonders hervorzuheben ist zudem die umfangreiche Quellenrecherche, für die die Autorin Bestände deutscher und nordamerikanischer Archive genutzt hat.
Anmerkungen:
[1] Günter Moltmann: Atlantische Blockpolitik im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1973, 88-263.
[2] Marc W. Kruman: The Second American Party System and the Transformation of Revolutionary Republicanism, in: Journal of the Early Republic, Vol. 12, No. 4, 1992, 509-537.
Patrick Gaul