Michael R. Ebner: Ordinary Violence in Mussolini's Italy, Cambridge: Cambridge University Press 2011, XVI + 288 S., zahlreiche s/w-Abb., ISBN 978-0-521-76213-7, GBP 55,00
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Faschismus ist wieder ein Thema. Diese Beobachtung gilt nicht nur für das Universum der informellen faschistischen Internationale, die aus zahlreichen kleinen und großen Bewegungen und Parteien unterschiedlicher Verwandtschaftsgrade bestand, sondern auch und gerade für den Ursprungsfaschismus in Italien, der auf der Forschungsagenda lange keinen prominenten Platz hatte, in den letzten Jahren aber zunehmend häufiger Gegenstand intensiver zeitgeschichtlicher Untersuchungen geworden ist. Die Studie von Michael Ebner über Ordinary Violence in Mussolini's Italy bestätigt diesen Trend - und ragt zugleich aus der Fülle neuerer Forschungen weit heraus. Warum?
Der besondere Rang des Buches hat viel mit dem Thema zu tun. Gewalt, so Ebner, war "central to the ideology and practice of Fascism" (8). "If the 'Fascisms' of 1919, 1922, 1926, 1935, or 1945 had a unifying ideology und program, it was violence" (262). Der Gewaltbegriff, auf den Ebner dabei rekurriert, zielt nicht nur auf physische Gewalt, die dem Gegner gilt und ihn zum Verstummen bringt. Diese brachialen Formen der Gegnerbekämpfung, die insbesondere den Squadrismus der frühen Jahre kennzeichneten, aber auch in der späteren Zeit nicht aus dem Repertoire der radikalen Faschisten verschwanden, werden von Ebner mitnichten ignoriert. Er bleibt dabei aber nicht stehen, wie viele andere Autoren, sondern widmet sich auch zahlreichen anderen, weniger brutalen, subtileren Formen von violence, die zumal seit den dreißiger Jahren den Alltag in Italien bestimmten und dort ein Klima der Angst und Ohnmacht entstehen ließen, das noch nie so eindringlich und anschaulich beschrieben worden ist. Alles war möglich - und niemand war sicher, auch wenn sich, wie Ebner betont, die faschistische Gewalt vor allem gegen politische Gegner und Außenseiter aus den unteren Schichten richtete, die in Mussolinis Zukunftsprojekt einer homogenen Volksgemeinschaft neuer Menschen keinen Platz hatten. Ins Fadenkreuz feindseliger Repression gerieten mithin auch Alkoholiker, Arbeitsscheue, Homosexuelle, Frauen, die abgetrieben, und Hebammen, die ihnen dabei geholfen hatten, sowie religiöse Minderheiten wie die Zeugen Jehovas, Angehörige der Pfingstbewegung und nicht zuletzt die Juden. Anders als häufig zu lesen ist, waren an diesen Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmaßnahmen auch nicht nur staatliche Instanzen wie Justiz und Polizei beteiligt. Ebenso kräftig mischten die faschistische Partei und die Miliz mit, die häufig auf eigene Faust handelten und nicht selten sogar dann tätig wurden, wenn staatliche Stellen keinen unmittelbaren Handlungsbedarf sahen.
Mit dem spannenden Thema, das Ebner in all seiner Vielfältigkeit in den Blick nimmt, korrespondieren der klare Aufbau der Studie und die zupackende, mitunter fast lakonische sprachliche Gestaltung, die den Leser von Beginn an fesselt. Ebner beginnt mit einer Problemskizze und kommt dann in acht der Chronologie folgenden Kapiteln rasch zur Sache. Er spannt den Bogen dabei von der Gewalt der Squadren und der Zerschlagung der organisierten antifaschistischen Opposition über die Politik der Verbannung und Begnadigung bis zur Ubiquität faschistischer Willkür, die in drei Kapiteln geschildert wird. Besondere Beachtung verdienen Kapitel 4 und 5, die den Verbannungsinseln mit ihren schrecklichen Spezifika und der höchst elaborierten Begnadigungspraxis gewidmet sind und eines besonders eindrucksvoll zeigen: Ebners Sicherheit der Thesenbildung, wobei er nie im Klein-Klein der Fallbeispiele stecken bleibt, sondern immer auf die großen Fragen zielt - auf die Rolle Mussolinis im Faschismus, auf die innere Mechanik des faschistischen Herrschaftssystems, auf die Radikalisierungsprozesse mit den revolutionären Faschisten als Antreibern und - wenn auch eher indirekt - auf die Beharrungskräfte in der Verwaltung und den "besseren" Schichten.
Ebner beweist dabei eine stupende Kenntnis der Literatur, die er gerade bei den zentralen Fragen durch neue Quellen ergänzen kann. Dabei handelt es sich um weit über 500 erstmals ausgewertete Dossiers von Verbannungsopfern, die mitunter mehrere Hundert Seiten umfassen und in vielen Fällen eine Jahrzehnte währende Verfolgungskarriere dokumentieren; rund vier Prozent aller Verbannten aus politischen Gründen kommen auf diese Weise in den Blick.
Insgesamt ist Ebners Buch die Frucht einer beeindruckenden Forscherleistung; es enthält zahlreiche kluge Thesen und weist ebenso viele neue Wege, die von anderen Historikern beschritten werden können. Genauerer Untersuchung bedarf etwa die Entwicklung im Krieg, die von Ebner nur gestreift worden ist, und das Problem der Denunzianten, wobei auch die deutsche und amerikanische Diskussion über "sich selbst überwachende Gesellschaften" aufzunehmen wäre. Außerdem stellt sich natürlich die Frage der Repräsentativität von Ebners Befunden, die in Regional- und Lokalstudien erhärtet werden müssten. Schließlich sollten die Verhältnisse in Italien systematisch mit den Herrschaftssystemen im 'Dritten Reich' und in der Sowjetunion unter Stalin verglichen werden. Ebner suggeriert hier Verwandtschaften und Affinitäten, weist aber zugleich auf gravierende Unterschiede hin. Hier bleibt also für die künftige Forschung noch mancherlei zu tun.
Hans Woller